9. Mai 2024

Atomwaffen für Deutschland?

Dem 70. Jahrestag ihres Bestehens im kommenden Jahr muss die Nato mit Bangen entgegensehen. Denn es scheint sich unter den Mitgliedern die Einigkeit aufzulösen, die „Freiheit, das gemeinsame Erbe und die Zivilisation der Völker, die auf den Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts beruhen“, notfalls gemeinsam zu verteidigen. So aber sieht es Artikel 5 vor: „Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen wird“, also gemeinsam militärisch reagieren.

US-Präsident Trump sieht die USA da nicht mehr zwingend in der Pflicht. Montenegro beispielsweise wäre ihm einen Waffeneinsatz nicht wert. Und ob er irgendein anderes Land in einem Europa, das er für den USA feindlich gesonnen hält, verteidigen würde, muss offen bleiben. Verlassen können wir uns darauf nicht mehr, zwischen Lippenbekenntnissen und echter Überzeugung kann man bei Trump nicht mehr unterscheiden.

Der Politologe Christian Hacke hat nun einmal die Folgen durchdekliniert, die das explizit für die Bundesrepublik haben muss. Wenn Amerika uns den Schutz des amerikanischen Atomschirms entzieht, werden Frankreich oder Großbritannien kaum in die Bresche springen, wenn wir selbst entsprechende Anstrengungen nicht zeigen. Das heißt: Wir müssen auch selbst Atomwaffen produzieren, um glaubwürdige Abschreckung bieten zu können. Gelagert sind solche Waffen auf deutschem Boden ohnehin schon.

Die Notwendigkeit einer solchen neuen Selbstverteidigungs-Doktrin stellt eine weitere Konsequenz des Prozesses des Erwachsenwerdens dar, den die Bundesrepublik auf allen Feldern durchlebt. Die Zeit nach 1989 hat uns nicht nur großen nationalen Gewinn gebracht, sondern eben auch neue Pflichten. Immer deutlicher wird, dass das Ausmaß unseres internationalen diplomatischen Einflusses, auf den wir so viel Wert legen, direkt proportional von unserer Hard-Power abhängt, also von Wirtschaftskraft und unseren militärischen Fähigkeiten zu Land, zu Wasser, in der Luft und in der neuen Waffengattung Cyber-War.

Eine solche Analyse ist gegenwärtig unbequem, außenpolitisch brisant, koalitionspolitisch prekär, politisch unkorrekt, finanziell folgenreich und wird deshalb beschwiegen. Aber geführt werden muss die Debatte dennoch in einem erwachsenen Deutschland, und für den Anstoß dazu muss man dem Politologen Hacke dankbar sein.

Russische Energie-Gefangenschaft?

Der amerikanische Präsident schreckt in seiner allgemeinen Verachtung einer wertebasierten Politik und seiner stetig betriebenen Zerstörung der internationalen Ordnung vor Unwahrheiten nicht zurück. Deutschland sei, so behauptete er etwa auf dem Felde der Energiepolitik, „Gefangener Russlands“, denn wir bezögen „70 Prozent unserer Energie“ von dort. Das ist so unwahr wie vieles andere von Trump. Weil aber immer etwas hängenbleibt, ist Richtigstellung vonnöten.

Richtig ist, dass bei der Betrachtung allein des Erdgases Deutschland der weltweit größte Abnehmer ist. Wir sind auch größter Kunde Russlands. Geopolitisch ist das ein Risiko, denn die Lieferverträge bestehen vor allem mit Russland und den Golfstaaten, beide nicht mit unbeirrbarer Stabilität ausgezeichnet. Das Risiko wird gemildert angesichts des Umstandes, dass Russland seine Lieferverpflichtungen gegenüber Deutschlands zu jeder Zeit strikt eingehalten hat und von den damit eingenommenen Summen direkt abhängig ist. Russland lebt vom Rohstoffexport.

Andererseits: Wenn man Deutschlands Energiesituation betrachtet, dann ist der Primärenergieverbrauch die entscheidende Größe, denn die verschiedenen Energiequellen sind substituierbar: Erdöl, Erdgas, Erneuerbare Energien, Braunkohle, Steinkohle und Kernenergie – das ist der deutsche Energiemix. Russland hat am gesamten deutschen Primärenergieverbrauch einen Anteil von 25 Prozent: 12,4 Prozent mit Erdöl, 8,8 Prozent mit Erdgas und 3,7 Prozent mit Steinkohle.

25 Prozent – das ist zu wenig, als dass man von „russischer Gefangenschaft“ bei der Energie sprechen könnte. Aber wenig ist es auch nicht. Und es zeigt, dass wir uns die selbst auferlegte Abhängigkeit von Importen dringend noch einmal überlegen sollten. Wir haben die Kernkraft und die Kohlekraftwerke auf die Abschussliste gesetzt, stellen den Steinkohlebergbau mit Jahresende ein und wollen das auch mit der Braunkohle tun.

Wenn keine technologischen Wunder geschehen, die uns das Perpetuum mobile bescheren und damit immerwährende Energie, werden wir diesen Weg revidieren müssen. Der Abschied von der Kernkraft war grundfalsch, weil diese Technologie noch viele Möglichkeiten der Risikominimierung ihrer Anwendung bereithält. Nur: Wer nicht mehr daran forscht, findet sie nicht. Ähnlich ist es bei der Kohle: Auch sie kann immer „sauberer“ und klimafreundlicher werden, und daran sollten wir arbeiten, nicht an populistischer Reduktion. Zugleich gehen wir den Weg zur Wasserstofftechnologie viel zu zaghaft an.

Wir mögen von russischen Energieträgern zwar nicht abhängig sein, das Ziel aber wäre Unabhängigkeit von außereuropäischen Importen, also Autarkie. Und genau die sollten wir im Verbund der Europäischen Union anstreben.

Wo Trump Recht hat…

Von transatlantischer Partnerschaft ist in diesen Jahren der Trump-Regentschaft nicht viel zu spüren. Die Interessen Europas oder auch die einer Weltgemeinschaft sind ihm egal, solange sie ihm nicht auch und zuallererst für die Vereinigten Staaten von Amerika nützlich erscheinen. Ob Handelsstreit oder Klimaabkommen, ob Iran-Abkommen oder Ostseepipeline – immer trägt Trump seine Wünsche in brüskierender Form und einem unkonzilianten Ton vor, Freundschaft ist da nicht mehr zu erahnen. Nicht immer aber hat er deswegen Unrecht.

Nun also wieder der Streit um die Verteidigungsausgaben. Die Nato-Staaten hatten sich 2002 beim Nato-Gipfel in Prag (Verteidigungsminister: Peter Struck, SPD) geeinigt, zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Verteidigung ausgeben zu wollen. 2014 beim Nato-Gipfel in Wales wurde diese Festlegung erneut bekräftigt. Doch die Bundesregierung, so scheint es, denkt nicht daran, diese Verpflichtung auch einzuhalten. Gegenwärtig liegt die Quote bei 1,24 Prozent, wird bis 2021 auf 1,34 Prozent steigen, weitere Steigerungen sind nicht vorgesehen. Verständlich, dass das vor allem von den USA als Provokation begriffen und mit Unverständnis registriert wird, zumal sich die Bundeswehr personell und technisch tatsächlich in einem beklagenswerten Zustand befindet.

„Die fortgesetzte deutsche Etatunterschreitung bei der Verteidigung schwächt die Sicherheit des Bündnisses“, hat Trump jetzt der Kanzlerin geschrieben. Die Feststellung ist korrekt, und man kann nachvollziehen, dass die USA nicht mehr willens sind, das defizitäre Eigenengagement der europäischen Staaten zu ihrer Selbstverteidigung auszugleichen. Da ist die Drohung konsequent, amerikanische Soldaten aus Deutschland abzuziehen.

Die europäischen Nato-Staaten müssen sich an den Gedanken gewöhnen, dass es diesen transatlantischen Schutzschirm eines Tages nicht mehr geben könnte. Sehr fern könnte dieser Tag nicht sein. Das hieße, sich selbst verteidigungsbereit und –fähig zu halten, was enorme Ausgabensteigerungen zur Folge haben muss. Die Sicherheitslage ist gegenwärtig im europäischen Kontinent zwar nicht bellizistisch, aber die Krim-Annexion durch Russland hat gezeigt, dass wir Nachbarn haben, die eine Gelegenheit zu rascher Territorialausweitung auch tatsächlich nutzen. Und auch anderswo in der Welt haben wir unsere Interessen zu verteidigen.

Für Deutschland bedeutet das, die Verteidigungsausgaben rasch über das geplante Maß hinaus hochzufahren. Und es bedeutet auch, sich über das Personal der Bundeswehr Gedanken zu machen: Die Abschaffung der Wehrpflicht war ein grober Fehler, der revidiert werden muss, um den Personalstand der Bundeswehr quantitativ und qualitativ zu erhalten und ihre Verknüpfung mit der Gesellschaft zu sichern.

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