19. März 2024

Reformen für Afrika

In diesen Jahren versuchen die europäischen Regierungen verzweifelt, der Migrationswelle Herr zu werden, die da über den alten Kontinent hereingebrochen ist. Verstärkung der Grenzen, Verschärfung der Asyl- und Bleiberechtsbedingungen, härterer Durchgriff bei Abschiebungen und strikt formulierte, interessengeleitete Einwanderungsgesetze – das alles sind Maßnahmen, die eher am Symptom als an der Ursache ansetzen und denen deshalb eine gewisse Verzweiflung der handelnden Politiker anzumerken ist.

Tatsächlich ist das Einwanderungsproblem groß. Man kann sagen: Wir haben erst die Vorboten dessen registriert, was da auf Europa noch zukommen mag. Ein paar Zahlen der Vereinten Nationen (UN) können das illustrieren. 1950 lebten im Nahen und Mittleren Osten sowie in Afrika noch 350 Millionen Menschen. Heute sind es 1,8 Milliarden, 2050 werden es 3,6 Milliarden und 2100 gar 5,5 Milliarden sein. Das wäre dann die halbe Menschheit.

Die Bevölkerungsexplosion ist gewaltig, die Armut steigt, und nichts deutet gegenwärtig darauf hin, dass sich das bald ändern könnte. Blickt man auf Deutschland und seine Nachbarn, aber auch nach Asien, so stand am Beginn des Rückgangs der Kinderzahlen pro Frau ein Wandel ihrer gesellschaftlichen Rolle. Sie war nicht mehr nur Heimchen am Herd und berufsmäßig Mutter, ihr wurden vielmehr auch neue Bildungs- und Berufschancen zugestanden. Und so sank beispielsweise in Deutschland die Reproduktionsrate von 5,2 im Jahr 1880 auf gegenwärtig 1,5.

Ein solcher Wandel auch in den Ländern südlich der Sahara ist nicht in Sicht. Das Frauenbild ist noch althergebracht, die Männer achten darauf, dass das so bleibt. Hinzu kommen in der überwiegenden Zahl der Länder Regierungssysteme, die in Korruption und Misswirtschaft, persönlicher Bereicherung und auch islamistisch geprägten Bürgerkriegen befangen sind. Wenige Ausnahmen sind es, die Hoffnung machen – nun gehört auch Äthiopien dazu, das zu einem zentralen Vorbild für Afrika werden könnte. Dort, wie auch in anderen Ländern, gibt es Agrarland und Rohstoffe, die auf Jahrzehnte für alle Menschen Afrikas ausreichen könnten. Man muss sie nur intelligent bewirtschaften.

Für Europa ist die Sache misslich. Eine neue massive Out-of-Africa-Welle, wie es sie in der Weltgeschichte schon mehrfach gegeben hat, würde die Kultur Europas nicht überleben. Unsere Möglichkeiten sind begrenzt: Die „Fluchtursachen vor Ort“ zu bekämpfen, das hat schon in den letzten 70 Jahren nicht funktioniert, die westliche Entwicklungshilfe darf als weitgehend gescheitert betrachtet werden. Sie war kaum mehr als Hilfe zum Überleben, neue Perspektiven hat sie für die betroffenen Länder nicht erbracht. Und das wird so lange so bleiben, bis man auch in den Ländern südlich Europas und im islamischen Gesellschaftsbild Reformen in Angriff nimmt, die allein der Beginn der Besserung sein können.

Bis dahin ist es Europas gutes Recht, seine Kultur und seine freiheitlichen Lebensformen zu wahren. Restriktive Asylgewährung, schärfere Grenzkontrollen und härteres Durchgreifen mögen nur für ein paar Jahrzehnte wirksam sein, aber es ist Zeit gewonnen, für den notwendigen gesellschaftlichen Wandel in Afrika zu werben.

Europa darf seine Stunde nicht versäumen

Bedeutende Errungenschaften kommen und gehen. Manchmal eröffnen sich die Chancen – aber keiner ergreift sie. Und nicht selten wird eine großartige Gegenwart vertan, weil man sie für selbstverständlich hält und sie nicht sorgsam pflegt.

In dieser Gefahr steht gegenwärtig die Europäische Union. Im Inneren droht sie von Nationalismus zerfressen zu werden, der sich aus primitivem Neid und der Idee einer Volkszugehörigkeit speist, die dem ius sanguinis näher ist als jeder anderen Begründung von Staatsangehörigkeit. Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Abschottung sind dann nicht mehr weit. Das kann nicht Sache von Christen sein.

Im Äußeren aber haben Russland und nun auch Amerikas Präsident entdeckt, dass Ihnen eine Europäische Union im Wege sein kann, die einig ist im Handel und ihre Verteidigung gemeinsam organisiert. Deshalb versuchen sie, mit attraktiven bilateralen Abkommen einzelne Staaten herauszubrechen und so die Kraft des Europäischen Verbundes zu zerstören.

Wo bleibt der Aufschrei? Wo bleiben die politischen und auch christlichen Missionare, die von den Kanzeln unserer Zeit den Menschen in Europa davon erzählen, wie schnell die Friedensdividende der europäischen Idee verspielt sein kann?

Einer, der heute diese Gefahr erkennen und sofort die Kanzeln erklimmen würde, ist der große Theologe Romano Guardini, dessen 50. Todestag wir in diesen Monaten gedenken. Vor dem zweiten Weltkrieg machte er, vom Lehrstuhl an der Humboldt-Universität in Berlin und auf den Kanzeln der Hauptstadt, den Nazis die Einvernahme des historischen Jesus in ihre antisemitische Ideologie streitig und focht gegen den ausgrenzenden Faschismus, gegen den Niedergang der Demokratie. Nachdem Kriege setzte er seine Kämpfe für die christliche Freiheit an der Universität München fort, wo sein Lehrstuhl für christliche Weltanschauung und Religionsphilosophie zu den intellektuell attraktivsten Angeboten der Universität gehörte.

Die Menschen, die ihm, dem Universitätsprediger, sonntags in der meist überfüllten Münchner Ludwigskirche zuhörten, spürten: Da war ein Universalgelehrter, den liturgische und dogmatische Fragen seiner Kirche ebenso umtrieben wie die christlichen Grundlegungen der Gesellschaft, der Politik, der Literatur, der Wissenschaft, der Musik. Guardini redete mit Leidenschaft, er hatte einen feinen Sinn für die Gefährdungen der Menschenwürde. Er konnte die dem Christen auferlegten Pflichten nicht nur nennen, sondern sie in die Anforderungen der Gegenwart transponieren.

In Italien geboren und in Deutschland beruflich etabliert stand Guardini zwischen zwei Nationen, die ihm Heimat gaben. Er überspannte diese Dichotomie mit dem festen Bewusstsein, Europäer zu sein, was ihm nicht nur eine geografische Festlegung gewesen ist. Europäer wollte er auch sein, weil er die gemeinsame christliche und (damit eng verbundene) kulturelle Geschichte Europas für das einzige Fundament hielt, auf dem diese Gemeinsamkeit würde bestehen können.

Wenn nun wieder, in der Folge der großen Flüchtlingsströme, das Andere, das Fremde zum Verkehrten und Bedrohlichen, zum Feindlichen umgedeutet wird und ein Staat wieder Feinde haben kann – dann würde Guardini daran erinnern, wie stark doch die Widerstände gegen solche Vorgänge wie die Bildung einer echten europäischen Gesinnung noch sind und wie viel noch geschehen muss.

So tat er es 1962 in seiner großen Rede „Warum ich Europäer bin“, als er in Brüssel den Praemium Erasmianum erhielt. Guardini wägt darin „Begabungen“ einzelner Erdteile ab und weist Europa mit seinen Erfahrungen großer Erfolge und großen Leides und vor dem Hintergrund des ins Menschliche tief eingreifenden technischen Fortschritts die Aufgabe zu, „Kritik an der Macht“ zu üben.

Er schreibt: „Nicht negative Kritik, weder ängstliche noch reaktionäre; aber ihm sei die Sorge um den Menschen anvertraut, weil es dessen Macht nicht als Gewähr sicherer Triumphe, sondern als Schicksal erlebt, von dem dahinsteht, wohin es führen werde… Europa hat die Idee der Freiheit – des Menschen wie seines Werkes – hervorgebracht; ihm wird es vor allem obliegen, in Sorge um die Menschlichkeit des Menschen, zur Freiheit auch gegenüber seinem eigenen Werk durchzudringen.“

