20. April 2024

Brexit – nun wieder Brüssel

Das Brexit-Problem hat nun wieder Brüssel erreicht. Dort weiß man die Botschaft, die das britische Parlament mit seiner Ablehnung des ausgehandelten Austrittsabkommens gesendet hat, freilich nicht zweifelsfrei zu lesen. Was genau wollen die Briten? Dieses Abkommen, allerdings geändert in der irisch-nordirische Grenzfrage? Lehnen sie nur die darin festgelegte Freizügigkeit ab? Oder wollen sie gar kein Abkommen – „leave means leave“, also einen harten Brexit ohne jede Bindung an die EU und daher völlig frei in der Vereinbarung von Handelsverträgen mit anderen Staaten? Oder haben Abgeordnete gegen dieses Abkommen gestimmt, weil sie wie bisher in der EU bleiben wollten?

Ehe die britische Regierung gültige und in London mehrheitsfähige Antworten darauf nicht gegeben hat, wird Brüssel sich nicht bewegen können. Ohnehin ist die Europäische Union an den Rand dessen gegangen, was im Sinne eines Zusammenhalts der EU verantwortbar ist. Die EU ist in ihrem politisch-ökonomischen Teil von vier Grundfreiheiten geprägt, die für jedes Mitglied gelten: dem freien Warenverkehr, dem, freien Kapitalverkehr, dem freien Dienstleistungsverkehr und dem freien Personenverkehr. Der Zorn richtet sich (nicht nur in London) gegen diese letzte Freiheit: Befürchtet wird eine ungezügelte Migration. Tatsächlich aber ist mit dieser Freiheit nicht die freie Wanderung von Flüchtlingen intendiert, vielmehr sollen auf diese Weise die anderen drei Freiheiten ermöglicht werden: Freier Handel, freier Kapitalverkehr und ein freier Flow von Dienstleistungen lassen sich ja nicht anders gewährleisten als durch die Niederlassungsfreiheit der Menschen, die sie vor Ort anbieten und durchführen.

Selbstverständlich ist auch: Wenn man frei miteinander handelt, müssen alle Beteiligten sich auf gewisse Standards bei den gehandelten Gütern, aber auch in der Sozialpolitik einigen, um Dumpingpreise und Dumpinglöhne auszuschließen. Das kann auch im Falle Großbritanniens nicht anders geschehen. Mit Knebelung hat das nichts zu tun, eher mit humaner Fairneß. Deshalb finden sich solche Regelungen beispielsweise auch im CETA-Abkommen mit Kanada: 98 Prozent aller Zölle wurden damit abgeschafft, für Produkte und soziale Rahmenbedingungen gelten gemeinsame Standards, europäische Unternehmen können sich an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen und ihre Dienstleistungen anbieten, europäische Qualifikationen werden in Kanada anerkannt, EU-Standards bleiben unangetastet. Und niemand in Kanada hält das für eine „Knebelung“ durch die EU.

Es gibt also für die Europäische Union nicht den geringsten Grund, am ausgehandelten Vertrag irgendetwas zu ändern. Die Industrie sieht die Folgen mit Sorge, aber übergroß ist diese Sorge nicht, weshalb auch BDI-Präsident Dieter Kempf vor Konzessionen warnt. Käme es zum geregelten Brexit mit Abkommen, wüchse Deutschlands Wirtschaft 2019 um 1,5 Prozent, bei ungeregeltem Austritt sind es immer noch 1 Prozent. Das ist hinnehmbar.

Zu großes Entgegenkommen könnte das bilaterale Aushandeln von Handelsverträgen, also unsolidarische „Rosinenpickerei“, wieder attraktiv machen. Damit freilich würde letztlich der ganze europäische Verbund aufgelöst. Wer aber die EU auf wirtschaftliche Zusammenarbeit begrenzen will, der muss bedenken, dass sich ein Europa nur loser Zusammenschlüsse um seine Zukunft bringt. China und die USA werden die Welt unter sich aufteilen, wenn Europa keine Gegenmacht bildet – im Außenpolitischen, im Militärischen, im deutlichen Willen, eine weltweite Rolle zu spielen. Wenn die politische Zusammenarbeit zerfällt, dann zerfällt alles andere auch, es wäre ein historisches verhängnisvolles Versäumnis kurzsichtigen nationalistischen Denkens. Das alles gilt es abzuwägen, wenn man mit England nun weiter verhandelt.

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