19. März 2024

Außenpolitik mit Diktatoren?

Außenpolitiker muss man nicht beneiden. Wenn sie gerade in den weltstrategischen Dimensionen ihres Fachs unterwegs sind, wenn sie Allianzen schmieden und Konflikte zu entspannen suchen, wenn sie mit den Mächtigen der Welt und deshalb auch mit Diktatoren verhandeln  –  dann fragt man sie in Pressekonferenzen und zuhause zuerst: Wie war das mit den Menschenrechten? Haben Sie den Herrn Diktator auch nachdrücklich darauf hingewiesen, dass er ein Schurke ist? Haben Sie ihm klargemacht: mit solchen Typen wie ihnen machen wir keine Geschäfte? Nein, muss der Herr Außenpolitiker dann einräumen, ich habe zwar etwas von Menschenrechten gemurmelt, laut aber habe ich ihm gesagt, er sei ein Mann von großer Weisheit, die Zukunft fest im Blick, und habe ihm für diese Zukunft in Weisheit beste Gesundheit gewünscht. Und schon gießen sich bei uns, bei den Weltmeistern des moralischen Urteils, Abscheu und Spott über unseren Außenpolitiker aus.

Dabei besteht aller Anlass, den Fachkräften der Außenpolitik hier Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Denn die Wahrheit ist, dass die Ziele der Außenpolitik vielfältig sind auch dann, wenn sie einfältig klingen: „Foreign Policy is about national interests“, Außenpolitik hat mit nationalen Interessen zu tun, hat Margaret Thatcher einmal gesagt, und so ist es auch.

Welche Interessen sind das? Zunächst geht es um Sicherheit, um die unseres Staates, eines Staatenverbundes, ganzer Regionen, der ganzen Welt. Denn die Abwesenheit von Krieg ist die wesentliche Voraussetzung für ein geordnetes Staatswesen, nur Frieden räumt den Menschen als Kollektiv und Individuen die Möglichkeit ein, ihr Leben nach den Prinzipien zu führen, die für gewöhnlich die „Menschenwürde“ ausmachen: Ein ausreichendes Maß persönlicher Freiheit, eine stabile Existenzgrundlage, ein freundliches soziales Umfeld.
Damit ist schon das zweite Ziel der Außenpolitik angesprochen: Die Wirtschaft. Nichts trägt so sehr zur Stabilität im eigenen Lande bei wie eine florierende Ökonomie. In Deutschland, dem Wirtschaftswunderland und Musterkind des Welthandels, wissen wir das am besten. Millionen Arbeitsplätze werden durch den Export in aller Herren Länder garantiert  – ohne in Frieden lebende Handelspartner, ohne gesicherte Transportwege, ohne eine verlässliche weltweite Infrastruktur ginge das alles nicht.

In den anderen Teilnehmerländern des Welthandels das gleiche Bild: Jahrzehntelang haben sie um die Teilnahme am Welthandel gebettelt, haben Zugangswege gesucht, sind der Welthandelsorganisation beigetreten, haben ihre eigenen Volkswirtschaften zur Wettbewerbsfähigkeit getrieben. Nun, da viele von ihnen die Stufen vom Entwicklungsland zum Schwellenland genommen und sich gar zu Industrienationen ausgeschwungen haben, steigt auch dort der Lebensstandard. Die Menschen haben zu arbeiten, zu essen, zu leben.

Demokratie? Wer die Welt kennt, der weiß, dass das in vielen Ländern nicht die erste Sorge der Menschen ist. Denn: Wovon lebt der Mensch?, fragte schon Bert Brecht in der „Dreigroschenoper“ – und die schlichte Antwort dort liest sich so: „Ihr Herrn, die ihr uns lehrt, wie man brav leben und Sünd und Missetat vermeiden kann: zuerst müsst ihr uns schon zu fressen geben. Dann könnt ihr reden, damit fängt es an. Ihr, die ihr euren Wanst und unsere Bravheit liebt, das Eine wisset ein für allemal: Wie ihr es immer dreht und immer schiebt, erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral. Erst muss es möglich sein, auch armen Leuten vom großen Brotlaib sich ihr Teil zu schneiden.“

Nun mag man Bert Brecht, der die Diktatur des Proletariats der DDR und ihre Protagonisten mit vielfachem Lob versah,  für einen zweifelhaften Demokratie halten.  Aber das Dilemma der Außenpolitik hat er ganz gut beschrieben: Sicherheit und Wirtschaft zuerst, erst dann die ideellen Interessen als drittem Ziel der Außenpolitik.