Damit dieses Europa wirklich entstehe, sei es notwendig, „dass jede seiner Nationen ihre Geschichte umdenke; dass sie ihre Vergangenheit auf das Werden dieser großen Lebensgestalt hin verstehe.“ Guardini sah Europas Zukunft in einem die kulturelle Lebensfülle aller Stämme umfassenden Bundestaat, eine Aufgabe, an der das antike Griechenland gescheitert sei, weshalb es in römische Unfreiheit versank. Und er endet seinen Vortrag: „Auch Europa kann seine Stunde versäumen. Das würde bedeuten, dass eine Einung nicht als Schritt in freieres Leben, sondern als ein Absinken in gemeinsame Knechtschaft verwirklicht würde.“

Ein Appell, der aus dem Heute kommt. Es lohnt sich, Guardini auch als großen Europäer wiederzuentdecken.

Doch, ein „Dienstpflicht-Jahr“!

Die Diskussion neuer Ideen verläuft gemeinhin nach einem festen Schema: Zuerst melden sich die Bedenkenträger und erklären, warum das nicht geht. Dann äußern sich einige Verteidiger und erklären, warum die Gegenargumente falsch oder auflösbar sind. Es folgt eine Weile der Ruhe. Erst dann lässt sich eine konstruktive Behandlung des Themas anschließen.

Das hätte der Vorschlag von Annegret Kramp-Kartenbauer, für junge Leute eine einjährige „allgemeine Dienstpflicht“ einzuführen, auch verdient. Denn Dienstpflichten sind keineswegs „letztes Jahrhunderts“, wie sich Dietmar Bartsch von den Linken vernehmen ließ. Auch geht es nicht darum, den Personalnotstand in der Pflege und in der Bundeswehr „auf dem Rücken junger Leute“ zu bekämpfen, wie der SPD-Dauerkommentator Ralf Stegner meint. Erst recht daneben liegt der FDP-Vorsitzende Christian Lindner mit dem kategorischen Satz: „Der Staat des Grundgesetzes ist kein Volkserzieher. Der Staat dient den Menschen und nicht andersherum.“

Aber wer ist der Staat? Der Staat sind wir, die Bürger. Also dienen die Bürger sich selbst, indem sie ihre Gemeinschaft aufrechterhalten, ihre Demokratie verteidigen, ihren Sozialstaat finanzieren, für ihre Freiheit wehrhaft einstehen. Sie müssen sich einbringen. Mit Kommunismus hat das nichts zu tun, aber mit Kommunitarismus, mit einer aktiven solidarischen Gesellschaft.

Viel zu lange haben wir die Vorstellung von einem Sozialstaat genährt, der uns alles serviert, der uns Amme und Vormund zugleich ist, der dauerhaft leistet, ohne dass wir zu leisten hätten. Viele sind darüber unmündig geworden und haben vergessen, dass es für jeden Bürger nicht nur Bezugsrechte, sondern eben auch Pflichten gibt und dass es sogar zumutbar ist, zuerst einmal sich selbst helfen zu müssen und erst dann die Hilfe anderer einfordern zu können.

Das gilt auch für unser Militär. Erst einmal sind wir selbst zuständig für die Landesverteidigung am Boden, in der Luft, zu Wasser und im Cyber-Raum. Wir zuerst müssen vorbereitet sein, ein Territorium und seine Infrastruktur zu verteidigen, aber eben auch unsere Freiheit und unsere Demokratie. Erst wenn wir ausreichend vorbereitet sind, kann man auch andere bitten, im Rahmen der NATO.

Der Dienst in der Bundeswehr ist also ein Dienst an der Gemeinschaft. Er kann gar nicht hoch genug geachtet werden. Daher verdient es die Truppe, verteidigt zu werden gegen Unterstellungen aus so genannten pazifistischen Kreisen, sie sei ein bellizistisches Instrument, fördere den Krieg und verhindere den Frieden. Das Gegenteil ist der Fall, wie die Geschichte der letzten 70 Jahre lehrt: Das Wissen, dass andere auch bewaffnet sind, hat den Frieden erhalten. Deshalb ist die Bundeswehr auch ein attraktiver Ort für ein Jahr der „allgemeinen Dienstpflicht“, das Interesse wecken kann für die Bundeswehr als Arbeitgeber. Hier wäre ein starkes Wort der Kanzlerin, etwa in ihrer wöchentlichen Videobotschaft,für die Bundeswehr eine verdiente Rückendeckung.

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