19. März 2024

Prädikat: besonders wertvoll

Die Ethikdebatten in und nach der Corona-Krise brauchen christliche Einmischung

Diese Wochen bringen die von uns gekannte Welt an ihre Grenzen. Nach dieser Krise werden, das darf man voraussagen, alte Fragen neu gestellt. Was etwa wird die Folge des Umstandes sein, dass wir aus guten humanen Gründen gegenwärtig die Kräfte der ganzen Welt aufwenden und sie zugleich einen hohen wirtschaftlichen und sozialen Preis zahlen lassen, um das Leben verhältnismäßig weniger Covid19-Patienten zu retten, wie wir dies noch bei keiner anderen Krankheit taten – nicht bei der Influenza (sie kostete 2017/2018 in Deutschland 25 100 Menschen das Leben), nicht bei den Todesfällen durch Krankenhauskeime (zwischen 10 000 und 20 000 Tote in Deutschland jährlich)? 

Zu befürchten ist, dass man schon in wenigen Monaten das Verhältnis von Freiheit und Gesundheit zugunsten der Gesundheit (und also zu Lasten der Freiheit) neu vermessen wird. Lautstark wird sich, mindestens, der Anspruch der Welt an das Individuum bemerkbar machen, im Gegenzug zur Weltsolidarität gegenüber dem Einzelnen künftig seine Selbstzerstörungen (deren Reparatur er dem Sozialversicherungssystem abfordert) zu unterlassen oder die Folgen selbst zu tragen. 

Denn von selbst wird der Mensch ihm liebgewordene Laster nicht aufgeben, etwa Nikotin, Alkohol, falsche Ernährung, mangelnde Bewegung. Er empfindet das als Ausübung seiner Freiheit, von deren Risiko er weiß. Ständig vernünftig, das will er nicht sein. Romano Guardini hat das in seinen Vorlesungen zur Ethik so formuliert: „Hinter den üblichen Aussagen über Gesundheit und Krankheit steht die Voraussetzung, der Mensch sei ein ‚normales System‘, ein Gefüge von Kräften, Tendenzen und Regulativen, das ‚in Ordnung‘ ist; auf das man sich mit der Aussage beziehen, und auf das hin man praktisch arbeiten kann. Das ist aber nicht der Fall. Wie der Mensch ist, enthält er quasi-konstitutiv den Widerspruch. Er ist von vornherein nicht einfachhin ‚gesund‘. Die Störung, die Krankheit kommt nicht nur von außen, sondern auch von innen. Sie ist dem Menschen endogen.“

Wo also soll man stehen, wenn nun das dem Individuum zustehende Maß an Freiheit neu abgeschätzt werden wird und sich totalitäre Ideologien aus allen Bereichen neue Kunden suchen? Welche Randbedingungen gibt es da? Wieviel Risiko des Lebens, inklusive des Todesfalls, darf oder muss sein? Welches Maß an Freiheit – auch der Freiheit zur Unvernunft – kann, ja muss eine freiheitliche Gesellschaft ihren Bürgern einräumen? Was gilt es da gerade für Christenmenschen zu verteidigen, wenn nicht mehr Gott, sondern der Humangenetiker Herr über Leben und Tod ist? 

Es ist Wesensmerkmal der Neuzeit, dass Wissenschaft, Religion und Politik ihre Welten voneinander getrennt haben. Gemessen an den Zuständen im Mittelalter ist das ein großer Fortschritt. Aber aus dem Eigenleben der Dinge erwächst eine Entfremdung,  die schon Guardini fragen ließ, ob nicht die Religion „immer mehr die unmittelbare Beziehung zum Leben“ verliere, ihr Weltgehalt verarme und sie auf die Bedeutung reduziert werde, als Begleiter „den Kulminationspunkten des Daseins, wie Geburt, Eheschließung und Tod, eine religiöse Weihe zu geben.“ Nun haben im Ringen um die Freiheit, das wiederkehren wird, auch die christlichen Religionen, haben die Kirchen in ihrem gesellschaftspolitischen Bezug eine neue Chance.

Die religiöse Deutungshoheit holt man sich freilich nicht durch Apokalyptik zurück: „Corona“ sei eine Strafe Gottes für die Sünden der Menschheit, das Ende sei nun nahe. Nichts davon stimmt für den aufgeklärten Christen. Aber der Mensch selbst gelangt wesensmäßig in die Nähe des Endes: Die Herrschaft des Menschen über die Natur vervollkommnet sich. Sichtbar ist, schreibt Guardini im Essay „Das Ende der Neuzeit“, dass „unsere Existenz in die Nähe der absoluten Entscheidung und ihrer Konsequenzen gelangt; der höchsten Möglichkeiten wie der äußersten Gefahren.“

Noch ist das ewige Leben, gentechnisch erzeugt, nicht Wirklichkeit, aber diese Wirklichkeit rückt näher. Diese Vorstellung ist nicht aus der Lektüre von Simone de Beauvoirs Roman „Alle Menschen sind sterblich“ entsprungen, in der der norditalienische Patriziersohn Raymond Fosca die Unsterblichkeit erlangt und die Welt in ihrem Kommen und Gehen auf ewig zu erleben und zu erleiden verurteilt ist. Nein, diese Wirklichkeit wird vielmehr in den Laboren amerikanischer Universitäten Wirklichkeit. In seinem neuen lesenswerten Buch „Das Ende des Alterns“ erläutert David A. Sinclair, Professor für Genetik an der Harvard Medical School und Pionier der epigenetischen Medizin, „warum ich das Altern mittlerweile als Krankheit – als die häufigste aller Krankheiten – betrachte, die man nicht nur aggressiv behandeln kann, sondern auch aggressiv behandeln sollte.“ Und er erläutert die anstehenden Therapien dazu.

Wer also setzt der Wissenschaft Grenzen? Jetzt in der Corona-Krise wie erst recht in einem uns für demnächst in Aussicht gestellten höchsten Triumph der Wissenschaft über die Natur wird die Religion wieder in ihr Recht gesetzt werden: Hilfe und ethische Maßstäbe zu geben bei den für Politiker schwierigen Entscheidungen, die dann anstehen, wenn der medizinwissenschaftliche Rat alleine zum Überleben nicht mehr taugt oder die Wissenschaft gar in ihrem Machtstreben gezähmt werden muss. Werden Politik und die Ethik des Christentums die gemeinsame Kraft dazu finden?

All diese Fragen entstehen im Dreieck von Religion, Wissenschaft und Kultur. Zu all dem will die Arbeit der Guardini-Stiftung und will dieser Newsletter – „Guardini akut“ – Beiträge leisten. Sie werden ihn wöchentlich erhalten. In dieser ersten Ausgabe schreibt auch Professor Ugo Perone, „unser“ Inhaber des Guardini-Lehrstuhles an der Humboldt-Universität. Er sitzt fest in seiner Wohnung im italienischen Turin und hat uns viel zu sagen.

Der Präsident der Guardini Stiftung, Prof. Michael Rutz, sieht die Entscheidungen, die uns die Corona-Krise auferlegt hat und die uns von den Naturwissenschaften noch auferlegt werden, mit gemischten Gefühlen. Michael Rutz hat in seinen leitenden Funktionen beim Bayerischen Rundfunk, als Chefredakteur von SAT1 und der Wochenzeitung „Rheinischer Merkur“ sowie in zahlreichen Fernsehfilmen und Büchern gesellschaftliche Verwerfungen analysiert. Als geschäftsführender Gesellschafter der „Prof. Rutz Communications GmbH“, Berlin, berät er Firmen und Institutionen nicht zuletzt zu diesen Themen. Zudem lehrt er als Honorarprofessor an der Hochschule für Wirtschaft und Technik in Mittweida im Fach Medientechnik. Er harrt gegenwärtig aus in seinem Heidehof in Egestorf.

Laschet runs for CDU chair

Armin Laschet announced Tuesday (February 25th) that he is running for the chairmanship of the CDU in Germany. An extraordinary party conference has been convened for the election, on April 25th in Berlin. His opposing candidates are Friedrich Merz, as well as Norbert Röttgen, who is currently the foreign policy spokesman for the CDU faction.

Of these three candidates, Armin Laschet is the one with the best prospects. He has vast political experience in different positions (European Parliament, German Bundestag, cabinet minister in Northrine-Westfalia) and is now very successful as Prime Minister of Northrine-Westfalia, Germanys biggest Bundesland. He has now formed a team with Jens Spahn, the youngest and most successful minister in Ms Merkel’s current cabinet. While Laschet covers the left-liberal/green part of the CDU, Spahn tends to be more conservative and has often come out as a conservative critic of Angela Merkel’s policies, especially on the issue of refugees. Thus, not only do the both together cover the entire spectrum of the CDU in terms of political programs, but also the age strata of society are reflected: Spahn for the young, Laschet for the middle and older voters.

Both have clearly distributed the positions. Laschet as CDU leader and CDU candidate for the chancellorship, Spahn as his vice-chairman and prospective successor, who has a great future ahead of him also because he puts personal ambition aside at the right moment in the interest of the party as a whole.

Friedrich Merz emphasizes that this fight of the candidates is now about a „decision of direction“ for the CDU, which has driven many voters to the AfD on the right side. Laschet would stand for the continuation of Merkel’s course of the CDU’s left drift. Laschet and Spahn, on the other hand, refer to the poor election results of the CDU in Hamburg last Sunday, in which the CDU lost many voters to the left (to SPD or the Greens). Therefore one could not see this one-sidedly, but had to have a good offer to the right and to the left – namely Spahn on the one hand and Laschet on the other.

In this line-up Laschet, arm in arm with Jens Spahn, now has the best chances to become the new chairman of the CDU. However, the nomination of the joint candidate for chancellor of the CDU and the Bavarian CSU will not be made before autumn, probably in the Forst months of the next year. Laschet, however, says that (in case he is elected chairman) he himself will be the CDU’s proposal. Behind the scenes it can be heard that CSU leader Söder will support Laschet’s candidacy for chancellor.

