19. März 2024

Gertrud Höhler: Die Patin. Wie Angela Merkel Deutschland umbaut. Eine Rezension.

Gertrud Höhler: Die Patin.

Wie Angela Merkel Deutschland umbaut.

Orell Füssli Verlag.

(gesendet in „Lesart“, das politische Buchmagazin von Deutschlandradio Kultur)

(Sprecherin 1, Sprecherin 2)

Was sie bezwecken will, daran lässt Gertrud Höhler keinen Zweifel: „Für alle, die die Faust noch in der Tasche haben“, so lautet die Widmung auf dem Vorsatzblatt, und das will heißen: Nun holt die Faust heraus, schlagt zu, räumt diese machthungrige CDU-Vorsitzende aus dem Weg, die die christdemokratische Partei Adenauers und Kohls in eine totalitär geführte, werte- und würdelose Gegenwart, die Republik in einen undemokratischen Sozialismus und Europa in deutsche Knechtschaft geführt hat.

So heissen denn auch die Kapitel des Buches:  „Die Wölfin und das Schweigen der Männer“, oder: „Erstes Wetterleuchten: Vorspiele für den Abschied von der Marktwirtschaft“, „Politlabor Deutschland – eine Demontage“, „Europa am deutschen Gängelband“, oder gar: „Staatsstreich als Chefsache“.

Nein, Angela Merkel ist der Publizistin gar nicht geheuer, sie hält die Kanzlerin viel mehr für ein Unglück, dem nun dringend begegnet werden müsste.

Dabei beginnt das Buch mit intelligenten und auch brillant geschriebenen Beobachtungen über den Aufstieg der Angela Merkel, die sich nach der Wende erst einmal ziemlich rational und ohne großen visionären Überschuss zurechtzufinden sucht in den neuen politischen Landschaften. Das kreidet Gertrud Höhler ihr an:

„Sie ist als Testfahrerin unterwegs, im kreidegrauen Tarnanzug, no name ohne Konturen und ohne Lack, ohne Label. Erlkönigin, würden die Autobauer sagen. Sie schaut überall mal vorbei, anonym und wie zufällig, Suchbewegungen in den Übergangszirkeln der Aufgeregten und Träumer, der Kurzentschlossenen und der Zweifler, der heimwehkranken Therapeuten des Sozialismus. Sie schwimmt unerkannt herum, weicht zurück vor Pathos und Leidenschaft in der Berliner Bürgerbewegung.“

Ähnlich ergeht es Merkel bei der SPD, „zu fertig, zu eingefahren“, landet schließlich beim Demokratischen Aufbruch, denn die, sagt Merkel später, …

(Sprecherin 2) „ … waren nicht so entschieden links, das ganze Procedere war nicht so furchtbar basisdemokratisch, es war bodenständiger.“

Dort überall sitzt sie und hört aufmerksam zu. Daraus hätte man – die lernende Angela Merkel, die Dinge klug und rational einordnend nach dem Desaster des DDR-Sozialismus – ein Lob stricken können, nicht aber Gertrud Höhler:

„Merkel spielt alle weiblichen Vorteile aus: kritische Distanz zu Ritualen, Respektlosigkeit vor Regelwerken, in denen Männer ihre Status-Rivalitäten austragen. Sie verstrickt sich nicht in Loyalitäten, das bringt ihr in beiden deutschen Szenarien der Revolution unerhörte Privilegien: Niemand legt ihr eine bleischwere Hand auf die Schulter, um sie an Schwüre zu erinnern, wie es jetzt Männer mit Männern tun. Jeder zweifelt, ob sie lange bleibt, wenn sie kommt. Da sie schweigt, entstehen keine Missverständnisse, sie hat sich nirgends verpflichtet. Zufassen wird sie erst, wenn ihr eben erwachter Machthunger ihr sagt: Beute machen. Sehr bald weiß sie: Sie kann Männer stürzen, die von Männern nicht gestürzt werden. Sie wird profitieren von den Loyalitäten der Männer mit Männern. Sie wird das Rudel erschrecken und aufspalten.“

Nun haben wir die Grundmotive beisammen, mit denen Gertrud Höhler den Erfolg der Angela Merkel erklärt: Machthunger – und „Distanz zu allen Verbindlichkeiten“, „Bindungslosigkeit“ eben.

