24. April 2024

Vor 40 Jahren: Wer ermordete Schleyer?

Noch immer vergeht kein Jahrestag des schrecklichen Wirkens der „Rote Armee Fraktion“, der in den deutschen Medien und auf den Podien der gesellschaftspolitischen Debatte nicht ausführlich gewürdigt würde. So auch jetzt zum 40. Jahrestag der Ermordung Hanns Martin Schleyers, mit der die RAF die – wie sie schrieb – „klägliche und korrupte Existenz“ des damaligen Arbeitgeberpräsidenten beendete.

Die Tiefenerforschung der Gesellschaft zum Thema RAF führt in die Geschichte deutscher bürgerlicher Familien, deren Kinder offenbar aus der Nazizeit und dem Holocaust, ermöglicht von der Generation ihrer Eltern, politische Rachegelüste entwickelten, die sie an den Repräsentanten der Gegenwartsgesellschaft auszuleben trachteten. So kam zwischen 1984 und 1993 ein Mord zum anderen: der Diplomat Gerold von Braunmühl, MTU-Chef Ernst Zimmermann, der US-Soldat Edward Pimental, der Pilot der „Landshut“, Schumann, Siemens-Vorstand Karl Heinz Beckurts, Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen oder Treuhand-Chef Detlev Carsten Rohwedder. Bei den meisten dieser und anderer Fälle ist noch unklar, wer genau die Morde ausführte – das zu offenbaren gehört zu den bleibenden Verpflichtungen der noch lebenden RAF-Terroristen gegenüber unserer Gesellschaft und den Opfer-Angehörigen..

Unverständlich und inakzeptabel ist bis heute, aus welchen Ingredienzien der Mythos lebt, der die RAF noch immer umgibt. Immer wieder werden jenen kriminellen Vorgängen Filme gewidmet und Theaterstücke, sie sind Gegenstand wissenschaftlicher Dispute und Forschungsarbeiten. Deutschland, so viel ist klar, ist nicht damit fertig, dass es einer ziemlich kleinen Gruppe verirrter junger Menschen gelang, einen ganzen Staat über mehr als ein Jahrzehnt zu terrorisieren.

Die Lehren aus jener Zeit sind schon sichtbarer. So hat sich die Demokratie als wehrhaft erwiesen, als nicht erpressbar, inkorporiert durch einen Bundeskanzler Helmut Schmidt, der den Forderungen der Terroristen auch unter Hinnahme der Ermordung Hanns Martin Schleyers nicht nachgab. Diese Überzeugung, dass Freiheit und Demokratie nicht von selbst stabil sind, sondern immer neu begründet und beworben werden müssen, hat seither an Boden gewonnen. Nur auf diesem Fundament war das Engagement Deutschlands gegen Terror in der Welt und gegen völkerzerstörende Kriege in den letzten drei Jahrzehnten möglich – vom Balkan über Afghanistan bis hin zur Unterstützung des Kampfes gegen den IS.

Was aber auch heute in einer freiheitlichen Demokratie gelten muss – und angesichts der offensichtlichen Gefahr der Mystifizierung der RAF erst recht: Terror muss man Terror nennen, und Terroristen sind Kriminelle, die ohne Rücksicht auf ihre Motive verfolgt und verurteilt gehören. Der demokratische Verfassungstaat ist nicht der Gegner, sondern der Garant dieser Freiheit, seine Verfassung der Vertrag, der mehrheitlich geschlossen und der auch von Minderheiten zu achten ist. Diese Lehre aus der RAF-Zeit ist nicht die unwichtigste.

Wahl gewonnen, Amt verloren?

Die CDU, so war es zu beobachten, hat gelassen auf ihre Wahlniederlage in Niedersachsen reagiert. Das ist erstaunlich, denn nach Lage der Dinge hätte sie leicht gewinnen können – wenn sie sich langfristig darum gekümmert hätte, in Niedersachsen eine Wechselstimmung zu erzeugen. Probleme, die das gerechtfertigt hätten, gibt es in Niedersachsen genug. Leistungsfähigkeit und Ausstattung der Schulen sind notleidend, die Staus auf den Autobahnen nehmen zu, die Innere Sicherheit ist nicht mehr garantiert, vor allem auf dem polizeientkernten Land. Hinzu kommt eine Umweltpolitik, die den Menschen und seine Interessen hintanstellt und, beispielsweise, den Wolf mehr schützt als seine Opfer und die zugleich der Wirtschaft immer neue Steine in den Weg legt.

Das alles hat die CDU aber nicht thematisiert. So hat die SPD die Wahlen erstaunlich deutlich für sich entschieden, und alle Welt erwartet nun, dass Stephan Weil wiederum Ministerpräsident des Landes Niedersachsen wird. Das freilich ist gar nicht ausgemacht – es könnte Weil so gehen wie dem CDU-Spitzenkandidaten McAllister 2013, als dieser die Wahl gewonnen hatte (36,0 CDU, 32,6 Prozent SPD), aber dennoch nicht ins Ministerpräsidenten-Amt kam, weil sich die Grünen (damals 13,7 Prozent) mit der SPD zusammenfanden.

