19. März 2024

Reformation – auch für die katholische Kirche

Als Martin Luther vor 500 Jahren gegen eine verkrustete katholische Kirche anging, wollte er zwar Reformen. Für die zog er bis nach Rom, ohne allerdings dort oder bei seinen späteren Disputen mit den Abgesandten des Papstes Gehör zu finden. Das war – wie schon die Verurteilung und Hinrichtung von Jan Hus im Konstanzer Konzil ein Jahrhundert zuvor – ein historischer Fehler, ein Hochmut des Papstes und seines Zirkels, dessen Folgen die Christenheit bis heute belastet: Aus der Reformabsicht wurde die Spaltung.

Sie entstand, weil es der katholische Klerus an Selbstkritik fehlen ließ: Roma locuta, causa finita – diese alte Regel hatte plötzlich keinen Bestand mehr, denn niemand wollte noch vernünftigerweise annehmen, dass sich Gott durch die Zahlung von Ablassgeldern korrumpieren lassen würde. Das begriff schließlich auch die Kurie und wandte sich von der Ablasspraxis ab. Luther, so sagte es denn auch 1970 der Chef des Kuriensekretariats für die Einheit der Christen, Kardinal Willebrands, sei rückblickend kein Ketzer, sondern „ein Vater des Glaubens und gemeinsamer Lehrer“ gewesen. Ein Reformator also – der katholischen Kirche.

So hat Luther die katholische Kirche moderner gemacht, hat sie aus den finsteren Praktiken des Mittelalters herausgeholt, hat Debatten angestoßen und eine Atmosphäre erzwungen, in der Diskussionen um die Lehren der Kirche nicht mehr als Häresie empfunden werden. Seither wissen wir: Auch Kirchendogmen sind nicht in Stein gemeißelt, die Heilige Schrift bedarf vielmehr der immer neuen Interpretation, des „Aggiornamento“, das eine der großen Überschriften des Zweiten Vatikanischen Konzils gewesen ist.

Noch heute haben das nicht alle begriffen. Wenn Papst Franziskus in „Amoris laetitia“ zu Recht die Modernisierung kirchlicher Lehrsätze zu Sexualmoral und zu den Prinzipien einer katholischen Ehe angeht, verdächtigen ihn seine innerkirchlichen Gegner der Irrlehre, verweisen hilfsweise auf ein „Naturrecht“, das ihnen einer Interpretation unzugänglich erscheint und folgern selbst für objektiv zerrüttete kirchlich geschlossene und dann weltlich geschiedene Ehen: „Es gibt keine Möglichkeit der Wiederverheiratung.“ So hat das dieser Tage der römische Kardinal Walter Brandmüller zu Protokoll gegeben.

Solche lebensfernen und menschenverstoßenden Haltungen werden sich nicht durchsetzen. Die Möglichkeit kirchlicher Wiederverheiratung Geschiedener wird in der katholischen Kirche ebenso zur Regel werden wie eine liberalere Haltung zu konfessionsverschiedenen Ehen, nachdem in Fragen der Empfängnisverhütung längst alte Fronten aufgelöst sind. Aber problematisch ist, dass Papst Franziskus seine Überzeugungen zwar in päpstliche Schreiben, nicht aber in konkretes Kirchenrecht umwandelt und somit alles in der Schwebe hält – gerade als Katholik würde man gerne sehen, dass er die reformatorische Entschiedenheit Martin Luthers auch für sich gewänne.

Die Kritik an Angela Merkel

Manche Entscheidungen kann man nicht revidieren. Jene der CDU/ SPD – Regierung, im Herbst des Jahres 2015 und auch noch 2016 Hunderttausende Migranten nach Deutschland hereinzulassen, zählt dazu. Sie wurde aus guten humanitären Gründen getroffen, behaftet aber mit vielen Versäumnissen im konkreten Vollzug, vor allem dem der gänzlich unkontrollierten Grenze. Seither wissen wir nicht mehr, wer eigentlich nach Deutschland gekommen ist. Und jene, deren Asylantrag abgelehnt wurde, leben zumeist dennoch hier, weil keiner eine Idee hat, wie und wohin man sie ausweisen könnte. Und wer bleiben darf, soll sich integrieren und von uns integriert werden: auch hier sind die Erfolgsgeschichten dünn.

In bürgerlichen Wählerschichten hat das große Verunsicherung erzeugt, von rechts bis links. Manche haben protestgewählt, die AfD. Andere sind bei den Volksparteien geblieben. Aber vor allem in der CDU/CSU rumort es nicht nur unter Konservativen gewaltig, und das Protestpotential wächst, seit die CDU im Handstreich die Ehe auch für Homosexuelle eingeführt hat und aus ihren Reihen der Vorschlag eines islamischen Feiertags kam.

Vor ein paar Monaten noch traute sich kaum einer, den Rücktritt Angela Merkels als Parteivorsitzende zu fordern, weil man seine eigenen Karrierechancen in Aufstellungen und Listenplätzen nicht gefährden wollte. Da war Mut noch teuer. Nun aber, nach den Wahlen, ist Mut kostenfrei, und es wird der Ruf nach personeller Erneuerung direkt und namentlich vorgebracht. Und in den Medien, die immer nach auswertbaren Konflikten suchen, gewinnt die neu formierte „Werte-Union“ an Resonanz, innerparteilich zwar unbedeutend, aber sichtbar profiliert als Sammelbecken des Widerstandes und also derer, die den „Ruck nach rechts“ in der CDU fordern.