„ … und auch wo sich Angela Merkel den Melodien der Eingangschöre anpasste, fiel ihr Auftritt abwartend aus: eine Sphinx, die sich sichtlich langweilte, wenn die Revolutionäre sich im Palaver Mut zusprachen.“

Diese Bindungslosigkeit sei heute Parteidoktrin, kritisiert Höhler und führt auf, wo überall die CDU mittlerweile einstmals linke Positionen besetzt hat: von der Familienpolitik über die Krankenversicherung und den Mindestlohn bis zur Energiewende. Sie verkennt dabei, was eine Partei ist: Letztlich ein Verein zur Erringung von Macht, der sich seine Positionen dort suchen muss, wo das Volk steht.

Das mag man bedauern, was Frau Höhler leidenschaftlich tut: Aber die von ihren Gegnern so schmerzvoll bewunderte Leistung, eine Partei wie die CDU aus ihren Tiefen der spendenverseuchten Jahrtausendwende wieder zur Macht geführt zu haben, und das gegen einen Gerhard Schröder – das ist Machtpolitik und Führungskunst, die sich anfügen an solche, die auch Herbert Wehner, Helmut Kohl und Gerhard Schröder erbracht haben, bei Kohl übrigens auch nicht ohne personalpolitisches Gemetzel, wovon Lothar Späth, Heiner Geißler und Kurt Biedenkopf gut erzählen können.

Natürlich hat Angela Merkel Mitstreiter verloren. Nicht alle Abgänge freilich gehen auf ihr Konto, was uns Gertrud Höhler aber zur Stützung ihrer These suggerieren will. Peter Müller, einst Ministerpräsident des Saarlandes, heute Bundesverfassungsrichter; Roland Koch, einst Ministerpräsident, heute Vorstandschef eines Baukonzerns; Günther Oettinger, einst Ministerpräsident, heute EU-Kommissar, Christian Wulff, beinahe für längere Zeit Bundespräsident.

Alles Karrieren, die vielleicht einer gewissen politischen Perspektivlosigkeit durch die noch länger zu erwartende Präsenz Angela Merkels geschuldet sind, die sie aber auch gefördert hat, soweit sie das konnte.

Ein Sonderfall ist der Abgang des Friedrich Merz: Höhler hat schon recht:

„Wenn ein hochkarätiger Politikgestalter wie Merz, der vielen seiner Kollegen analytisch und visionär überlegen ist, aus der Spitzengruppe gedrängt wird, so widerspricht das seiner Eignung und seinem Nutzwert so auffallend, dass nur eine ganz andere Kategorie als die Qualität des Bekämpften den Ausschlag für diesen Leichtsinn in der Parteispitze gewesen sein kann: Es ist das gnadenlose Machtkalkül der Parteichefin, das auf Eignung nur dann setzt, wenn Eignung mäßig ist und die Rivalität gegen null geht.“

Aber andererseits: Friedrich Merz hatte die Faust aus der Tasche geholt, wollte – legitimerweise – selbst Parteichef werden, er hatte die Machtfrage gestellt: Und war dann nicht stark genug, sie zu gewinnen. Dieser personalpolitische Verlust ist für die CDU bis heute spürbar, aber so sind Machtspiele eben – und sie waren schon so, bevor Angela Merkel sie für sich erfand.

Das ist die Schwäche des ganzen Buches, das sehr retardierend geschrieben ist: Es greift Grundmotive politischen Handeln und politischer Machtgewinnung und ihre Instrumentarien auf, belegt sie – wo man ihnen auch Positives hätte abgewinnen können – mit negativer Wertung und schreibt sie als Übel der jetzigen Kanzlerin zu. Dass Abwarten, dass das „Beobachten fließender Prozesse“, dass klare Entscheidungsstrukturen in gegenwärtigen Zeiten großer Umbrüche auch ein Segen sein können, das kommt Frau Höhler nicht in die Feder.