Wahl gewonnen, Amt verloren: Das ist auch diesmal gar nicht unwahrscheinlich. Denn dass sich die CDU unter Führung der SPD in eine Große Koalition begibt, ist nach allen Erfahrungen, die Juniorpartner dort gemeinhin machen, kaum zu erwarten: Die CDU würde dort aufgerieben und ihrer Profilierungsmöglichkeiten beraubt, sie beginge gleichsam politischen Selbstmord – und keiner ihrer Wähler hat der CDU die Stimme gegeben, um einen SPD-Ministerpräsidenten zu bekommen. Für Rot-Grün reicht das Wahlergebnis auch nicht mehr, es fehlt ein Sitz zur Mehrheit. Rot-Gelb-Grün, die „Ampel“, will die FDP nicht mitmachen, weil sie – zu Recht – einen Politikwechsel in Niedersachsen will. Bleibt also nur ein Bündnis aus CDU, FDP und Grünen, eben „Jamaika“, falls die Grünen sich (wie im Bund) zu dieser Option entschließen können. Dann wäre Bernd Althusmann Ministerpräsident.

An Ermutigungen aus Berlin zu einer solchen Lösung fehlt es nicht. Denn eine „Jamaika“-Koalition dort braucht Unterstützung für ihre Vorhaben im Bundesrat, der einem Teil der Bundesgesetze zustimmen muss. Dass eine im Bundeskabinett vertretene Partei die Regierungsprojekte im Bundesrat durch die Länderstimmen zu Fall bringt, das ist selbst für die oft basischaotischen Grünen keine konstruktive Vorstellung von Politik. Also hält man sich die „Jamaika-Option“ auch in Niedersachsen bei all jenen Parteien offen, die jetzt im Bund ihre Sondierungsgespräche beginnen.

Erwartbar ist für diesen Fall ein SPD-Gezeter in Niedersachsen, dass es undemokratisch sei, den Wahlsieger Weil so um sein Amt zu bringen. 2016 wäre das freilich ebenso demokratisch wie es 2013 demokratisch war: Es regiert der, der eine Parlamentsmehrheit zustande bringt.

Mehr Geld für die Grundschulen

Es gibt wissenschaftliche Studien, die politische Sprengkraft haben. Solche aus dem Bereich Bildungsforschung zählen dazu. So ist es nicht verwunderlich, dass die Kultusministerkonferenz mit der Veröffentlichung des neuen Bildungs-Qualitäts-Vergleichs Grundschulen bis zum letzten Werktag dieser Woche gewartet hat. Der Gedanke: Bloß kein Material mehr liefern für den laufenden Wahlkampf in Niedersachsen.

Denn Niedersachsen schneidet im Bildungsvergleich zwischen 2016 und 2011 besonders schlecht ab. Für die Schulpolitik der rot-grünen Landespolitik ist das ein einziger Offenbarungseid: Ob in Deutsch beim Lesen, beim Zuhören oder der Orthografie, oder in der Mathematik: die Veränderungen sind negativ, die Leistungen schlechter.

Erklärungen sind immer schnell zur Hand: Zum einen sei der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund gestiegen, zum anderen habe die Inklusion das Leistungsniveau in den Grundschulen nach unten gezogen. Das freilich sind alles nur Ausreden. Denn in einer ganzen Reihe von Bundesländern haben sich solche Faktoren nicht dermaßen negativ niedergeschlagen wie in Niedersachsen, obwohl sie oft viel stärker mit Migranten zu tun haben: Hamburg etwa, dessen Schulen unter dem SPD-Schulsenator Ties Rabe in ihrer Leistungsfähigkeit gar angezogen haben. Bayern, Brandenburg, Sachsen, das Saarland und auch Schleswig-Holstein schneiden ebenfalls wesentlich besser ab als Niedersachsen, nimmt man alles in allem.

Also muss es noch andere Gründe als die genannten geben. Der Hauptgrund ist die finanzielle Vernachlässigung der Grundschulen. Das betrifft das Personal: Der Grundschullehrer hat mittlerweile sehr viel mehr gesellschaftliche Reparaturarbeit an den Kindern zu leisten als jeder Gymnasiallehrer, wird aber deutlich schlechter bezahlt. Deshalb gibt es zu wenige davon. Hinzu kommt: Grundschullehrer werden von allen Seiten unter Druck gesetzt, von oben durch immer neue Vorschriften und Anforderungen (dazu zählt die ideologisch aufgepfropfte Inklusion) gegängelt, von den Eltern zugleich, die die bildungsmäßige Erziehung ihrer Kinder vernachlässigen, aber von den Grundschullehrern anschließend die Gymnasialempfehlung für die Kinder verlangen.

Hinzu kommt vor allem in „grünen“ Bildungsministerien eine ideologiebesetzte Pädagogik, die die Leistungsanforderungen klein schreibt und schon das individuelle Bemühen mit guten Noten belohnen will. Aus solchem Ansatz wird natürlich kein belastbares Wissen, auf dem sich sichere Bildung aufbauen lässt.

Wie sagte die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Susanne Eisenmann, bei der Vorstellung der Studie? „Die Länder werden die große Stärke des Bildungsföderalismus nutzen, im Wettbewerb der Ideen voneinander zu lernen.“ Dafür hätten sie längst Zeit gehabt, es würde helfen, aber nicht reichen. Die wichtigste Lehre wäre, mehr Personal und Geld in die Grundschulen zu stecken und wieder klare Leistungsanforderungen zu setzen. Denn in den Grundschulen wird die Basis der deutschen Bildung gelegt.

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