29. März 2024

Bis es quietscht

Das abgenutzte Deutschland, so schluchzt es aus den Talkshows, brauche einen neuen Aufbruch, das ermüdete Personal müsse durch eine neue Politikergeneration abgelöst werden. Wo leben diese Nörgler? Deutschland befindet sich in der besten Verfassung seit Jahrzehnten, die Leute haben Arbeit und Einkommen, es lässt sich hier so gut leben wie nirgendwo, weshalb auch die halbe Welt zu uns ziehen möchte, die vorhandenen Politiker haben gut regiert. Aber es gilt: Wenn dem Esel zu wohl ist, geht er aufs Eis tanzen.

So auch der Oberton beim SPD-Parteitag: Deutschland als Jammertal, voller sozialer Ungerechtigkeiten, deren Behebung man nun der CDU/CSU abtrotzen müsse, nachverhandeln „bis es quietscht“. Diese Jammerliste ausgerechnet von Andrea Nahles vorgeführt zu bekommen, entbehrt nicht einer gewissen Chuzpe – sie war schließlich in den vergangenen vier Jahren Bundesministerin für Arbeit und Soziales der Großen Koalition, die ohnehin die politische Handschrift der Sozialdemokraten trug. Statt darauf stolz zu sein, üben sich die Sozialdemokraten in Selbstgeißelung. Sie werden nicht durch die CDU-Kanzlerin minimiert, sondern durch sich selbst.

Die SPD möchte, beispielsweise, die Ärztehonorare für die Behandlung von Privatpatienten denen für gesetzlich Versicherte angleichen, um den Anreiz zu bevorzugter Terminvergabe für Privatpatienten zu zerstören. Zerstört wird damit etwas ganz anderes: Viele Arztpraxen (gerade auf dem ohnehin schon unterversorgten Land) rechnen sich nur dadurch, dass die höheren Privathonorare die gesetzlichen Fallpauschalen gewissermaßen subventionieren. Auch will die SPD die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen abschaffen. Sie unternimmt damit einen Anschlag auf kleine und mittlere Unternehmen, die nicht wissen, wie ihr wirtschaftlichen Morgen aussieht und daher bei den Personalkosten vorsichtig agieren. Zudem möchte die SPD die Bildungskompetenz auf den Bund übertragen: Wenn das bedeutet, dass die Schulqualität sozialdemokratischer Bundesländer Allgemeinstandard werden soll, dann hat die deutsche Bildungskatastrophe ihre Zukunft noch vor sich, die gegenwärtig vom vergleichenden „Benchmarking“ (im Blick auf Bayern oder Baden-Württemberg) noch einigen Leistungsansporn erhält.

Das alles kann für die Union nicht in Frage kommen. Wenn aber der SPD das Sondierungspapier nichts mehr gilt, dann hat auch die Unions-Klientel Wünsche: Abschaffung des Soli nicht nur für kleine und mittlere Einkommen, sondern für alle; zusätzliche steuerliche Entlastung für alle forschenden Unternehmen, um Zukunftstechnologien im Lande zu halten – auch die grüne und Human-Gentechnologie sowie die forschenden Pharmaunternehmen; eine radikal durchgreifende Digitalisierungsoffensive in der Infrastruktur und in den Schulen, um den Zukunftsanschluss in allen Teilen des Landes zu ermöglichen; einen marktwirtschaftlichen Umbau der Energiepolitik; und eine Flüchtlings-Integrationspolitik, die erstens viel mehr fordert, wenn sie schon so stark fördert und die zweitens den zusätzlichen Familiennachzug geringer ausfallen lässt als vorgesehen.

Man darf gespannt sein, ob der Erfolg der Union wiederum nur in der Feststellung besteht, man habe Schlimmeres verhindern können.

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