So merkt man die Absicht und ist verstimmt, und fragt sich, was die eigentliche Triebkraft für das böse Verdikt dieses Buches über Angela Merkel ist: Vielleicht hat Frau Merkel Frau Höhler nicht um ihren Rat gefragt, wie dies andere Mächtige vor ihr taten, Alfred Herrhausen etwa oder Helmut Kohl. So gesehen wäre das Buch die Abrechnung einer Enttäuschten.

Frisch erpresst: Zur Kirchensteuer

Kirchensteuer als Ablasshandel

Die Amtsträger der Katholischen Kirche haben den 26. September als fröhlichen Tag erlebt. Kaum hatte das Bundesverwaltungsgericht formalrechtlich deutlich gemacht, dass man nicht kirchensteuersparend aus der öffentlich-rechtlichen Körperschaft Kirche austreten, aber in der Religionsgemeinschaft Kirche verbleiben könne, war Robert Zollitsch, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz,  „froh“ und „dankbar“ für diese „Rechtssicherheit“. Die lautet: Wer nicht zahlt, hat auch in der „Gemeinschaft des Glaubens“ nichts zu suchen.

Die Freude lässt sich, rein finanziell, verstehen. Die 4, 8 Milliarden Euro pro Jahr, die die 25 Millionen Katholiken in Deutschland allein in die Kasse ihrer Kirche spülen, (und bei den Protestanten ist das nicht viel geringer) sind ein Ruhekissen, auf dem die Organisation sich gut betten kann. Die katholische Kirche stiftet mit ihrem Geld auch gewiss viel Segen: In Krankenhäusern, Schulen, Kindergärten, in der Weltkirche. Nur dort, wo es herkommt, kommt es immer weniger an: beim deutschen Kirchensteuerzahler, in der Gemeinde.

Aber der (beruflich und familiär meist aktive) Kirchensteuerzahler möchte für sein Geld auch eine Gegenleistung sehen. Er will eine funktionierende Gemeinde vor Ort als Zentrum der Glaubenspraxis, in der die Heilige Messe am Sonntag ebenso angeboten wird wie die spirituelle Begleitung durch den Gemeindepfarrer, als biblischem Wesenskern der Kirche. Erwarten darf der Kirchensteuerzahler auch Angebote, zur christlichen Sozialsierung der Familie, vor allem der Kinder: Jugendgruppen, Ministranten- und Pfadfinderstunden, attraktive musikalische Gemeindearbeit durch einen Kantor, Förderung der christlichen Arbeitsgemeinschaften im vorpolitischen Raum. Nur solche Gemeindearbeit sichert auch den Zusammenhalt, und zwar vor Ort, wo die Gläubigen sind.

Die Wirklichkeit indes sieht anders aus: Gemeinden werden aufgelöst („zusammengelegt“), ihre Finanzmittel trotz höchster Kirchensteuereinnahmen gekürzt, ein Pfarrer muss, mit heißen Autoreifen, oft drei oder mehr Gemeinden betreuen, die Zeiten für die Heilige Messe werden revidiert, in manchen Gemeinden wird die Messe – wenn überhaupt – nur noch am Samstag angeboten. Anderes Angebot kommt, wenn nicht ein Pfarrer vor Ort mit Ruhe und Hingabe für seine Gemeindemitglieder da sein kann, gar nicht mehr zustande. Kurz: Die Kirche verlässt ihre Gläubigen.

Wie also muss man das „Allgemeine Dekret der Deutschen Bischofskonferenz zum Kirchenaustritt“ verstehen, wenn es dort heißt, Kirchenaustritt sei „eine schwere Verfehlung gegenüber der kirchlichen Gemeinschaft“, man verstoße damit gegen die „Pflicht, die Gemeinschaft mit der Kirche zu wahren“ und „gegen die Pflicht, seinen finanziellen Beitrag dazu zu leisten, dass die Kirche ihre Aufgaben erfüllen kann“?

