26. April 2024

Frisch erpresst: Zur Kirchensteuer

Kirchensteuer als Ablasshandel

Die Amtsträger der Katholischen Kirche haben den 26. September als fröhlichen Tag erlebt. Kaum hatte das Bundesverwaltungsgericht formalrechtlich deutlich gemacht, dass man nicht kirchensteuersparend aus der öffentlich-rechtlichen Körperschaft Kirche austreten, aber in der Religionsgemeinschaft Kirche verbleiben könne, war Robert Zollitsch, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz,  „froh“ und „dankbar“ für diese „Rechtssicherheit“. Die lautet: Wer nicht zahlt, hat auch in der „Gemeinschaft des Glaubens“ nichts zu suchen.

Die Freude lässt sich, rein finanziell, verstehen. Die 4, 8 Milliarden Euro pro Jahr, die die 25 Millionen Katholiken in Deutschland allein in die Kasse ihrer Kirche spülen, (und bei den Protestanten ist das nicht viel geringer) sind ein Ruhekissen, auf dem die Organisation sich gut betten kann. Die katholische Kirche stiftet mit ihrem Geld auch gewiss viel Segen: In Krankenhäusern, Schulen, Kindergärten, in der Weltkirche. Nur dort, wo es herkommt, kommt es immer weniger an: beim deutschen Kirchensteuerzahler, in der Gemeinde.

Aber der (beruflich und familiär meist aktive) Kirchensteuerzahler möchte für sein Geld auch eine Gegenleistung sehen. Er will eine funktionierende Gemeinde vor Ort als Zentrum der Glaubenspraxis, in der die Heilige Messe am Sonntag ebenso angeboten wird wie die spirituelle Begleitung durch den Gemeindepfarrer, als biblischem Wesenskern der Kirche. Erwarten darf der Kirchensteuerzahler auch Angebote, zur christlichen Sozialsierung der Familie, vor allem der Kinder: Jugendgruppen, Ministranten- und Pfadfinderstunden, attraktive musikalische Gemeindearbeit durch einen Kantor, Förderung der christlichen Arbeitsgemeinschaften im vorpolitischen Raum. Nur solche Gemeindearbeit sichert auch den Zusammenhalt, und zwar vor Ort, wo die Gläubigen sind.

Die Wirklichkeit indes sieht anders aus: Gemeinden werden aufgelöst („zusammengelegt“), ihre Finanzmittel trotz höchster Kirchensteuereinnahmen gekürzt, ein Pfarrer muss, mit heißen Autoreifen, oft drei oder mehr Gemeinden betreuen, die Zeiten für die Heilige Messe werden revidiert, in manchen Gemeinden wird die Messe – wenn überhaupt – nur noch am Samstag angeboten. Anderes Angebot kommt, wenn nicht ein Pfarrer vor Ort mit Ruhe und Hingabe für seine Gemeindemitglieder da sein kann, gar nicht mehr zustande. Kurz: Die Kirche verlässt ihre Gläubigen.

Wie also muss man das „Allgemeine Dekret der Deutschen Bischofskonferenz zum Kirchenaustritt“ verstehen, wenn es dort heißt, Kirchenaustritt sei „eine schwere Verfehlung gegenüber der kirchlichen Gemeinschaft“, man verstoße damit gegen die „Pflicht, die Gemeinschaft mit der Kirche zu wahren“ und „gegen die Pflicht, seinen finanziellen Beitrag dazu zu leisten, dass die Kirche ihre Aufgaben erfüllen kann“?

Welche Aufgaben, wenn sie vielerorts ihrem Kernauftrag gar nicht mehr nachkommt? Ist es keine „schwere Verfehlung gegenüber der kirchlichen Gemeinschaft“, Gemeinden zusammenzulegen, Kirchen zu schließen, Kantoren abzuschaffen, kirchliche Angebote zu dezimieren aus anderen als finanziellen Gründen? Ist es keine Verfehlung der Amtskirche gegen die Gemeinschaft, die wenigen vorhandenen Priester durch den Zölibat zuerst systematisch zu vereinsamen, um sie dann aber durch die organisatorischen Folgen der Knappheit derart überzubelasten, dass sie reihenweise in gesundheitliche Probleme geraten, physisch oder psychisch ausgelaugt sind und in den Recollectio-Häusern landen – wenn sie nicht gleich ausscheiden?

Das Problem wird aber nicht etwa durch ein besseres Angebot angepackt: durch die Stärkung der Gemeinden statt ihrer Schließung; durch mehr Priester, gestützt durch weiteres Personal; durch intensive und vielfältige spirituelle Offerten; durch einen Ausbau der in der Liturgie so wichtigen Kirchenmusik; durch eine offene, fröhliche Ökumene und die Erarbeitung gemeinsamer spiritueller Angebote vor Ort; durch eine Wiederentdeckung der Prinzipien des Zweiten Vatikanums; durch einen offenen Umgang mit den Alltagsproblemen christlicher Familien, die nicht alle das Glück haben, ohne Scheidung oder konfessionshomogen durchs Leben zu kommen; oder durch eine Innere Missionierung in Deutschland, die eine selbstbewusste Kirche an die Menschen heranträgt; durch eine Umverteilung der Gelder aus den bürokratischen Überbauten und Welt-Spenden hin zu den Gläubigen vor Ort.

Statt dessen: Dekrete und Gerichts-Klagen, um das Kirchensteuersystem in Deutschland, auf katholischer wie evangelischer Seite, als sublime Erpressung zu gestalten, nicht besser als der Ablasshandel, der Martin Luther die Zornesröte ins Gesicht trieb, „wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Feuer springt.“ In den Worten des „Dekretes“: „Die aus der Kirche ausgetretene Person darf die Sakramente der Buße, Eucharistie, Firmung und Krankensalbung nicht empfangen“, und auch kirchlich begraben wird sie nicht, wenn sie nicht noch kurz vor dem Tod „irgendein Zeichen der Reue“ gezeigt hat, immerhin.

Wer also mit seinem Kirchensteuergeld nicht gemeindeferne Bürokratien unterhalten, sondern sicherstellen möchte, dass die eigene Gemeinde nicht geschlossen, ihr Personal nicht gekürzt und die Orgel und die Chöre nicht stummgeschaltet werden, hat keine Chance: wenn er am staatlich organisierten Kirchensteuersystem mit beinahe unbeeinflussbarer Verwendung nicht teilnimmt, wird er hinausgeworfen.

Das wird so nicht lange gutgehen. Die Zahl der Priester nimmt weiter ab, den (potentiell) Gläubigen wird die Dogmatik ihrer Kirche deshalb nicht mehr erklärt und infolgedessen unverständlicher. Dem amtskirchlichen Unvermögen, mit dem vielen jetzt vorhandenen vielen Geld stabile Gemeindeangebote zu sichern, folgt die Erosion des Glaubens, und dann die Erosion der Finanzmittel. Ein Teufelskreis.

Eine Kirche, deren große spirituelle Tradition eigentlich zu Selbstbewusstsein Anlass gibt, sollte diesen Teufelskreis durchbrechen können. Es ist also an der Zeit, den Priesterberuf wieder attraktiv zu machen und den gläubigen (und auch den zweifelnden) Christen in ihren Lebenssituationen zu helfen, damit sie ihre Kirchensteuern freiwillig und gerne zahlen. Das wäre weit besser, als ihnen mit ewiger Verdammnis zu drohen und ihnen – wie das Dekret es will – erst dann „mit pastoraler Hinwendung nachzugehen“, wenn sie das Austrittsdokument schon unterschrieben haben.

 

(veröffentlicht in ZEIT/Christ und Welt am 10. Oktober 2012)

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