Die CDU befindet sich gerade auf einem verhängnisvollen Weg. Er ist geprägt von strategischen und taktischen Fehlern, deren Fortsetzung sie bei den Wählern in Verruf bringen wird. Hinzu kommen Fehleinschätzungen, was die Anwärter für die Spitzenposten der Partei betrifft, die begleitet werden von Häme und übler Nachrede. Das alles ist kein Erfolgsrezept für die CDU, sondern ein Symptom für offenbare Lust am Untergang.
Das Feld der Bewerber um den Parteivorsitz der Union ist seit Monaten unverändert: Armin Laschet tritt gemeinsam mit Jens Spahn an, der eine um den Vorsitz, der andere um den Stellvertreterposten. Er führt als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen seine Koalition mit ruhiger Hand. Seine Politik ist erfolgreich: Hartes Durchgreifen bei der Inneren Sicherheit, erhebliche Investitionen in den Bildungsbereich, kraftvolle Initiativen bei der nach dem Kohleausstieg notwendigen Umstrukturierung der Wirtschaft. In der Corona-Krise hat Armin Laschet einen klugen Kurs gesteuert, indem er den vorübergehenden Lockdown zwar entschieden mittrug und (selbst im Schulunterricht) auf den notwendigen die Abstands- und Hygieneregeln besteht, aber zugleich immer die drastischen bildungspolitischen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen ins Kalkül zieht.
Das erweist sich jetzt als umso wichtiger, als erhebliche wirtschaftliche Abstürze noch bevorstehen, wenn die Möglichkeiten der künstlichen Ernährung des Staates für die Wirtschaft enden. Und da andere die schieren Corona-Zahlenwerke schon ins Feld geführt haben: Nordrhein-Westfalen hat bei allem besser abgeschnitten als etwa Bayern, und bürokratische Schlampereien vom Ausmaß der jüngsten Corona-Grenzkontrollen in Bayern hat es am Rhein nicht gegeben. Kein Wunder, dass einigen Journalisten schon dämmert, womöglich habe man Laschet bisher „unter-“ und andere „überschätzt“.
Mit Laschet hat die Union einen Spitzenmann, der über einen Erfahrungsschatz verfügt, der allen anderen (Merz, Röttgen, Spahn, Söder) fehlt: Als Abgeordneter im Bundestag und im Europa-Parlament, als Landesminister, als effizienter Ministerpräsident, als stellvertretender Bundesvorsitzender seiner Partei. Er kämpft für die Arbeitnehmer, indem er eine starke Wirtschaft fördert. Und auch die anderen Eigenschaften stehen der CDU gut an: Laschet gilt als gebildet, klug, überlegt, als verlässlich und – das allerdings mag in der CDU mittlerweile von Nachteil sein – als unfähig zur Intrige.
Im Wahlbündnis mit Jens Spahn hat er einen Mann zur Seite, auf den ähnliche Eigenschaften zutreffen. Spahn ist als Gesundheitspolitiker profiliert und erfolgreich, wenn auch bei der Erfüllung seines Versprechens, alle Deutschen auf Corona zu testen, noch viel Luft nach oben ist: Deutschland bleibt da weit hinter Dänemark, Großbritannien, Russland, den USA, Belgien, Spanien, Italien zurück (Tests je Mio Einwohner), Stand 13. August, eben nur auf Platz 8 (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1105115/umfrage/durchschnittliche-anzahl-tests-fuer-das-coronavirus-nach-laendern-maerz/).
Auch Jens Spahn ist geradlinig als Politiker und Person, ehrlich und loyal, politisch hochbegabt, strategisch gewieft. Er ist in andere Fachbereiche sehr entwicklungsfähig und eine erstklassige junge Führungsreserve für die CDU. Gemeinsam machen Armin Laschet und Jens Spahn der Partei ein Angebot, das in alle soziologischen Gruppen und Altersstufen anschlussfähig ist. Zusammen stehen die beiden für die ganze Breite einer Volkspartei und sind – würden sie kraftvoll unterstützt – Garanten für einen Wahlsieg.
Was aber geschieht in und um die CDU? Viele ihrer Landespolitiker (zitiert werden Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Günther, Niedersachsens CDU-Chef Althusmann, CDU-Abgeordnete aus Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg) suchen ihre Spitzenleute zu demontieren, indem sie über Merz und Röttgen erst gar kein Wort verlieren und Laschet die Fähigkeit absprechen, als CDU-Vorsitzender und Kanzlerkandidat erfolgreich zu sein. Sie gehen dabei nicht immer in direkter Kritik vor, sondern können sich andere Personalien öffentlich nur „gut vorstellen“. Manche haben mit Laschet persönliche Abrechnungen offen, andere fühlen sich nicht genug gewürdigt, dritte monieren fehlendes „Format“, womit sie wohl Körpergröße meinen (als hätte das Churchill oder Napoleon an Erfolgen gehindert). Wieder andere sind der Aura des bayerischen Ministerpräsidenten Söder so intensiv verfallen, dass sie sich Markus Söder sogar als Unions-Kanzlerkandidaten imaginieren können.