Welche Aufgaben, wenn sie vielerorts ihrem Kernauftrag gar nicht mehr nachkommt? Ist es keine „schwere Verfehlung gegenüber der kirchlichen Gemeinschaft“, Gemeinden zusammenzulegen, Kirchen zu schließen, Kantoren abzuschaffen, kirchliche Angebote zu dezimieren aus anderen als finanziellen Gründen? Ist es keine Verfehlung der Amtskirche gegen die Gemeinschaft, die wenigen vorhandenen Priester durch den Zölibat zuerst systematisch zu vereinsamen, um sie dann aber durch die organisatorischen Folgen der Knappheit derart überzubelasten, dass sie reihenweise in gesundheitliche Probleme geraten, physisch oder psychisch ausgelaugt sind und in den Recollectio-Häusern landen – wenn sie nicht gleich ausscheiden?

Das Problem wird aber nicht etwa durch ein besseres Angebot angepackt: durch die Stärkung der Gemeinden statt ihrer Schließung; durch mehr Priester, gestützt durch weiteres Personal; durch intensive und vielfältige spirituelle Offerten; durch einen Ausbau der in der Liturgie so wichtigen Kirchenmusik; durch eine offene, fröhliche Ökumene und die Erarbeitung gemeinsamer spiritueller Angebote vor Ort; durch eine Wiederentdeckung der Prinzipien des Zweiten Vatikanums; durch einen offenen Umgang mit den Alltagsproblemen christlicher Familien, die nicht alle das Glück haben, ohne Scheidung oder konfessionshomogen durchs Leben zu kommen; oder durch eine Innere Missionierung in Deutschland, die eine selbstbewusste Kirche an die Menschen heranträgt; durch eine Umverteilung der Gelder aus den bürokratischen Überbauten und Welt-Spenden hin zu den Gläubigen vor Ort.

Statt dessen: Dekrete und Gerichts-Klagen, um das Kirchensteuersystem in Deutschland, auf katholischer wie evangelischer Seite, als sublime Erpressung zu gestalten, nicht besser als der Ablasshandel, der Martin Luther die Zornesröte ins Gesicht trieb, „wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Feuer springt.“ In den Worten des „Dekretes“: „Die aus der Kirche ausgetretene Person darf die Sakramente der Buße, Eucharistie, Firmung und Krankensalbung nicht empfangen“, und auch kirchlich begraben wird sie nicht, wenn sie nicht noch kurz vor dem Tod „irgendein Zeichen der Reue“ gezeigt hat, immerhin.

Wer also mit seinem Kirchensteuergeld nicht gemeindeferne Bürokratien unterhalten, sondern sicherstellen möchte, dass die eigene Gemeinde nicht geschlossen, ihr Personal nicht gekürzt und die Orgel und die Chöre nicht stummgeschaltet werden, hat keine Chance: wenn er am staatlich organisierten Kirchensteuersystem mit beinahe unbeeinflussbarer Verwendung nicht teilnimmt, wird er hinausgeworfen.

Das wird so nicht lange gutgehen. Die Zahl der Priester nimmt weiter ab, den (potentiell) Gläubigen wird die Dogmatik ihrer Kirche deshalb nicht mehr erklärt und infolgedessen unverständlicher. Dem amtskirchlichen Unvermögen, mit dem vielen jetzt vorhandenen vielen Geld stabile Gemeindeangebote zu sichern, folgt die Erosion des Glaubens, und dann die Erosion der Finanzmittel. Ein Teufelskreis.

Eine Kirche, deren große spirituelle Tradition eigentlich zu Selbstbewusstsein Anlass gibt, sollte diesen Teufelskreis durchbrechen können. Es ist also an der Zeit, den Priesterberuf wieder attraktiv zu machen und den gläubigen (und auch den zweifelnden) Christen in ihren Lebenssituationen zu helfen, damit sie ihre Kirchensteuern freiwillig und gerne zahlen. Das wäre weit besser, als ihnen mit ewiger Verdammnis zu drohen und ihnen – wie das Dekret es will – erst dann „mit pastoraler Hinwendung nachzugehen“, wenn sie das Austrittsdokument schon unterschrieben haben.

 

(veröffentlicht in ZEIT/Christ und Welt am 10. Oktober 2012)

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