26. April 2024

Nicht zimperlich im Cyber-War

Früher ging Wahlkampf so: Die Parteizentralen erfanden Plakate mit einem heimeligen Slogan („Für Deutschland“, oder ähnlich), stellten an die Laternenpfähle der Republik Plakate und an Ortseingänge Großplakate („Wesselmänner“) und schalteten in den Printmedien Anzeigen und im TV ein paar Spots. Die Spitzenkandidaten zogen über die Marktplätze, redeten den Wählern ins Gewissen und versprachen ihnen höhere Renten und niedrigere Steuern.

Heute reicht das nicht mehr. Wahlkämpfer müssen sich gegen Informationskampagnen wehren, die sie selber nicht steuern können, die oft nicht einmal vom politischen Gegner kommen. Über das weltweite Netz mischen Agitatoren aus anderen Ländern mit, die mit Schmähkampagnen für den einen und Lob für den anderen Kandidaten ihre eigene geopolitische Agenda verfolgen. Russland tut das gewiss, auch andere Regierungen werden sich solchen Möglichkeiten nicht verschließen, es geht ja um etwas.

Die Werkzeuge für solche aktiven Kampagnen sind mittlerweile ausgefeilt. Das ganze ist bereits zu einer Wissenschaft gediehen: Psychometrik heißt sie, und sie tut das, was ihr Name verheißt: Die Psyche der Menschen zu vermessen. Das geschieht mindestens nach fünf Kategorien: Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Geselligkeit, Verträglichkeit und der persönlichen Verletzlichkeit.

Aus den Bewegungen der Nutzer in den sozialen Netzwerken können Spezialisten so im Handumdrehen persönliche Profile erstellen. Alle Vorlieben werden aufgelistet: Aus Seitenaufrufen bei google, aus den „Likes“ bei facebook, dem Filmkonsum bei youtube oder den Musik- und Filmkäufen über die Streamingdienste lässt sich ziemlich exakt ein klarer Plan zusammenfügen, mit welchen Argumenten dieser Wähler anzusprechen ist.

Hinzu kommt, dass die Hacker gezielt Unterlagen aus dem Computern stehlen und so Halb- oder Unwahrheiten streuen. Auch sind sie in der Lage, Unsicherheit zu verbreiten und Ängste zu schüren – ein kleiner Angriff auf die Stromversorgung würde ausreichen, um eine Nation ins Chaos zu stürzen und den Ruf nach einer politisch „harten Hand“ auszulösen.

Als sicher gilt: Über Desinformationskampagnen im Netz und die Veröffentlichung gehackter Dokumente haben Russlands Geheimdienste beim Brexit und auf die Oststaaten der EU eingewirkt (Ziel: Die Zerstörung der EU), haben im US-Wahlkampf Donald Trump unterstützt (Ziel: Verhinderung der außenpolitisch härteren Gangart Hillary Clintons) und werden dies aus ähnlicher Motivation im französischen und deutschen Wahlkampf tun, um die Putin-Freundin Marine Le Pen zu fördern und die Putin-Skeptikerin Angela Merkel zu verhindern.

Merkel hat das zunächst Vernünftigste getan: Sie hat über diese Gefahren öffentlich gesprochen, um den Deutschen die Augen für solche Desinformation zu öffnen. Zugleich aber wird die Bundesregierung die Behörden in die Lage versetzen müssen, Angriffe abzuwehren – und selbst solche Kampagnen fahren zu können. Denn klar ist: Nur ein Cyber-Waffengleichstand hat jene abschreckende Wirkung, wie wir sie aus dem kalten Frieden der Nachkriegszeit noch kennen, und zimperlich dürfen wir da nicht sein.

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