17. Mai 2024

Russland, Land des Westens

„Heute morgen“, schrieb der Dichter Fjodor Dostojewki 1874 aus Bad Ems an seine Frau, „wollte schon die Sonne lachen, aber jetzt haben wir wieder Wind und Deutsche und Wolken. Traurig ist es hier.“ Nein, die Deutschen hat er nicht gemocht, deren „Gesicht, ganz wie bei Deutschen üblich, schief und von tausend kleinen Falten durchzogen“ sei, wie er sie in seinem Roman „Der Spieler“ skizziert. Und er resümiert später: „Unsere Zukunft liegt in Asien, es ist Zeit, das undankbare Europa zu verlassen!“

Millionen von Russen sehen das anders. Wer Geld hat, legt es im Westen an. Wer Kinder und Geld hat, der schickt sie auf Schulen im Westen. Wer noch mehr Geld hat, kauft sich Immobilien im Westen, man weiß ja nie. Und wenn Geld überschüssig ist, dann wird es im Westen angelegt, in Euro oder in Dollar. Und niemand käme auch nur auf die Idee, für alle diese Zwecke an asiatische Länder auch nur zu denken.

Dennoch sind die westlichen Länder, allen voran die USA und auch Deutschland in Russland gegenwärtig nicht gut angeschrieben. Das hat auch Dmitri Medwedew, der russische Regierungschef, in seiner jährlichen Pressekonferenz jetzt wieder deutlich gemacht. Wer es innenpolitisch nicht gut auf die Reihe bekommt, der braucht zur Rechtfertigung einen ausländischen Gegner, auf den man die Ursachen abschieben kann. Das ist der Westen, dessen wirtschaftliche und finanzpolitischen Sanktionen nichts anderes seien als Ausdruck einer blinder Russlandphobie und der letztlich auch schuld daran ist an der „schreienden Armut“, an der viele Russen nach Medwedews treffender Einschätzung immer noch leiden.

Die Wahrheit bei dieser Ursachenforschung sieht natürlich anders aus. Russland ist das reichste Land der Erde, hat unbegrenzt landwirtschaftlichen Boden und alle erdenklichen Rohstoffe. Aber in nun bald drei Jahrzehnten ist es nicht gelungen, Freude an unternehmerischer Initiative zu erzeugen und damit einen funktionierenden Mittelstand zu schaffen. Zu stark ist in Russland noch die Korruption, zu schwach die Unabhängigkeit der Justiz, zu schwach die Durchsetzungskraft des politischen Systems gegen die Oligarchen.

Die Annäherung Russlands an den Westen mag mit der völkerrechtswidrigen Krim-Annexion zum Stillstand gekommen sein. Das aber ist nicht das Ende der Geschichte. Denn Russlands historische und vor allem auch kulturelle und jahrhundertealten Bindungen an den Westen sind zu stark, als dass man sie auf Dauer wird ausblenden können.

Für den gegenwärtigen Präsidenten Putin wäre es das lohnendste Ziel seiner 2018 beginnenden erneuten Amtsperiode, das Verhältnis zum Westen wieder zu reparieren und ein Europa der Stabilität und den Friedens zu schaffen, in dem seine Nachbarn nicht Angst vor Russland haben müssen. Er müsste auf die vielen positiven Signale des Westens für eine solche Annäherung nur reagieren. Das wäre auch die beste Voraussetzung dafür, das eigene Land zu stabilisieren. Daran muss ihm gelegen sein, denn irgendwann tun auch die kontinuierlich kommunizierten Feindbilder ihre Wirkung nicht mehr.

Wissenschaft nimmt Angst

Politische Entscheidungen sind in einer komplexen Welt nicht leicht zu treffen. Politiker müssen sich dabei nicht nur auf eine gute Bildung und einen politischen „Überblick“ verlassen, sondern auch auf die Wissenschaft. Sie nennt ihnen den letzten Stand der Erkenntnis, sie fügt alles verfügbare Wissen zusammen.

Was Lebensmittel, Stoffe und Produkte für Verbraucher anlangt, gibt es dafür seit genau 15 Jahren das „Bundeinstitut für Risikobewertung“ in Berlin. Sein Auftrag ist, den gesundheitlichen Verbraucherschutz durch einen wissenschaftlichen, forschungsgestützten Ansatz sicherzustellen. Es führt dazu eigene Studien durch und verfügt darüber hinaus über einen umfassenden Überblick über alle einschlägigen wissenschaftlichen Forschungen. Hier ist der Politiker also bestens bedient, wenn er Rat sucht.

Manche Politiker aber suchen keinen Rat, weil sie sich ihre ideologischen Weltbilder nicht durch sachliche Argumente zerstören lassen wollen. Der Streit um das Pflanzenschutzmittel Glyphosat ist dafür ein gutes Beispiel. Die Wissenschaftler des BfR haben alle Studien dazu ausgewertet und kommen „nach Prüfung aller bislang vorliegenden Studien, Dokumente und Veröffentlichungen einschließlich der Glyphosat-Monographie der Internationalen Agentur für Krebsforschung der WHO (IARC) zu dem Ergebnis, dass nach derzeitiger wissenschaftlicher Kenntnis bei bestimmungsgemäßer Anwendung von Glyphosat kein krebserzeugendes Risiko für den Menschen zu erwarten ist.“ Klarer kann man es nicht sagen.