Die CDU freilich ist nicht linker geworden als sie je war. Dafür sorgte schon immer der gewerkschaftsnahe Sozialflügel, verbunden etwa mit den Namen Norbert Blüms, stets mit großer Macht. Die Partei hat nur ihren rechten Flügel verloren. Leute wie Alfred Dregger oder auch Franz Josef Strauß verstanden es, die Menschen im ganz konservativen Spektrum bei ihren Sorgen anzusprechen und sie von Unions-Lösungen zu überzeugen. Ihr Instrument war die politische Tat, die Arbeit an der Basis, die Argumentation, auch die Teilnahme an innerparteilichen programmatischen Debatten.

Das ist heute anders, da die Protagonisten der innerparteilichen Opposition – mehr oder weniger offen angeführt von Jens Spahn – Macht anstreben und sich im Straßenkampf in den AfD-Hochburgen in Recklinghausen oder in Sachsen nicht die Finger schmutzig machen wollen. Wenn es aber um Machterhalt geht, ist Angela Merkel den Spahns unserer Zeit noch weit voraus. Und es gibt gute Gründe, sie jetzt nicht zu demontieren: Erstens ist sie ein außenpolitischer Gigant, der momentan wichtigste Stabilitätsanker Europas. Zweitens hat ihre Kanzlerschaft Deutschland zum größten Wohlstand seiner Geschichte geführt. Drittens sind gerade Koalitionsverhandlungen – wie dumm (oder selbstverliebt) muss man sein, gerade dann die Parteichefin und Bundeskanzlerin zu schwächen? Und viertens wird Angela Merkel selbst den Zeitpunkt wissen, wann ein solcher Wechsel ansteht.

Chinas Supraplanung

China macht ernst, immer. Noch jedes Projekt, das die chinesische Staats- und Parteiführung in den letzten drei Jahrzehnten anpackte, hat sie zum Erfolg gebracht. Zuerst wurden ein bürgerliches Gesetzbuch nach deutschem Vorbild geschaffen, Eigentum ermöglicht, Grundbücher eingeführt, Vertragsfreiheit garantiert, ein für Wirtschaftsunternehmen akzeptables Justizwesen installiert. Die Wirtschaft wurde angekurbelt, Partnerschaften gesucht, kopiert und geforscht. Seither ist China ein reiches Land, der Außenhandel floriert. Und künftig soll es noch besser werden, goldene Zeiten verspricht Xi Jinping, Chinas gegenwärtiger Parteichef, bis 2035 soll die sozialistische Modernisierung vollendet und bis 2050 soll es China zur ultimativen sozialistischen Großmacht gebracht haben. Und dann möchte China überall führend sein: In der Weltpolitik, im Einfluss in allen Kontinenten, in der Wirtschaft, in der Umweltpolitik, das Große China als Ziel der „Supraplanung“. Das alles, versteht sich, unter der unangefochtenen Führung der Partei.

Dieser Kurs verheißt alle wirtschaftlichen Freiheiten – man kann reich werden in China, Milliardäre gibt es zuhauf, eine sehr spezieller Sino-Marxismus, den sich Karl Marx in seinen Sozialismusträumen nicht vorgestellt haben dürfte. Dass Opposition und manche Bürgerrechte hier unter die Räder geraten, versteht sich von selbst, aber diesen Preis zahlt Chinas Staatsführung gerne: Ohne zentrale Führung und langfristige Planung, mit Demokratie und ständigen Regierungs- und damit auch Ideologiewechseln, würde China diese Ziele sicher verfehlen.

Tatsächlich kann, wer sehr langfristige politische und wirtschaftliche Ziele verfolgt, so etwas wie Demokratie mit ihren Stimmungsschwankungen nicht brauchen. Und China denkt sehr langfristig: „Wer nicht für 10 000 Generationen plant, vermag nicht für eine Ära zu planen“, notierte der chinesische Gelehrte Chen Danran zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Für solches Denken haben viele die Chinesen verlacht, aber dann antworten sie mit einem zweieinhalbtausend Jahre alten Satz des Konfuzius: „Es kommt nicht darauf an, von allen geschätzt zu werden. Wenn man von Gescheiten geschätzt und von Unbedarften ausgelacht wird, dann ist das in Ordnung.“

Wenn sie also westliche Produkte importieren (auch, um sie zu kopieren), wenn sie technologisch führende Firmen in aller Welt aufkaufen, wenn sie sich in Afrika mit horrenden Geldsummen die Rohstoffe sichern oder an westliche Staaten Kredite vergeben – dann ist das alles genau bedacht, es handelt sich um Mosaiksteinchen eines großen Bildes.

Was aber hat der Westen? Das große Projekt des Westens sind Freiheit und Menschenrechte und die damit verbundene Hoffnung, diese Elemente würden in seiner Kraftentfaltung stärker sein als verordnete Zentralplanung. Das könnte täuschen. Es ist daher klug, Chinas Politik nicht nur für geschickte Kaufmannschaft zur Lösung von Gegenwartsproblemen zu halten, sondern die langfristige Supraplanung Pekings zu begreifen und darauf zu reagieren. Im besten Falle gelänge uns eines: Die Idee zu kopieren. Was also ist das langfristige Ziel Europas, was ist unsere „Supraplanung“?

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