20. Mai 2024

Tue Buße und schreibe darüber…

Im 12. Kapitel seines Evangeliums berichtet Lukas von einem Gespräch mit den deutschen Finanzministern und Stadtkämmerern:  „Und er sprach zu ihnen: Seht zu und hütet euch vor aller Habgier, denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat.“  Der Appell von höchster Stelle hatte offenkundig wenig Wirkung, wovon jeder Steuer- und Gebührenzahler ehrlich Zeugnis ablegen kann. Vielmehr gehen unsere Politiker mit ihrer Raffgier unverändert ganz offen um, das neunte Gebot: „Du sollst nicht begehren  deines Nächsten Hab und Gut“ ist ihnen einerlei. Aber Hochmut kommt vor dem Fall: Denn die Avaritia, die Habsucht, zählt immerhin zu den sieben Hauptsünden, die wiederum als Wurzeln der Todsünden betrachtet werden. Und was dann folgt, wissen wir ja: Hölle und ewige Verdammnis.

Aber es ist ja noch schlimmer, denn mit Steuern und Abgaben hat es kein Bewenden. Mit gewaltigem Hirnschmalz und Personalaufwand haben sich vor allem die Kommunen dem sogenannten Bußgeld zugewendet, dem Sahnehäubchen staatlicher Raffgier. Seine Aufkommensdynamik lässt sich wunderbar steuern. Das beste Beispiel dafür sind die festen und mobilen Radaranlagen im Straßenverkehr. Hier betätigen sich Kommunen als abgezockte Fallensteller, das erhoffte Geld aus den „Bußgeldern“ wird als Zielgröße fest in den Etat eingestellt. Zehn Millionen Euro sind das zum Beispiel allein in Bielefeld, durch deren Territorium die A 2 läuft. Wenn die zuständigen Beamten nicht ausreichend viele Verkehrssünder produzieren, sieht es schlecht aus mit der Karriere, und da ist es diesseits kein Trost, dass der Kämmerer wegen seiner Habgier später in die Hölle muss.

Das heißt: Mit der Sünde wird fest gerechnet. Nur ein Sündenbürger ist ein guter Bürger. Deshalb wird die Verkehrssünde zum Segen des Fiskus auch gerne provoziert. Beliebt ist beispielsweise, kurz vor solchen Radarfallen eine Baustelle einzurichten, in deren Stau man stundenlang verharren muss – um dann im frischen Schwung wiedergewonnener kreatürlicher Freiheit und in höchster Zeitnot durch den  gierigen Blitz der Radarfalle signalisiert zu bekommen: Freiheit ist nicht umsonst. Als erfolgreich hat sich auch erwiesen,  zu mitternächtlicher Stunde auf beinahe leeren Autobahnen dort zu blitzen, wo  Geschwindigkeitsbegrenzungen den Fahrer zu Stoßzeiten des Berufsverkehrs disziplinieren sollen. Ansonsten hilft dem Fiskus, alle paar Hundert Meter die Höchstgeschwindigkeit neu auszurufen: 100, dann 130, dann unbegrenzt, plötzlich wieder 80: Da verliert der Gutwilligste den Überblick.

Als Christ würde man in einem christlichen Land, dessen Verfassung den Bezug auf Gott nimmt, Hilfestellung bei der Sündenvermeidung erwarten. Hier aber kujoniert der größere Sünder den Kleinen. Und er versucht zugleich, seine Missetat klein- und die seines Opfers großzureden, indem er die Moral für sich pachtet. Das geschieht, indem er in Kumpanei mit den Ingenieuren der veröffentlichten Meinung die Normen so setzt, dass Steuerschröpfen sowie die staatliche Beihilfe zur Sünde als politisch korrekt, die folgenlose Geschwindigkeitsübertretung aber als übler Anschlag auf das Gemeinwohl gelten, eben als „Sünde“. Und ganz unerhört ist es, wenn man sich auf den oft höchst unscharfen Fotos der Bußgeldbescheide gar nicht wiedererkennt – sofort wird ein Verstoß gegen das  achte Gebot unterstellt: „Du sollst kein falsches Zeugnis geben wider Deinen nächsten“.