Warum die WHO-Agentur IARC zu einem anderen Schluss kommt, verwundert auch das BfR: „Die IARC führt als entscheidende Belege für eine wahrscheinlich kanzerogene Wirkung („sufficient evidence“) dieses Pestizidwirkstoffes tierexperimentelle Studien der Industrie mit dem Wirkstoff Glyphosat an. Diese Studien lagen der IARC nicht im Original vor. Alle zuständigen Behörden, die diese Studien im Original vorliegen hatten, kamen zu dem Schluss, dass sich daraus kein kanzerogenes Risiko für den Menschen ableiten lässt.“

Mit anderen Worten: Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt hat vollkommen zu Recht und geradezu pflichtgemäß in Brüssel der weiteren Zulassung des Unkrautvernichters zugestimmt – jedenfalls, was das angebliche Krebsrisiko angeht. Er hat sich denen fachlich korrekt in den Weg gestellt, die mit Angstmacherei eine ganz andere Agenda verfolgen: Die Zerstörung der industriellen Landwirtschaft zugunsten des weniger scharf kontrollierten ökologischen Landbaus.

Dem BfR kann man zum Geburtstag nur gratulieren und ihm zugleich raten, seine Arbeit offensiver öffentlich zu machen. Es gibt viele Interessenten, die wissenschaftliche Ergebnisse lieber totschweigen möchten, weil sie ihnen die Erfolge ihrer Panikmache vergällt. Und für Verbraucher lohnt sich unbedingt der Blick auf www.bfr.bund.de, sie werden dort zu allen Verbraucher-Themen breit fündig.

Keiner müsste dürsten

Dass Menschen hungern und dürsten müssen, zählt zu den großen Ungerechtigkeiten unserer Zeit. Das Problem wiegt umso schwerer, als für alle genug da wäre – wenn man mit unseren Nahrungs- und Wasserressourcen nur ideenreich, sparsam und verantwortlich umginge.

Daran aber fehlt es. In Afrika und anderswo herrschen unfähige Regierungen, die eine verlässliche Infrastruktur nicht zustande bringen. Schlimmer noch: Viele sind korrupt, und sie haben das knappe Wasser als private Einnahmequelle entdeckt. Wer genug zahlen kann, bekommt Anschluss.

Dabei geht es nicht nur um das tägliche Quantum Trinkwasser, zwei oder drei Liter pro Kopf. Den größten Wasserdurst haben die Pflanzen, die zur Ernährung der Menschen oder die Erzeugung von Grünfutter für die Viehzucht aufgewendet werden. Für ein Kilo Rindfleisch werden 16 000 Liter Wasser verbraucht, für ein Kilo Weizen immerhin noch 800 Liter. 99 Prozent unserer Wasserressourcen werden von Pflanzen konsumiert. Oder, anders berechnet: Der tägliche Pro-Kopf-Verbrauch an Wasser liegt – je nach Fleischhunger – bei 2500 bis 5000 Liter.

Würde man mit dem vorhandenen Wasser sorgfältig umgehen, ließe sich das Problem entschärfen. Gegenwärtig aber laufen 97 Prozent des Regenwassers ungenutzt in die Ozeane. Vorhandene Trinkwasserreserven werden oft durch mangelnde Infrastruktur verschmutzt und dadurch unbrauchbar. Errichtete Brunnenanlagen verfallen mangels Wartung. Beispiel Indien: Dort erzeugen die wichtigsten Städte täglich 38 Milliarden Liter Abwasser, aber nur 30 Prozent davon landen in einer geordneten Kanalisation – der Rest verschmutzt die Umwelt, insbesondere die Flüsse.

Gibt es Hoffnung? Ja, sie liegt vor allem in technologischen Entwicklungen, von denen man früher nur zu träumen wagte. So lassen sich effiziente Meerwasser-Entsalzungsanlagen in großem Stil betreiben, wie es sie bereits in den Vereinigten Arabischen Emiraten oder in Saudi-Arabien gibt, aber beispielsweise auch auf der Nordseeinsel Helgoland, die ihr Trinkwasser aus einer solchen Anlage bezieht. Voraussetzung ist eine ausreichende Energiequelle: Pro Kubikmeter Wasser braucht man eine Kilowattstunde Strom. Wo also durch Wind oder Sonne ausreichend Strom erzeugt werden kann, sind solche Anlagen gut zu betreiben, über Pipelines ließe sich das Wasser weit transportieren.

Nimmt man alles zusammen: Wassersparsamkeit, intelligente Bewässerung, optimierte Regenwassernutzung, strukturiertes Abwasser-Management, Wasserfilterung und Meerwasser-Entsalzung: Die Welt hätte kein Wasserproblem mehr. Das Problem ist also nicht die Technik, sondern die Melange aus Unfähigkeit und Korruption, die weite Teile der Welt leider noch beherrscht.

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