19. April 2024

Gerechtigkeit als Wahlkampfschlager

Nun stecken wir mitten im Wahlkampf. Es geht um „mehr Gerechtigkeit“. Das ist eine wunderbare Formel für den Politiker. Wenn er sagt, etwas sei ungerecht, dann hat er die Zuhörer auf seiner Seite. Niemand will ungerecht sein. Zugleich aber kann man ihn auf ein bestimmtes Ergebnis nicht dingfest machen. Das liegt an der Unbestimmtheit des Gerechtigkeitsbegriffs. Welche Gerechtigkeit? Die Ergebnisgerechtigkeit? Die Chancengerechtigkeit?

Oder die Ungleichheitsgerechtigkeit? Denn: Tatsächlich ist es gerecht, wenn die Fleißigen mehr, die Faulen aber weniger bekommen. Denn es gibt die Verpflichtung des einzelnen, seine Talente in die Gemeinschaft einzubringen – mit materiellen Nachteilen, wenn er das versäumt oder einfach nicht will, er ist ja ein freier Mensch. Ja, das muss einer dürfen. Man darf faul sein. Also ist Freiheit auch immer Ungleichheit, ja, Ungleichheit ist zugleich deren Voraussetzung und Folge.

Niemand hört gerne, dass man Gleiches gleich und Ungleiches eben ungleich behandeln muss. Da hilft es auch nichts, dass das schon Aristoteles so gesagt hat. Aber, so hat es Norbert Bolz einmal formuliert, „Aristoteles muss irren, denn wenn man Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandeln müsste, dann wäre Gleichstellung ja der Inbegriff der Ungerechtigkeit. Das darf die politische Korrektheit auf keinen Fall zugeben.“

Unter dem Sperrfeuer der Gerechtigkeitsrhetorik brüten Politiker deshalb auch stets ihre Steuererhöhungspläne aus. Dabei stört sie nicht, dass die Steuereinnahmen so hoch sind wie nie zuvor, nun müsste man sparen und Schulden abbauen, Ausgaben kürzen im Konjunkturhoch. Aber das ist politisch unpopulär, irgendwer schreit immer. Lieber nehmen die Finanzminister in Bund und Ländern unter allerlei Vorwänden noch immer neue, zusätzliche Schulden auf.

Mehr Geld, wofür? Sozialpolitik steht ganz oben. Besser klingt allerdings, wenn man zur Begründung den zweiten Begriff ins Spiel bringt, gegen den man mit guten Gründen nichts einwenden kann: die Bildung. Natürlich ist das Bildungsproblem am wenigsten mit mehr Geld zu lösen, vielmehr käme es vorrangig auf mehr Vernunft und weniger Ideologie und Umerziehung an. Aber das ist schon wieder politisch inkorrekt. Korrekt ist: Mehr Steuern sind gut für mehr Bildung, für mehr Gerechtigkeit.

Wir besteuern die Erwerbseinkommen immer härter und wundern uns dann, wenn die einen ins Ausland flüchten oder wenn allzu viele ins Sozialsystem ausweichen und lieber nehmen als geben. So erstickt man die Unternehmungslust der Menschen. Zur Leitidee ist der zu- und umverteilende alles regulierende, alles überwachende Staat geworden, der die Menschen so viel nimmt, dass sie abhängig werden von seinen Wohltaten und seiner Gerechtigkeitsdefinition.

Das ist die Wirklichkeit. Kaum einer stört sich daran. Die Freiheit des Einzelnen stirbt in kleinen Schritten, und mit ihr der liberale Rechtsstaat, dessen Feind, sagte Carl Schmitt, die Idee des gerechten Staates ist. Und keine Partei lehnt sich hörbar dagegen auf.

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