While Friedrich Merz and also Norbert Röttgen see their candidacies also as a declaration of war against Angela Merkel (she has driven both of them out of important offices), in the case of Armin Laschet’s election inner-party peace will be preserved. He has a relaxed relationship with Mrs. Merkel – although he occasionally criticizes her policies (most recently her powerless European policy). The delegates at the party conference will appreciate this peace, as Mrs. Merkel will hold the EU presidency in the second half of the year and she therefore does not need a dispute within the CDU. They also do not want to see Ms Merkel damaged in the last year of her chancellorship, because this would also damage the CDU as a whole.

Zum 9. November

Draußen regnet es. Die Konzertbesucher eilen über nassglänzendes Kopfsteinpflaster herbei, in dem sich das fahlgelbe Licht der Straßenlaternen spiegelt. Auf dem Programm steht Brahms – zuerst das Schicksalslied op. 54, dann das Deutsche Requiem. Kann man den 30. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer so begehen? Man kann.

In Berlin erinnern sich rund um das Brandenburger Tor zur gleichen Zeit Hunderttausende an dieses dramatische Datum deutscher Geschichte – den 9. November 1989, als Günther Schabowski in einer Pressekonferenz eine Anweisung des Ministerrats der DDR vorliest: Voraussetzungslose, sofortige Visavergabe für Reisen von DDR-Bürgern in den Westen, er wiederholt es für die englischsprachigen Reporter noch einmal: „Permission to leave the GDR“, und das ganze – ja, doch –  „sofort, unverzüglich“. 

30 Jahre später: Bundespräsident Steinmeier spricht von der Revolution der DDR-Bürger hin zur Freiheit, von Mut, von ungebändigter Freude und den damals geflossenen Tränen. Angela Merkel, die Bundeskanzlerin, erinnert an „glückliche Gefühle“ des Herbstes 1989, aber eben auch an die fürchterlichen Fähigkeiten, zu denen das deutsche Volk am 9. November 1938, nur 51 Jahre vorher, fähig war, der Reichspogromnacht als erstem Höhepunkt der systematischen Judenverfolgung, die in der Ermordung von Millionen Juden ihre konsequente Fortsetzung finden sollte. „Erinnerung ist nicht Asche, sondern Glut“, ruft Marianne Birthler in ihrer Rede. Auf 30 000 Zetteln, die über der Straße des 17. Juni wie ein Dach aufgespannt sind, haben Bürger ihre Wünsche aufgeschrieben für die ungewisse deutsche Zukunft, blau angeleuchtet wirkten sie wie ein himmelwärts strebender Schrei, dass alles gut ausgehen möge.

Da ist der Brahms in Lüneburg schon gut gewählt. Im „Schicksalslied“ von Hölderlin, das der Brahms’schen Komposition zugrunde liegt, ist das deutsche Wesen eingefangen: Zu den schönsten Dingen fähig, den fürchterlichsten auch. „Ihr wandelt droben im Licht/ Auf weichem Boden, selige Genien!/ Glänzende Götterlüfte/ Rühren Euch leicht,/ Wie die Finger der Künstlerin/ Heilige Saiten.“ So singt der Chor, um schließlich zu enden: „Doch uns ist gegeben,/ Auf keiner Stätte zu ruhn/, Es schwinden, es fallen/ Die leidenden Menschen/ Blindlings von einer/ Stunde zur andern,/ Wie Wasser von Klippe/ Zu Klippe geworfen,/ Jahr lang ins Ungewisse hinab.“

Und doch: Die Freude überwiegt an diesem 9. November 1989, die Erinnerung an das, was man im eigenen Leben erfahren hat, prägt besonders. Über Jahrzehnte hatte man uns gesagt: Das ganze Deutschland soll es sein, Ziel der Politik sei die Wiedervereinigung. Festgeschrieben hat man im Grundgesetz, dass die deutsche Einheit zu vollenden sei. Aber in den achtziger Jahren hat kaum jemand daran noch geglaubt. Sie kam, weil DDR-Bürger mutig waren und für ihre Freiheit kämpften. Mehr noch aber kam sie, weil das kommunistische System bankrott war, ideologisch und wirtschaftlich ausgemergelt und sich nur noch durch Lügen, Repression, Wahlfälschung und Täuschung mühsam an der Macht gehalten hatte. 

Sie kam, weil genau das auch Michail Gorbatschow und dann die westlichen Aliierten eingesehen hatten, die Deutschland einst unter sich aufgeteilt hatten. Schließlich standen sie, 1990, alle zur Idee von Freiheit und der immer versprochenen deutschen Einheit. Sie kam, weil entschiedene Politiker den Saum der Geschichte ergriffen, und es ist ganz notwendig, hier an Helmut Kohl zu erinnern, dessen politisches Denken in historischen Perspektiven entscheidend gewesen ist. Man darf sich seiner erinnern, wenn es am Schluss des „Deutschen Requiems“ heißt: „Ja, der Geist spricht, dass sie ruhen von ihrer Arbeit,/ Denn ihre Werke folgen ihnen nach.“

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