25. April 2024

Volksentscheide – bitte nicht!

Unter den Arbeitsgruppen, die zur Formung einer möglichen Großen Koalition gegenwärtig tätig sind, erregt eine keine besondere mediale Aufmerksamkeit. Sie trägt das Etikett „Bürgerbeteiligung/Stärkung der Demokratie“, und soll die Stichworte „Volksinitiative, Volksbefragung, Volksentscheid“ abarbeiten, dann auch noch die „Arbeitsweise des Parlaments“.

Für den, dem unsere Demokratie am Herzen liegt, läuten da Alarmglocken. Volksentscheide? Davon kann man, nach allen Erfahrungen, nur dringend abraten und hoffen, dass sich die CDU und ihr Verhandlungsführer Michael Grosse-Brömer auf keinerlei bundesweite Experimente einlassen, nachdem SPD und auch die CSU hier in manchen Bundesländern und auch in Bayern schon weich geworden sind.

Denn Volksentscheide sind nichts anderes als eine Schwächung der repräsentativen Demokratie, des Abgeordnetenmandats und des Parlaments. Sie verkürzen komplizierte, normalerweise parlamentarisch zu klärende Sachverhalte auf (zu) einfache Entscheidungs-Alternativen. Auf diese Weise geraten solche Entscheidungen
in den Sog starker Emotionalisierung, mit der die vor solchen Plebisziten stattfindenden Kampagnen regelmäßig ausgestattet sind.

Wer aber hat Zeit, solche Kampagnen zu veranstalten und diese Emotionalisierungen ins Land zu tragen? Es sind Aktivisten mit Zeit, staatlich subventionierte Mitglieder von Nicht-Regierungs-Organisationen, Pensionäre, Staatsbedienstete. Die arbeitende Bevölkerung nimmt stark unterrepräsentiert sowohl an Wahlkampf wie an Abstimmung teil. Auf diese Weise wird eine asymmetrische Demokratie erzeugt, die dem Gleichheitsgedanken von Demokratie direkt widerspricht.

Volksabstimmungen sind auch feige. Zum einen können sich gewählte Abgeordnete dann ihrer beruflich eigentlich geforderten Gewissensentscheidung entziehen, für die wir sie gewählt haben und die die Substanz des Abgeordnetenmandats auch ausmacht. Bei Volksabstimmungen aber verstecken sie sich hinter „dem Volk“. Zum anderen aber gibt es keine Möglichkeit der Verantwortungs-Zuweisung mehr für die Folgen solcher Entscheidungen. „Das Volk“ ist, wenn die oft katastrophalen Folgen sichtbar sind (etwa beim „Brexit“), verschwunden. Wären eine ordentliche parlamentarische Debatte und Entscheidung vorausgegangen, dann stünden die Abgeordnete und ihre Parteien für die Folgen mit ihrem Namen ein.

Die problematischen Folgen solcher emotionaler Volksabstimmungen sind überall zu besichtigen: In Hamburg beim teuren Netzrückkauf oder bei der Ablehnung der Olympischen Spiele dort, in der Schweiz bei der rassistischen Ausländergesetzgebung, in Großbritannien beim Austritt aus der Europäischen Union – um nur einige Beispiele zu nennen.

Nein, Volksentscheide sind keine „Stärkung der Demokratie“, sie schwächen sie vielmehr. Darauf darf sich kein Abgeordneter mit Selbstbewusstsein einlassen.

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