27. April 2024

Karl Lehmann, der große Seelsorger

Es ist kein Wunder, dass der 80. Geburtstag des Mainzer Kardinals Karl Lehmann mit großer Prominenz gefeiert wird und das Fernsehen das Fest überträgt. Denn Lehmann war es vergönnt, sein Leben als katholischer Theologe in allen Facetten auszukosten, die die weltweite Kirche zu bieten hat. Lehmann hatte in Freiburg und dann in Rom studiert und dort auch promoviert. Seine wissenschaftlichen Neigungen waren durch brillante Veröffentlichung unübersehbar, weshalb er mit 32 Jahren bereits Professor für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Mainz wurde, ehe er 1971 im gleichen Fach nach Freiburg wechselte.

Dass einer wie er Bischof werden würde, war nahezu unausweichlich. 1983 zog er ins Bischofsamt in Mainz ein, 1987 schon war der Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz – das blieb er bis 2008. Lehmann, der Dogmatik-Spezialist: Das half ihm in den dogmatisch geprägten Auseinandersetzungen der Folgezeit, die in der Weltkirche, aber auch unter deutschen Bischöfen gelegentlich mit boshafter Härte ausgetragen wurden und dies besonders, seit in einer Verirrung der kirchlichen Personalpolitik Joachim Meisner ins Kölner Bischofs- und Kardinalsamt eingezogen war.

Meisner versus Lehmann: Das war über Jahrzehnte eine Grundkonstante des innerkirchlichen Zwistes, in Personalfragen ebenso wie in Lehmanns (aber nicht Meisners) Überzeugung, dass seelsorgerliche Aspekte harte kirchliche Dogmatik überlagern dürfen, ja müssen. Die kirchenpolitischen Kriege wurden über Rom geführt: Wenn Lehmann als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz in den Vatikan kam, um für bestimmte Überzeugungen zu werben, kam Meisner dort aus der Tür oft schon heraus und hatte Stimmung gegen Lehmann gemacht. Und bei Johannes Paul II. – dem Protektor Meisners – und zu Zeiten auch bei Joseph Ratzinger fand Meisner immer wieder offene Ohren.

Lehmann ließ sich von all dem nicht von seinem seelsorgerlich bestimmten, ökumenischen Kurs abbringen. Schon, als er mit den Bischofskollegen aus Rottenburg-Stuttgart (Walter Kasper) und aus Freiburg (Oskar Saier) 1993 in einem Kanzelwort „Zur seelsorgerlichen Begleitung von Menschen aus zerbrochenen Ehen, Geschiedenen und Wiederverheirateten Geschiedenen“ für eine Liberalisierung des katholisch-kirchlichen Umgangs mit diesen Menschen und auch für eine neue Ökumene eingetreten war, wurden er und seine Kollegen aus Rom gemaßregelt. „Die Lehmann-Kirche“ galt seither den konservativen katholischen Kreisen um Meisner gleichsam als häretische Auflösungserscheinung des wahren Glaubens, die es zu bekämpfen gelte.

Die Ereignisse dieser Jahre unter Papst Franziskus zeigen nun, dass die Offenheit Lehmanns und Kaspers auch in der kirchlichen Dogmatik die Oberhand gewinnen, dass ihre menschenzugewandte Seelsorge Früchte in der katholischen Kirche trägt, die der Grund ist, dass die Katholiken seines Mainzer Bistums und viele andere Katholiken in Deutschland Lehmann so verehren. Dieser Erfolg im Wandel kirchlicher Dogmatik ist vielleicht das größte Geschenk, das man Lehmann zu seinem 80. Geburtstag machen konnte.

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