Warum also mit einem Diktator nur über ideelle Interessen reden, wenn  in seinem Land noch an den anderen Fronten der Menschenrechte gekämpft wird: der nämlich, friedlich zu leben und jener, ausreichend ernährt zu werden? Für Menschenrechts-Plädoyers ist Zeit und Notwendigkeit, wenn die ersten Ziele der Außenpolitik erledigt sind. Denn auch Teilhabe an der politischen Macht befriedet ein Land, und Länder mit gleichgerichteten Werteparadigmen werden miteinander auch Sicherheit und Wohlstand am besten organisieren können. Der beste Beweis ist das neue Europa, das nach dem Zweiten Weltkrieg entstand.


Die Zielkonflikte, denen sich Außenpolitik heute ausgesetzt sieht (und die sie schon immer aushalten musste), zeigen, dass zu gegebener Zeit selbst mit Diktatoren ein pfleglicher Umgang angeraten sein kann. Kim Jong Il mag der nordkoreanische Teufel in Person sein, aber er hat Atomwaffen, bedroht damit Millionen Menschen um Nordkorea herum und lässt sein Volk an Hunger leiden. Der Mann ist mitleidslos und versteht keinen Spaß: also mit ihm reden. König Abdullah von Saudi Arabien ist eine nicht ganz so finstere Gestalt, aber eben auch ein Diktator, wenn sich Diktatur als Regierungsform „durch eine einzelne regierende Person, den Diktator, oder eine regierende Gruppe von Personen (Partei, Militärjunta, Familie) mit unbeschränkter Macht auszeichnet.“  Aber die Saudis haben im Nahen Osten viel zu sagen, sie regieren auch die Welt des Öls, das wir brauchen, also reden wir freundlich mit ihnen.Und auch Gaddafi war ein Ölbaron, also haben wir ihm unsere besten Parkanlagen für seinen Zeltbau zur  Verfügung gestellt, wenn er auf Staatsbesuch weilte.

Und China? Das Land ist so viel freier als noch vor Jahrzehnten, aber es ist gewiss noch eine Diktatur, wenngleich Hu Jintao nicht allein unbeschränkt schaltet und waltet, sondern rückgebunden ist an eine Partei, deren inneres Machtgefüge bis in alle Provinzen hinein austariert wird mit dem Ziel, die beinahe 50 Ethnien des Landes in einem Staat zusammenzuhalten, um Chinas wirtschaftliche Entwicklung zu garantieren. Wie also mit Hu Jintao reden?  Er und seine Vorgänger haben China wirtschaftlich entwickelt, haben es in die Weltgemeinschaft geführt, die Chinesen sind zum größten Handelspartner, aber auch zum größten Gläubiger des Westens aufgestiegen, sie finanzieren mitterweile selbst den Staatshaushalt der USA: wie mit ihm reden? Natürlich freundlich, höchst freundlich, wir brauchen die Chinesen mehr als sie uns.

So kommt am Ende alles auf eine gewisse Ehrlichkeit an. Nur wer offen eingesteht, dass Menschenrechte und Demokratie nicht die alleinigen Ziele von Außenpolitik sind, dass ideelle Ziele zwar  gewichtige, aber im Verhältnis zu Sicherheit und Wirtschaft nachrangige Parameter politischen Handelns sein können, wird in der Außenpolitik Statur haben. Man muss, das anerkennend, keinen Wesenskern der drei Ziele aufgeben. Vielmehr lassen sie sich in eine praktische Konkordanz führen, die die Einschränkungen des Wesenskerns dieser außenpolitischen Ziele kompromisshaft minimiert.

Zuerst kommt der Friede. Dann das Essen. Dann, so haben wir gelernt, beginnt der Hunger nach Bildung. Und wer gebildet ist – zumal unter den Bedingungen des weltumspannenden Internets – der wird auch die Freiheit schätzen lernen. Sie kommt, macht man es richtig, sozusagen von selbst. Und nichts beweist das schlagender als die lange Liste der verschwundenen Diktaturen, die sich eben im Nahen Osten fortzuschreiben begonnen hat.

Guttenberg: Rückkehr?

Gegenwärtig wird Karl-Theodor zu Guttenberg keinen Gedanken daran verschwenden, ob und gegebenenfalls wann er wieder in ein öffentliches Amt zurückkehren könnte. Wahrscheinlich ist sogar, dass er nach all dem öffentlichen Druck, dem er schon vor seiner Plagiats-Affäre ausgesetzt war, die Politik künftig als eine Sphäre ansieht, die zerstörerisch wirkt und die man zum Lebensglück nicht braucht. Und die Beobachter, die Menschen im Lande stellen sich die Frage: Könnte, ja: darf so einer zurückkehren, der doch so viele durch sein Handeln enttäuscht hat?


Die Geschichte gibt eine klare Antwort: Ja. Die Namen derer sind Legion, die durch eigene Schuld in Skandale aller Art verstrickt waren und doch mit Tatkraft zurückkehrten – im Politischen von Franz Josef Strauß bis Otto Graf Lambsdorff, im Moralischen von Michel Friedmann bis Margot Käßmann, im Rechtlichen von Klaus Zumwinkel bis, vielleicht, Jörg Kachelmann. Die Liste läßt sich unendlich fortsetzen. Und immer liebt die Öffentlichkeit den Skandal, weil sie sich an ihm aufrichten kann: Als Nutriens für eigene Selbstgewissheit, deren Fassade so lange steht, als keiner daran herumkratzt. Aber sie liebt ihn auch, weil er unterhaltenden Stoff bietet, der in der Regel  Fortsetzungscharakter hat. So wird der Skandal gar zum Medienliebling, zumal in Zeiten, in denen gewichtigere Themen nicht anstehen.


Das Publikum will Stars sehen. Es will beteiligt werden an deren Aufstieg, an all den Schwierigkeiten, Stufe um Stufe nach oben zu nehmen. Und ist einer erst dort angelangt, darf er – wenn er zu sehr glänzt – auch fallen, irgendetwas wird man schon finden, und oft verleitet der eigene Erfolg zur Unachtsamkeit.
Dann ist Reue angesagt, und wiederum kommt das Publikum mit seiner Zuneigung zu Hilfe, es liebt reuige Sünder. Sie müssen sich entschuldigen, müssen entschieden Buße tun, eine gewisse Zeit abstinent sein. Dann erinnert man sich ihrer. Was macht er eigentlich? Die ersten Emissäre werden ausgeschickt, zu prüfen, ob der reuige, gedemütigte Zustand prinzipiell noch vorhanden ist, sich vielleicht mittlerweile sogar mit Selbstironie gepaart hat, also der heiter anmutenden Distanz zu sich selbst als Mischung aus Einsicht und neuem Zukunftsmut.


Dann ruft man ihn zurück. Der reuige Sünder, der wieder gesellschaftsfähig ist, besitzt einen ungleich höheren moralischen Wert als sein naseweiser, vom Leben ungeprüfter Kollege. Er wird nämlich vorsichtiger zu Werke gehen. Er wird anderen gegenüber rücksichtsvoller sein, bescheidener, wird den fehlerhaften Menschen als Normalzustand ansehen, dessen Unperfektion es mit Nachsicht einzuschränken gilt. Er wird, mit einem Wort, menschlicher sein, da jeder Mensch letztlich ein Mängelwesen ist und die Heiligkeit oft nur eine Scheinheiligkeit.


Die Causa Guttenberg wird nicht anders laufen. Der Mann hat seine Fehler gemacht, und er hat sie zugegeben und sich entschuldigt. Er wird eine Auszeit nehmen und sich reanimieren, wird zum Ausgleich all dessen, was er hat geschehen lassen, an anderer Stelle Gutes tun. Man wird ihm verzeihen, und sich dann auf seine Fähigkeiten besinnen, die er fraglos hat. Karl-Theodor zu Guttenberg ist hochintelligent, ein toller, charismatischer Manager, er verfügt über Benimm und Stil, er mag die Menschen und sie mögen ihn, und ihm ist nunmehr nichts Menschliches fremd.


So einer hat gute Chancen auf Rückkehr. Er wird – sollte sein Feld noch einmal die Politik sein – sich in allen Parteien umgeben sehen von anderen Politikern, die diesen Weg des Aufstiegs, des Falls, der Rückkehr und der öffentlichen Skandalisierung schon gegangen sind, und man wird finden: Lasst sie nun machen, das andere ist gebüßter Schnee von gestern.
Follow

Get every new post delivered to your Inbox

Join other followers: