5. Mai 2024

Gegen die Feinde der offenen Gesellschaft

Wahlkämpfe, so erinnern wir uns, fanden Ihre Spannung früher in Themen der Sozial- und Wirtschaftspolitik. Gegenwärtig aber geht es Deutschland blendend, das Land eilt von einem Export-Rekord zum nächsten, die Arbeitslosigkeit ist niedrig, die Löhne sind hoch. Diese Leerstelle nutzen rechte Parteien, Themen wieder hoffähig zu machen, von denen wir glaubten, sie gehörten der Vergangenheit an: Nationalismus, Rassismus, Intoleranz. Alte Blut- und Bodenideologien werden hervorgeholt, und mit ihnen die Instrumente der Propaganda der Nazizeit: wer anderer Meinung ist, wird niedergebrüllt.

Diese finsterste Seite Deutschlands erlebt die Bundeskanzlerin gegenwärtig bei beinahe jedem ihrer Wahlkampfauftritte im Osten Deutschlands und auch manchen im Westen. Das zeigt: Durch Deutschland geht ein Riss, die Anfälligkeit für Rechtsextremismus, Fremden- und Europafeindlichkeit ist in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ungleich größer als im Westen. Damit einher geht eine Intoleranz, die Andersdenkenden mit Trillerpfeifen, Vuvuzelas, mit Lärm und Schmähungen, mit Herabsetzungen und physischer Verfolgung den Mund verbieten will.

Was dieser Tage beispielsweise in Finsterwalde oder Bitterfeld passierte, darf nicht einfach hingenommen werden. Wer die Versammlungsfreiheit durch organisierte Tumulte stört und Kundgebungen unmöglich macht, der begeht einen Anschlag auf die Demokratie. Wenn die Polizei vor Ort schulterzuckend erklärt, sie sei da machtlos, setzt sie sich dem Verdacht heimlicher Sympathie mit den Rechtsradikalen aus.

Sie muss vielmehr hart und entschieden durchgreifen. Die Extremisten haben sich, zuletzt wieder nach den für sie weitgehend folgenlosen G 20-Krawallen, daran gewöhnt, dass der Staat ihre rechtsfreien Räume nicht schließt. Was man ihnen in Hamburg mit der Roten Flora, in Berlin am Görlitzer Park oder in der Rigaer Straße durchgehen lässt, das nehmen sie auch in Finsterwalde und anderswo für sich in Anspruch. Sie wissen: der Staat ist zu schwach, die demokratischen Kräfte zu uneins, als dass sie etwas zu fürchten hätten.

Ein auf Toleranz und Freiheit gebauter Staat braucht aber harte Intoleranz gegen jene, die Toleranz und Demokratie abschaffen wollen – die Feinde der offenen Gesellschaft. An dieser notwendigen Entschiedenheit fehlt es. Zu den größten Aufgaben der nächsten Jahre wird deshalb die Verständigung darüber zählen, wie es mit unserer Demokratie weitergehen soll. Sie ist in hohem Maße gefährdet.

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