Der Staat bedient sich zwar des theologischen Vokabulars („Sünder“, „Bußgeld“), kennt aber den reuigen Sünder nicht. Auch anerkennt er nicht die sündentilgende Beichte („Lieber Herr Ramsauer, es tut mir leid, ich entschuldige mich dafür, dass ich auf der A 7 zwischen Thieshope und Ramelsloh 21 km schneller als erlaubt gefahren bin“), lehnt also jeden seelsorgerlichen Akt ab. Vielmehr besteht er auf einer Praxis, die schon Luther auf die Nerven ging: Erst wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Feuer springt – ein Ablasshandel im Ordnungswidrigkeiten-Geschäft, dessen Sinnhaftigkeit heute nicht größer ist als damals. Obendrein schlägt noch der Punktehammer zu, wie seinerzeit der Hexenhammer: bei 8 Punkten wird der Führerschein künftig verbrannt.  Man sieht: Der Staat ist sündenvoll, doch gnadenlos.

Was macht Deutschland falsch? Brief an die Kanzlerin, 16

Liebe Frau Merkel,

keine Kanzlermehrheit für die Griechenlandhilfe? Grämen Sie sich nicht. Eine solche Frage stellt man zu Recht nicht unter die Fraktionsdisziplin. Die Mehrheit im Bundestag war eindrucksvoll, die Skepsis, ob es hilft, ist es auch. Auch bei mir als altphilologisch geprägtem, großem Hellas-Freund. Aber wir tun gut daran, zu helfen.

Ich frage mich nur: Warum werden wir Deutschen, ob in Afghanistan oder in Griechenland, für unsere Hilfsbereitschaft geschmäht? In Afghanistan bauen wir Brunnen, Straßen, Schulen, Krankenhäuser – und doch morden sie unsere Soldaten und zivilen Helfer, demonstrieren zu Hunderttausenden, verbrennen unsere Flagge. Und warum helfen wir den Griechen mit vielen Milliarden, ihren Staatsbankrott zu überwinden – und doch werden die Deutschen als Neo-Imperialisten und Sie, Frau Bundeskanzlerin, als Hitler-Plagiat verunglimpft?

Die Antwort: Wir verkaufen uns schlecht. Wir handeln gut, reden aber wenig wirkungsvoll darüber. Die berüchtigten „night-letters“ der Taliban, die sie drohend nachts an die Hauswände afghanischer Dörfer heften, entfalten mehr Wirkung als die schmallippige PR der ISAF-Truppen für die Fortentwicklung des Landes. Und in den Zeitungen Griechenlands finden sich keine Anzeigen der deutschen Bundesregierung oder der Europäischen Union, die unsere Hilfsbereitschaft erläutern und um Sympathie werben.

So ist es immer: Wir bewerben miserabel, was wir Gutes tun. Auch in der Bundesrepublik. Die Griechenland-Hilfe wird auch hier nicht ausreichend erklärt – Bundestagsdebatten finden ja sozusagen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, ARD und ZDF lassen sich in der Berichterstattung zu zwei oder drei Minuten herbei, und in den Talkshows werden anschließend die paar Abweichler überproportional so aufgeblasen, dass sie an ihrer unerwarteten politischen Bedeutung vor Einbildung schier platzen. Überhaupt: Das ganze europäische Projekt bewerben wir katastrophal schlecht, bedrückend bürokratische Werbekampagnen verstärken die Skepsis eher als dass sie Begeisterung erzeugen – man fragt sich, welche Beamten-Laien mit welchen Rücksichts-Kalkülen da an der Kommunikation stricken. Das muss dringend geändert werden.

Sie selbst, Frau Bundeskanzlerin, kommen neuerdings übrigens schlechter weg, als Ihnen die Zahlen und Ihre Mitarbeiter vermutlich suggerieren. Wenn Herr Deppendorf in der ARD-Tagesschau jetzt schon von der „Kanzlerdämmerung“ spricht, dann können Sie ahnen, dass nach Köhler und Wulff jetzt Sie dran sind. Gründe findet man immer. Erfolge lassen sich relativieren, und bloß relative Erfolge lassen sich rasch zu Misserfolgen umdeuten.

Ein paar Beispiele: Der deutsche Exportrekord? Eine Ausbeutung der Empfängerländer, entwicklungspolitisch völlig verfehlt! Die hohe Beschäftigtenzahl? Ein Vorbote des bildungspolitisch erzeugten deutschen Arbeitskräftemangels, der 2020 bei zwei Millionen liegen wird! Die niedrigen Zinsen? Nichts anderes als der Beginn einer Inflation, einer Geldschwemme mit katastrophalen alles entwertenden Folgen, ausgelöst durch das nimmersatte Griechenland.

Sie können also machen was Sie wollen: Wenn Sie es nicht stark und holzschnittartig und in den Massenmedien erklären (lassen), wird das keiner toll finden. Das wäre schade.

(Die „Briefe an die Kanzlerin“ erscheinen in der Christ und Welt-Ausgabe der ZEIT.)

Pas de deux: Brief an die Kanzlerin, 15

Liebe Frau Merkel,

während ich diese Zeilen schreibe, sitzen Sie mit ihrem Kollegen und Freund Nicolas Sarkozy  im prunkvollen Salon Murat des Elysee-Palastes vor den Fernsehkameras und sprechen zu den Franzosen über Europa. Drei Signale dieser Veranstaltung sind unübersehbar. Erstens:  Deutschland und Frankreich geben in Europa den Ton an, in dieser Reihenfolge. Zweitens: Die Zukunft Europas erfordert Gemeinsamkeit, nicht Nationalismus.  Und drittens: Sie bauen dabei auf Nicolas Sarkozy, dem Sie im bevorstehenden Präsidentschafts-Wahlkampf noch durch weitere gemeinsame Auftritte beistehen wollen, und eben  nicht auf seinen sozialistischen Gegenkandidaten Francois Hollande.

Nun wirft man ihnen vor, Sie seien mit diesem Fernsehauftritt in viele Fettnäpfchen zugleich getreten. Er sei die massivste Einmischung in Frankreichs Innenpolitik der letzten 50 Jahre. Zugleich machten Sie sich Francois Hollande zum Gegner, zumal der doch in den Umfragen in Frankreich gegenwärtig vorne liege.  Und schließlich ließen Sie (nicht nur) die Franzosen die Dominanz Deutschlands in europäischen Dingen spüren und schürten unter der französischen Linken einen neuen Antigermanismus.

Aber Ihre Nähe zu Präsident Sarkozy ist eben keine „amour fou“, keine leidenschaftliche, verrückte Liebe ohne Aussicht auf Bestand. Es handelt sich eher um eine Freundschaft, die sich nun schon seit Jahren in den  Krisen rund um den Euro und Europa bewährt hat. In diese Freundschaft zu Deutschland hat dieser französische Staatspräsident viel investiert, und er hat sich seinerseits damit nicht nur Freunde gemacht, er ist Risiken eingegangen. Er hat sich aber immer als verlässlich erwiesen, im Sinne Europas, damit auch im Sinne unserer beider Länder.

Es wäre gut, ihn weiterhin auf der europäischen Bühne zu wissen. Es ist deshalb auch in Ordnung, dass Sie ihm helfen, Präsident zu bleiben. Bewährte Freunde soll man nicht im Stich lassen, das hielten schon alle Ihre Vorgänger genau so: Adenauer, Brandt, Schmidt, Helmut Kohl sowieso, aber auch Gerhard Schröder. Mag sein, dass dann anderswo einmal jemand reüssiert, gegen den man offen eingetreten war. Die Gesetze der Politik freilich sind von einer Nüchternheit geprägt, die solche Wunden rasch schließen. Helmut Kohl wollte Bush senior und bekam Clinton – es wurde eine wunderbare Freundschaft daraus. Angela Merkel wollte Obama nicht und bekam ihn doch, und der verlieh ihr höchste Orden. Und auch mit Monsieur Hollande würde sich erfolgreiche Politik für Europa machen lassen.

Wenn es also keine „Amour fou“ ist, was ist es dann? Vielleicht eher ein Pas de deux, das klassischerweise so verläuft: Tänzer und Tänzerin betreten die Bühne (bereits erledigt), tanzen das Entrèe (auch absolviert), dann folgen Variationen für den Tänzer (läuft gerade), dann jene für die Tänzerin (auf dem Programm 2013, im deutschen Wahljahr), und dann kommt irgendwann die Coda, die das ganze (hier: europäische) Werk zusammenfasst. Schließlich: Beifall, hoffentlich.

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