Sie begeben sich damit in die Falle vieler Medien, die auf der Suche nach immer neuen schlagzeilenträchtigen Konflikten durch intriganten Kampagnenjournalismus versuchen, das Bewerberteam Laschet/Spahn zu spalten, um eine Wahlkampfdramaturgie zu schaffen, in der die Kandidaten ihrer persönlichen politischen Vorlieben (zwei Drittel der Journalisten „ticken“ links/grün) eine bessere Chance haben. (Wer mehr über die Kriterien der Nachrichtenentstehung wissen will, lese den Klassiker „Die Realität der Massenmedien“ von Niklas Luhmann, Kapitel 5.)
In Mode ist deshalb gerade, Jens Spahn in eine Kandidatur um den CDU-Parteivorsitz zu locken. Wie man aber bei der CDU auf die Idee kommen kann, Söder die Unions-Kanzlerschaft antragen zu wollen, bleibt aus mehreren Gründen rätselhaft.
Erstens: Diese CDU-Strategen offenbaren ein erbärmliches Selbstbewusstsein und ein gehöriges Stück politische Naivität. Ihnen müsste klar sein, dass sie in einem CSU-besetzten Kanzleramt nicht viel mitzureden hätten und sie von wichtigen Informationsflüssen abgeschnitten wären. Ein Kanzler hat da – Angela Merkel kennt die Rezeptur - viele Möglichkeiten. Sie provozieren ein Verzwergungsprogramm für ihre eigene Partei und bieten der CSU die Plattform, auf der sie sich – endlich, werden viele Bayern sagen – bundesweit ausdehnen kann.
Zweitens: Sie senden das Signal, sie hätten keinen eigenen Kanzlerkandidaten von Format anzubieten. Das ist barer Unsinn. Andere Parteien würden sich nach einer ähnlich respektablen Bewerberrunde die Finger lecken.
Drittens: Einer offen angestrebten rot-rot-grünen Allianz könnte die Union keinen größeren Gefallen tun, als mit einem rechtskonservativen Kandidaten in die Bundestagswahl zu ziehen. Die frühzeitige Aufstellung von Olaf Scholz zum Spitzenmann einer solchen Konstellation sollte (auch für die Merz-trunkene Wirtschaft) ein Warnsignal sein, jetzt nicht den Sozialflügel der Union preiszugeben, sondern ihn durch ihren Spitzenkandidaten zu verteidigen – also durch Armin Laschet in Kombination mit einem Team aus guten Fachpolitikern für wie Jens Spahn, Friedrich Merz, Norbert Röttgen und anderen PolitikerInnen.
Viertens: Wie oft muss Markus Söder eigentlich noch sagen: „Mein Platz ist in Bayern“, bis man ihm das glaubt? Tatsächlich kann er dort auch nicht weg. Denn er hat bei den letzten Landtagswahlen 2018 das schlechteste Wahlergebnis für die CSU seit 1954 eingefahren, gegenüber 2013 ein Absturz um 10 Prozent. Daran muss er arbeiten, er kann die begonnene Aufbauarbeit nicht einfach durch Flucht abbrechen. Er regiert in Bayern solide, aber welche seiner bisherigen politischen oder Corona-Management-Leistungen in irgendeiner Weise Glorienschein-verdächtig oder kanzlerwürdig wäre, ist (jenseits seiner eindrucksvollen Gabe der Selbstinszenierung) jedenfalls nicht leicht zu erkennen.
Dabei ist ihm nicht zu verdenken, dass er den bundesweiten Mitgestaltungsanspruch der CSU immer wieder unterstreicht. Aber irgendeinen Anlass zu Überheblichkeit, insbesondere gegenüber Armin Laschet, hat er nicht. Immerhin: Noch unterließ er Verbalinjurien, wie sie von Franz Josef Straß überliefert sind. Der sprach im Blick auf Unionskollegen gerne von „Zwergen im Westentaschenformat“ oder „politischen Pygmäen“. Geholfen hat es ihm nicht.
Was also ist die Lehre? CDU und CSU sind gut beraten, sich sehr rasch und geschlossen hinter Armin Laschet zu versammeln, als eine Riege eindrucksvoller Politiker und Politikerinnen, über die die Union ja verfügt. Wenn alle an einem Strang ziehen, ist die Union unschlagbar. Wer allerdings weiter zündelt, spaltet oder mit einem Showdown in einem chaotischen Parteitag liebäugelt, wird die Partei sprengen und den Grund legen für einen Misserfolg bei allen Wahlen zwischen 2021 und 2023. Nur soll sich dann aus der Union keiner beschweren, dass Deutschland von einem rot-rot-grünen Linksbündnis regiert werden wird.