26. April 2024

Wagenknechts Jahresend-Tief

„Leider“, twittert Sarah Wagenknecht zu Weihnachten, „gibt es viele Menschen, die zu Weihnachten einsam und erschöpft sind. Lasst uns auch 2019 Druck machen gegen die Politik der Reichen. Lasst uns die sozialen Proteste auf die Straße und vor das Kanzleramt bringen. Lasst und #Aufstehen wie die #Gelbwesten in Frankreich!“ Dazu stellt sie einen Aufsager: Wagenknecht steht vor dem Kanzleramt, trägt eine gelbe Weste, erzählt etwas von Menschen, „die schon seit Jahren von der Politik nicht mehr gehört werden“. Dabei vergisst sie zu erwähnen, dass Deutschland sich gegenwärtig in der wirtschaftlich und sozial besten Phase seiner Geschichte befindet mit einem Sozialsystem, das in der ganzen Welt seinesgleichen nicht hat.

Als Beispiel für den ausgeraubten Armen fällt ihr deshalb auch nur der Fahrer von alten Dieselautos ein, der nun „die Zeche bezahlen“ müsse, während die „Autokonzerne weiter Profite“ machten. Auch hier fehlt etwas: Dass Konzerne nichts anderes sind als die Ansammlung von Arbeitnehmern, jeder vierte Arbeitnehmer verdient sein Geld mit der Autoindustrie, die Gewinne (Wagenknecht nennt es provozierend „Profite“) braucht, um zu investieren in Forschung und Entwicklung. Und natürlich erwähnt sie auch nicht, dass die Politik durch eine irrationale Energiewende und verrückte Grenzwerte heftig dazu beigetragen hat, die Autoindustrie in Deutschland zu diskreditieren. Und sie unterschlägt auch, was es heißt, „wie die Gelbwesten in Frankreich“ zu agieren: Mit brutaler Gewalt, mit Zerstörungswut, mit Bedrohungen und Nötigung Andersdenkender. Das wünscht sich Wagenknecht für Deutschland.

Die Sache zeigt das Problem der Linken: Kapitalismus und Marktwirtschaft waren weltweit so erfolgreich, dass das Armutsproblem immer kleiner wird. Die Aussicht, reich werden zu können, schafft Produkte und Wohlstand für viele. Der Wettbewerb verhindert jede Vergeudung und zwingt zu effizienter Ressourcennutzung. Die soziale Marktwirtschaft lässt durch ihre Umverteilungsmechanismen alle an wachsendem Wohlstand teilhaben. Weil aber Armut benötigt wird, um die breite Sozialindustrie im Lande zu legitimieren, wird sie herbeidefiniert: Wer weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens hat, gilt hierzulande als arm – was das Prekariat schon statistisch perpetuiert.

Die Linke und auch die SPD haben aber die Intelligenz des Publikums unterschätzt: Die ehemaligen Arbeiter sind heute gut bezahlte Facharbeiter oder Angestellte, sie haben Zugang zu Bildung und haben ihren eigenen Stolz, nicht zu den „Armen“ gehören zu wollen. So fühlen sie sich auch von der dauernden Ungerechtigkeitsrhetorik des linken Spektrums nicht mehr angesprochen, weil sie wissen, dass aus der Ungleichheit der Ansporn zu eigenem Aufstieg und höherem Lebensstandard wächst.

Sarah Wagenknecht, die den Straßenprotest bewirbt, sollten ihre Banner einziehen. Aus ihr wird keine Jeanne d’Arc, und ihretwegen geben die Menschen ihren Verstand nicht an ihrer Revolutionsgarderobe ab.

Die Infrastruktur – Bürgerverhöhnung

Auf 2018 kann man in Deutschland dankbar zurückschauen: Ein Jahr des wirtschaftlichen Wohlstandes, des sozialen Friedens, des Fortbestands einer freiheitlichen Demokratie. Um all das beneidet uns die Welt. Zu manchem hat die Bundesregierung aktiv beigetragen, anderem stand sie zumindest nicht im Wege.

Es ist dennoch keine Häresie, wenn man zum Jahresende einen kritischen Blick auf eines der größten Probleme Deutschlands wirft: Die Infrastruktur. Sie ist in einem maroden Zustand, und die Politik hat ihn verursacht. Das beginnt mit dem Blick auf die Deutsche Bahn. Deren Probleme hat praktisch jeder Bundesbürger persönlich erfahren: Unpünktlichkeit, schlechtes Wagenmaterial, technische Ausfälle, zu wenig Bahnstrecken. Über anderthalb Jahrzehnte wurden diese Schieflagen aufgehäuft: Falsche Prognosen für den Passagierzuwachs, zu wenig Geld für modernste Züge, Kürzungen beim Personal, zu wenige und verschleppte Neubaustrecken.

Ähnlich ist es bei den Straßen: Ihre Leistungsfähigkeit konnte mit dem Zuwachs des Straßenverkehrs nicht mithalten, die Folge sind (meist schlecht organisierte) Baustellen und deshalb kilometerlange Staus. An Neubaustrecken traut man sich politisch kaum noch heran: Die Planungs- und Genehmigungszeiten erstrecken sich über Jahrzehnte, eine politisch verursachte Kompliziertheit vor allem des Umweltrechts und das undemokratische und überflüssige Verbandsklagerecht sorgen für ständigen Gegenwind von allerlei Verbänden, deren Bedeutsamkeit durch eine grün-willfährige Publizistik aufgeblasen wird. Gleiches gilt beim Bau von Schifffahrtsstraßen und der Erweiterung von Flughäfen.

Maroden Straßen folgen insuffiziente Energienetze. Die Energiewende – gut gemeint, aber miserabel gemanagt – braucht leistungsstarke Transportwege, um den Windkraftstrom der Nordsee nach Süden zu bringen: Doch auch hier behindern die politisch eingeräumten Blockademöglichkeiten von undemokratischen Nichtregierungs-Organisationen die Realisierung über Jahrzehnte. Derweil schließt die Bundesregierung Atomkraft- und Kohlekraftwerke, promoviert aber zugleich eine batteriegespeiste Elektromobilität: Das führt Deutschlands in energiepolitische Armenhaus Europas, belastet die Bürger finanziell massiv, führt zu sozialen Schieflagen und hohen Budgetkosten. Zudem werden wir mehr denn je abhängig von den Nachbarn und entfernteren Lieferanten wie Russland oder Saudi-Arabien: Schlechte Politik.

Auch die digitale Infrastruktur ist eine wirkliche Katastrophe. Städte, Ballungszentren und ländliche Regionen sind mit Mobilfunk und Internet schlecht versorgt, Deutschland ist Entwicklungsland, steht auf dem Niveau von Albanien. Die vielen Akteure, die in diesem Zukunftsspiel mitmischen, vermitteln indessen nicht den Eindruck, als sei es ihnen eilig, die Bundesnetzagentur im Bremserhäuschen allen voran. Leidtragende sind auch hier die Bürger und die Zukunftschancen der Wirtschaft.

Betrachtet man diese Beispiele oder auch die vollkommen verfehlte regierungsamtlich beförderte Hatz auf die deutsche Automobilindustrie und ihre Arbeitsplätze, dann kann man verstehen, dass viele Bürger den Respekt vor dem Staat und seinen Instanzen verlieren. Wer merkt, dass zwar die Finanzämter sowie alle Blitzgeräte an deutschen Straßenrändern zum Wohle der öffentlichen Finanzen funktionieren, nicht aber die Infrastruktur, der fühlt sich ausgenommen, unbeachtet, ja: verhöhnt. Hier hat der Staat 2019 Korrekturbedarf: Die Interessen der Bürger wieder in den Mittelpunkt zu rücken.

Werbung für Abtreibung? Nein!

Erneut gibt es in Deutschland eine heftige Debatte um die Abtreibung. Diesmal geht es um die Frage, ob man für Abtreibung werben darf, wenn auch nur insoweit, als auf den Webseiten der einschlägigen Arztpraxen alle Informationen dazu bereitgestellt werden dürfen. Die Argumente sind jene, die auch schon bei der heute gültigen Neuregelung der rechtlichen Folgen eines Schwangerschaftsabbruches ins Feld geführt wurden: Während die eine Seite argumentiert, über das Lebensrecht eines Embryos dürfe nur die schwangere Frau selbst entscheiden, billigen die Gegner einer Abtreibung dem Embryo ein eigenes Lebensrecht zu, das strafrechtlich vom Staat zu schützen sei.

So ist auch heute noch die Lage. Abtreibung ist strafbar, wird aber unter bestimmten festgelegten Voraussetzungen (Pflicht zur Schwangerschaftskonfliktberatung und dann dreitätige Bedenkzeit) nicht verfolgt. Diese Rechtslage zwingt auch dazu, Werbung für die Abtreibung nicht einfach zu erlauben. Deshalb hatte eine Gießener Ärztin vor Gericht auch eine Geldstrafe hinnehmen müssen, die auf ihrer Webseite auf ihre Abtreibungspraxis hingewiesen und Informationen dazu ins Netz gestellt hatte. Das war „illegale Werbung“.

Tatsächlich kann vom Staat nicht Werbung für eine Handlung hingenommen werden, die unter Strafe steht, in diesem Fall die Schwangerschaftsunterbrechung durch Abtreibung. Das macht auch einen Kompromiss eigentlich unmöglich, es sei denn, man verrenkt sich so, wie man das schon bei der gegenwärtigen Konfliktlösung 1995 getan hat: Strafbar ja, aber keine Verfolgung. Dieses Prinzip der Nichtverfolgung einer strafbaren Handlung darf aber keine Schule machen. Unser Rechtssystem ist auf Verlässlichkeit aufgebaut, alle getroffenen Regelungen müssen für alle gleichermaßen gelten, sie müssen einklagbar und überprüfbar sein. Das Parlament sollte sich hüten, die Eindeutigkeit des Strafrechts weiter zu unterhöhlen.

Die Gegner des Werbeverbots argumentieren, es ginge ja nicht um Werbung, sondern nur darum, abtreibungswilligen Frauen entsprechende Informationen zur Verfügung zu stellen. Dazu reicht es freilich aus, die Arztpraxen zu benennen, in denen solche Eingriffe durchgeführt werden. Dort sind dann alle notwendigen Informationen zu bekommen, und dieser Gang zu einer Beratung ist angesichts der Schwere des Eingriffs und auch der Entscheidung dazu zumutbar. Mit Antifeminismus hat das gar nichts zu tun.

Es ist auch unfair, jene zu diffamieren, die dem Embryo schon ein Lebensrecht zusprechen und dabei den Satz zitieren: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Denn wer dem Menschen, der im Embryo vollends angelegt ist, ein eigenes Lebensrecht zuspricht, steht ethisch jedenfalls auf jenem sicheren Boden, auf den sich eine humane Gesellschaft unbedingt begeben muss.

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