25. April 2024

Das tote Pferd von München

Der Spruch zum Tage kam vom Münchner Generalstaatsanwalt Manfred Nötzel. Ein Staatsanwalt dürfe sich in einen Fall nicht so verlieben, dass er nicht loslassen könne, weshalb eine alte Weisheit der Sioux-indianer gelte: „Du musst absteigen, wenn das Pferd tot ist.“

Das Pferd, auf dem die Münchner Staatsanwältin Christiane Serini im jüngsten Deutsche-Bank-Prozess saß, war schon eine ganze Weile tot. Jeder im Gerichtssaal hatte gemerkt, dass der Vorwurf, Bank-Co-Chef Jürgen Fitschen und vier weitere ehemalige Top-Banker der Deutschen Bank hätten sich des versuchten Prozessbetruges schuldig gemacht, ein ganzes Prozess-Jahr lang ohne Beweise blieb. Der Richter schrieb der Staatsanwaltschaft das zuletzt deutlich ins Stammbuch, was die Staatsanwältin aber nicht hinderte, auch noch einen letzten der mehr als 40 Beweisanträge zu stellen, die alle keine Belege zutage förderten. Deshalb wurden die Angeklagten nun freigesprochen, „erster Klasse“, wie man so sagt. „Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse“ – nach einem mehr als einjährigen Verfahren ist das keine Kleinigkeit.

Schon dieser Umgang mit dem Geld der Steuerzahler mahnt dazu, keine Verfahren zu führen, deren Aussichtslosigkeit absehbar ist. Vor allem aber sind solche Verfahren geeignet, Zerstörungen im privaten Leben der Angeklagten anzurichten, die auch durch Freisprüche nicht mehr heilbar sind. „Semper aliquid haeret“, sagt der Lateiner, irgendwas bleibt immer hängen. In diesem Fall bleibt das Image hängen, dass bei der Deutschen Bank nur finstere und unseriöse Gestalten herumsitzen, eine Klassifizierung, die sich mittlerweile – meist unbegründet – auf die Angestellten der ganzen Branche ausgeweitet hat.

Dieser Prozess ist nur einer in einer langen Reihe von Verfahren, in denen die Staatsanwälte Spitzen aus Wirtschaft und Öffentlichkeit verfolgen. Sie machen damit klar, dass es in unserem Rechtssystem auch vor hohen Tieren keine rechtlich unangemessene Beißhemmung gibt, dass man mit Macht und Prominenz allein Schonung also nicht erkaufen kann. Andererseits – und die Fälle der Freisprüche häufen sich – darf sich die Staatsanwaltschaft nicht dem Verdacht aussetzen, aus klassenkämpferischen Motiven einen Verfolgungswahn zu entwickeln, in dem sie nur mit sehr souveränen Richtern gestoppt werden kann. In Erinnerung sind vor allem der Fall von Christian Wulff, aber auch die Fälle Kachelmann oder jüngst der Prozess gegen Ex-Porsche-Chef Wendelin Wiedeking.

Einen erheblichen Kollateralschaden verursachen diese Prozesse immer: Der Ehrgeiz, Spitzenämter anzustreben und Verantwortung auch für riskante Entscheidungen zu übernehmen, wird stark gemindert, wenn man dauernd befürchten muss, öffentlich diskreditiert zu werden. Das ist misslich für eine Gesellschaft, die in ihren Spitzenämtern die besten Leute braucht.

(25.4.16 für „Pressekorrespondenz“)

Follow

Get every new post delivered to your Inbox

Join other followers: