19. März 2024

Der Brexit – ein Kommunikationsversagen

Der Austrittsbeschluss Großbritanniens aus der EU ist die Geschichte eines massiven Kommunikationsversagens. Wer sich in europäischen Dingen genau auskennt, der weiß: Europa ist viel besser als sein Ruf. Die Idee einer Europäischen Zusammenarbeit hat ein zuvor ungekanntes Maß an Frieden, Wohlstand und auch Zusammenhalt bewirkt. In Brüssel arbeiten Heerscharen von qualifizierten Beamten daran, den gemeinsamen Markt für 500 Millionen Menschen zu ermöglichen. Sie sorgen für ein gemeinsames Rechtssystem, für vergleichbare soziale Standards, für Freizügigkeit der Arbeitnehmer: kurz: für ein lebenswertes und praktisch auch erlebbares Europa ohne Grenzen, in dem jeder gewinnt.

Doch: Über das Gute wird in den Medien selten geredet. Viel hingegen erfahren wir über Fehlentwicklungen, Krisen, Katastrophen und Konflikte. All das ist für die Medien auf der Suche nach der Aufmerksamkeit des Publikums spannender, denn Krisen bieten Emotionen und erzeugen überdies Seriencharakter, da meist viel Zeit vergeht, bis Gewinner und Verlierer feststehen.

Gewiss: In der Kontrolle ihrer eigenen Selektivität sind die Massenmedien autonom. Das wollen wir auch so haben. Die Akteure einer Demokratie, vor allem die Regierungen, entbindet das aber nicht von der Pflicht, eine öffentliche Wahrnehmung von Politik zu organisieren, die in ihrer Faktenlage vollständig ist. Denn wenn demokratische Herrschaft eine repräsentative Herrschaft ist und sie im Namen des Volkes ausgeübt wird, hat eben jenes Volk auch Anspruch darauf, die ganze Wahrheit über die politischen Institutionen , ihre Tätigkeit und ihre Agenden zu erfahren, gerade dann, wenn die Themen komplex sind. Das heißt: auch das Konstruktive, das Positive, die Erfolge müssen kommuniziert werden – worüber die Europäische Union in Gegenwart und Geschichte reichlich verfügt.

Da genügt es nicht, wenn unsere deutschen Parlamentarier ab und an ein nettes Wort über die Friedensdividende der EU verlieren, ansonsten aber über europäische Erfolge schweigen. Schlimmer noch: Bei nationalen Problemlagen neigen sie dazu, sich von Verantwortung selbst frei zu zeichnen und mit erhobenem Finger nach Brüssel zu weisen, anstatt das gemeinsame europäische Haus zu schützen. So bleibt: Brüssel als Buhmann, und so bringt man Menschen gegen Europa auf.

Die Europäische Kommission und auch die Bundesregierung stehen jetzt in der Verpflichtung, ihre Kommunikationsanstrengungen zu vervielfachen. Lethargische EU-Vertretungen sowie ein in europäischen Fragen praktisch wirkungsloses Bundespresse- und Informationsamt reichen längst nicht mehr aus. Nicht diplomatisch abgewogene und politisch gehemmte Sprache ist da notwendig, sondern eine Sprache der Leidenschaft, die die europäische Geschichte, ihre erfolgreiche Gegenwart und die große Geschichte ihres solidarischen Handelns neu erzählt. Wir brauchen ein Informationskonzert auf allen Medien unserer Zeit, gespielt von jungen Menschen, deren Zukunft die Gegner der europäischen Idee in vielen Ländern eben jetzt zu zerstören im Begriffe sind.

Sanktionsverlängerung : Ein richtiger Schritt

Keine Verordnung der Europäischen Union hat man in Moskau je so aufmerksam studiert wie die mit der Nummer 833/2014. Darin wurden am 31. Juli 2014 jene Sanktionen erlassen, die seither vor allem die russische und auch die europäische Wirtschaft schmerzen: Eine Beschränkung des Exports technologisch anspruchsvoller Wirtschaftsgüter, eine Reduzierung der Investitionsmöglichkeiten westlicher Unternehmen und eine wesentliche Einschränkung des Zugangs russischer Staatsunternehmen zu den westlichen Finanzmärkten.

Diese Sanktionen zeigten Wirkung. Für Russlands Wirtschaft geht es seither bergab, neben dem Ölpreis haben diese Maßnahmen des Westens einen erheblichen Anteil daran. Ziel ist, Russland zurückzuführen in eine konstruktive Partnerschaft, eine Friedenszone Europa. Ziel ist aber vor allem, dem Kreml den Appetit auf weitere gewalttätige Grenzverschiebungen wie auf der Krim zu verderben, vor denen eine ganze Reihe von Nachbarn im ehemals sowjetischen Einflussbereich Angst haben muss.

Derlei soll nicht wieder vorkommen, darin sind sich die Länder der Europäischen Union und ihre westlichen Partner, voran die USA, einig. Deshalb signalisieren die Sanktionen viererlei: Es muss dabei bleiben, dass Staatsgrenzen respektiert werden. Zweitens: Auch die Staaten des ehemaligen Warschauer Pakts haben das Recht, selbst über die Bündnisse zu bestimmen, denen sie politisch, wirtschaftlich oder militärisch beitreten wollen. Drittens: Europa lässt sich nicht auseinander dividieren, und die transatlantische Allianz auch nicht. Und viertens: Im Krieg der Werte, der zwischen Russland und dem Westen ganz spürbar ausgetragen wird, sind Sanktionen eine bessere Antwort als irgendwelche Belehrungen oder Resolutionen.

Aus all diesen Gründen wurde die Verlängerung der Sanktionen auch einstimmig beschlossen. Gemeinsam mit der Demonstration der Einsatzbereitschaft der Nato gibt sie ein deutliches Signal, dass der Westen nicht alles hinzunehmen bereit ist. Denn die im letzten Abkommen von Minsk vereinbarten Voraussetzungen für das Ende dieser Sanktionen – Frieden in der Ostukraine und ihre Rückkehr ins ukrainische Staatsgebiet – sind noch längst nicht erledigt.

Da ist es misslich, dass sich – nicht zuletzt durch den Druck der jeweils heimischen Wirtschaft auf ihre Regierungen – im westlichen Bündnis Erosionserscheinungen bemerkbar machen, indem manche Partner öffentlich ein gleichsam bedingungsloses Ende der Sanktionen herbeiwünschen. Wladimir Putins Kalkül freilich, sowohl das Sanktionsende als auch den unverminderten Einfluss in der Ostukraine zu bekommen, darf nicht aufgehen. Das hat Bundesaußenminister Steinmeier, einer der Architekten der Minsker Abkommen, immer wieder betont. Dass nun ausgerechnet er die im Vergleich zu russischen Manövern geradezu bescheidenen Nato-Übungen kritisiert, das ist außenpolitisch unklug, europapolitisch unsolidarisch und koalitionspolitisch ein Affront.

Geld statt Mut

Hermann Gröhe ist, gemessen an der Zahl seiner umgesetzten Ideen für das Gesundheitswesen, ein erfolgreicher Minister. Er hat mit einem „Präventionsgesetz“ gesundheitsförderndes Verhalten von der Wiege bis zur Bahre zu animieren versucht; er hat ein „Versorgungsstärkungsgesetz“ entworfen, um mehr Ärzte aus der Stadt aufs Land zu locken ; er hat eine Klinikreform beschließen lassen, um Behandlungsqualität und Bezahlung in einen direkten Zusammenhang zu bringen; er hat über ein Palliativgesetz bessere Pflegebedingungen für den letzten Lebensabschnitt ermöglicht; und er hat eine neue Stufe der Pflegereform durch das Parlament getrieben, die vor allem demente und psychisch Kranke besserstellen will.

Löblich das alles, doch eben auch teuer. Weil Gröhe auch der erste Minister ist, dem kostensparende Reformen nicht eingefallen sind, steigen die Beiträge zur Pflege- und Krankenversicherung alljährlich, und selbst die jetzt konzipierten Gegenfinanzierungen werden absehbar nicht reichen. Denn die Ausgaben für den Gesundheitsbereich liegen auch künftig deutlich über den Einnahmen. So werden bald auch die letzten Reserven verbraucht sein, etwa jene, die im Gesundheitsfonds – einer staatlichen Beitragssammelstelle – vorgehalten werden.

Da hat Gröhe der Flüchtlingsstrom dieses Jahres, der unvermittelt über Deutschland hereinbrach, gerade noch gefehlt, erweist er sich doch ebenfalls als Sprengsatz für die Krankenversicherungsausgaben. Den Bürgern aber mit der Begründung „Flüchtlinge“ höhere Beiträge im Wahljahr zumuten zu müssen, wird der Union, aber auch der SPD im Wahljahr nicht gut bekommen, wenn man die herrschende Stimmungslage richtig einschätzt. Die neusten demoskopischen Sonntagsfragen machen den Regierungsparteien jedenfalls keinen Mut dazu. Also braucht es eine für den Bürger jetzt nicht spürbare Zwischenfinanzierung, um Beitragssteigerungen zu verhindern.

Deshalb (und zum Ausbau der Telemedizin) will Gröhe jetzt 1,5 Milliarden Euro aus dem Gesundheitsfonds hinüberschaufeln zu den Krankenkassen. Er weiß, dass die Flüchtlingskosten dort erst spät im Jahr 2017 zu Buche schlagen werden, kommen in den ersten 15 Monate doch die Kommunen für die Krankheitskosten auf. Damit ist klar: er will mit dem Geld tatsächlich den Unmut über die Kostenfolgen der vielfältigen staatlichen „Reformen“ bremsen, die diese Koalition auf den Weg gebracht hat, und auf diese Kostenfolgen weist der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen schon lange unermüdlich hin.

Aber so ist es mit großen Koalitionen: Am schnellsten legt man Streit auf Kosten Dritter bei. Dieser Dritte ist der Beitrags- oder der Steuerzahler, bei dem die Rechnung aller dieser Beschlüsse unweigerlich landet. Es wäre fair, ihm das in aller Klarheit auch zu sagen, statt die Mehrkosten über Buchungstricks zu verschleiern. Zudem werden Politiker übrigens auch fürs Sparen bezahlt. Da ließen sich auch im Gesundheitssystem Milliarden heben, es bräuchte nur politischen Mut. Um den aber ist es in den gegenwärtig verzagten Zeiten nicht gut bestellt, leider.

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