17. Mai 2024

Eine Innere Mission für Deutschland

Weihnachten, so viel haben sich die Deutschen gemerkt, ist ein christliches Fest. Damit verbunden hat sich eine Tradition des Dankes, die das vergehende Jahr resümiert und mit Grußkarten und Geschenken Zeichen für solche Dankbarkeit setzt. Es ist Zeit für innere Einkehr, und die begeht man am besten in der Kirche.

Auch in diesem Jahr waren die Weihnachtsgottesdienste voll. „Stille Nacht, heilige Nacht“ singt man ungern alleine, und so stehen sie alle eng an eng, erinnern sich an die eigene mystische Kindheitsweihnacht und man möchte, dass auch die eigenen Kinder in dieser Tradition aufwachsen. So könnte der Blick in die vollen Gotteshäuser zum gedanklichen Schluss verleiten: den Kirchen geht es gut.

In Wahrheit ist das nicht der Fall. Zwar fehlt es, der guten Konjunktur wegen, nicht an Kirchensteuern, aber es fehlt zunehmend an Gläubigen. Die Austrittszahlen sind kontinuierlich hoch, die Menschen fühlen sich zwar als Christen, können aber mit der Organisation Kirche offenbar immer weniger anfangen. Die Überzeugung verbreitet sich, man könne auch ohne die Mitgliedschaft in einer Kirche ein guter Christ sein.

Tatsächlich ist die Kirchensteuer eine segensreiche Einrichtung, sie ist der Tribut des deutschen Christen für das breite soziale und kulturelle Engagement der Kirchen in Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern und vielen sozialen und caritativen Einrichtungen hierzulande und in anderen Ländern. So trägt diese Steuer dazu bei, dass diese Welt ein wenig humaner, gerechter und empathischer ist.

Aber klar ist auch: Die Kirchensteuer ist keine notwendige Bedingung des Christseins. Vielmehr ist es der Glaube, dass mit dem Tod nicht alles vorbei ist. Es ist die Überzeugung, dass nicht der Mensch Herr des Geschehens ist, sondern es einen übergeordneten Grund für zwingende Bescheidenheit gibt, einen Gott, der frei macht von irdischem Zwang. Und viele andere Gründe mehr.

Die Kirchen aber können diese Botschaft nicht in der Breite vermitteln. Das liegt an überlieferten Formen, an alten Traditionen, an der Weigerung mancher Ober-Hirten, die Lebenswirklichkeit auch für die kirchliche Seelsorge und ihre Dogmen zu akzeptieren. Die Erneuerung der christlichen Kirche, zumal der katholischen, geht nur schleppend voran. Der gegenwärtige Papst bemüht sich, aber sein „Aggiornamento“ wird torpediert von vergreisten Kardinälen wie dem ehemaligen Bischof von Köln, die – solange es ihnen ideologisch passte – Gehorsam gegenüber dem Papst verlangten, nun ihn aber selbst verweigern.

Das zeigt schon: Die Kirchen haben ein Personalproblem, das sich kontinuierlich verschärft. Noch gibt es Pastoren, die sind mit Feuereifer Seelsorger. Sie können mit Begeisterung von der freiheitsstiftenden Wirkung des Christentums predigen. Sie sind bei den Menschen vor Ort. Aber ihre Zahl nimmt ab, die Finanzierung ausreichenden Personals ist mangelhaft, Pfarrer- und Kantorenstellen (ja, von Gott muss man auch singen) werden gestrichen oder reduziert, Gotteslob auf Dreiviertelstelle und ohne Orgelklang. Das verbleibende Pfarrpersonal ist überlastet, was die Attraktivität des Berufs mindert. Nicht mehr die besten einer Familie gehen in den Dienst Gottes, sondern viele, die das Priesteramt für eine Therapie ihrer eigenen Probleme halten. Die Qualität sinkt, die Quantität auch.

Das ist ein Teufelskreis: Weniger Pastoren und Priester, weniger persönliche Berührung. Der Pfarrer von heute ist nicht mehr Teil der kommunalen Kulisse in Vereinen oder am Stammtisch, sondern ist hochmobil, er eilt durch die Gemeinden seines „Pfarrverbandes“ von Gottesdienst zu Gottesdienst. Für Jugendarbeit bleibt wenig Zeit. Wenn aber die persönliche Ansprache und das kirchliche Vorfeld einer Gesellschaft fehlen, wird der Nutzen einer Kirchenmitgliedschaft nicht mehr erkannt.

Dabei wäre das Feld für eine neue große Kampagne der „Inneren Mission“ in Deutschland bereitet. Die Menschen suchen in oft obskuren Angeboten nach Lebenssinn. Sie wollen Christen sein, wissen aber nicht, wie. Gemeinde und Gemeinschaft, die Substrat des christlichen Miteinanders sind, wären für sie Therapie. Und wenn einer mit der frohen Botschaft an der Tür klingelt, dann kommt er von den Zeugen Jehovas. Und wenn auf den Straßen von Gott geredet wird, dann stehen da Salafisten und verteilen den Koran.

Eine neue Innere Mission mit großem Einsatz ist also dringlich, wenn das Christentum sich behaupten will. Diese Botschaft aber ist in den Ämtern der Kirche noch nicht angekommen. Noch lebt es sich ja bequem. Das wird sich rasch ändern, und so wird es notwendig, in beiden Kirchen beim Personal an der Front aufzurüsten und das Geld dorthin umzuverteilen. Für die katholische Kirche stellen sich weitergehende Fragen: Warum müssen dort Priester unverheiratet sein? Warum wird Frauen der Zugang zum Priesterberuf verwehrt? Die Lehre aus allem ist: Die Kirchenhierarchen müssen sich ändern, dann ändern sich auch die zweifelnd Gläubigen. Nicht umgekehrt.

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