24. April 2024

Wahre Weihnachtswerte. Brief an die Kanzlerin, 30

Liebe Frau Merkel,

„manches geht zu schnell vorbei“, schreibt mir (im Blick auf den Euro) in einem Werbeprospekt die „Deutsche Gold- und Silber-Scheideanstalt“. Wer aber ein Ende des Euro fürchtet, der kauft sich Edelmetall. Denn: „Gold bleibt“, suggerieren mir die Goldhändler, gerade „Weihnachten, das Fest für wahre Werte“, „schlichte Eleganz verschenken Sie mit klassischen Degussa Goldbarren zu 1 g, 2,5 g oder 5 g“, wenn man nicht gleich für 41 923 Euro einen Kilobarren kaufen will. Es handelt sich, heißt es da, um „Geschenke für die Ewigkeit“, natürlich sind alle „sofort verfügbar“, einmal in Zürich und fünfmal in Deutschland, und hier eher nicht in Städten wie Cottbus oder Recklinghausen, sondern in Hamburg, München, Köln, Frankfurt und Stuttgart.

Zufällig griff ich mir den Goldprospekt dieser Tage als Lesezeichen für ein Buch, das ich gerade studiere: Es heißt: „Einführung in die Benediktusregel“ (von Michael Casey). Ich habe es dieser Tage bei Manufactum gekauft, wo sie ja gerne mit Dingen handeln, die ein Leben lang halten. Der heilige Benedikt hält es da eher mit der Degussa und fragt nach den Werten der Ewigkeit, allerdings mit leicht nuanciertem Ergebnis. Denn er schärft seinen Mönchen ein, dieses Leben sei ihnen lediglich als Frist gewährt zur Umkehr und zum Wachsen im Guten. Daher gebe es nur ein Ziel: die Ewigkeit des Himmelreiches. Goldbarren kommen da nicht vor.

Zu deutsch: Ein Benediktinermönch hat weder bei der Degussa noch bei Manufactum etwas zu suchen. Denn Benedikt sieht Privatbesitz – so klein, zweckmäßig oder hilfreich die Dinge auch sein mögen – als ernstes Laster an und verlangt dessen völlige Ausrottung aus dem monastischen Leben. So streng ist nicht einmal unser Sozialstaat.

Aber auch die Benediktinermönche haben es sich in dieser verordneten Kargheit offenbar aber ganz gut eingerichtet, wenn man sich ihre pracht- und energiestrotzenden Klöster von Maria Laach bis Andechs einmal näher anschaut – reges Wirtschaften und florierender Handel bestimmen das Bild, der Gelderwerb mag vom Teufel, aber für dieses Leben eben doch nützlich sein, und die benediktinischen Äbte erteilen da munter Ausnahmegenehmigungen. Benedikt hat es ja auch übertrieben, wenn er in seiner Regel 33 vorschreibt, seine Mönche dürften auch „kein Buch, keine Schreibtafel, keinen Griffel“ besitzen.

Man sieht: Währungskrisen erschrecken nur den, der über Besitz verfügt. Deshalb sind die Reden von Peer Steinbrück zum Thema auch viel lauter, aggressiver. Sie, Frau Bundeskanzlerin, haben das Thema über die Jahre eher zurückhaltend und ruhig begleitet, haben Schritt für Schritt zur Lösung beigetragen. Sofern sich ihre Lebensweise von außen beurteilen lässt, scheinen Sie dem benediktinischen Ideal jedenfalls näher als Ihr Konkurrent. Ihre Bescheidenheit, Ihr nur zurückhaltend demonstriertes Machtbewusstsein und Ihren gelassenen, analytischen Politikstil empfinden die Deutschen als angenehm.
Wir fühlten uns bei Ihnen gut aufgehoben. Dafür muss man auch einmal Danke sagen.
Mit allen guten Wünschen

Ihr

Michael Rutz

(veröffentlicht in ZEIT/Christ und Welt 52/vom 19.12.2012

Follow

Get every new post delivered to your Inbox

Join other followers: