25. April 2024

Der belagerte Bürger

Nun auch noch Bremen. Die Union reiht eine dramatische Wahlniederlage an die andere, und die Verunsicherung in der Parteispitze ist komplett. Verzweifelt werden die Ursachen gesucht, und gefunden hat man offenbar die Kernenergie: Ganz schnell raus, das wolle der Bürger, der großstädtische zumal, und an der Ausstiegsgeschwindigkeit werde die CDU gemessen. Also versucht sie die Grünen – die schmunzelnd zuschauen – mit immer neuen Daten zu überbieten, und zur argumentativen Begleitung der plötzlichen Energiewende hat man sich ausgerechnet einen Ethikbeirat zugelegt: als wäre es Sache eines Bischofs, über den letztlich physikalischen Befund zu urteilen, ob ausreichende alternative Energiequellen für das Industrieland Deutschland zur Verfügung stehen.

Die Beobachtung, dass die Kernenergienutzung in Deutschland nie eine freundliche Mehrheit unter der Bevölkerung hatte, ist richtig. Nur haben die Menschen stets mehr als die Kernkraft einen Zustand gefürchtet, in dem Energie knapp und teuer werden würde und die Kontinuität der Energieversorgung und damit der Arbeitsplatzbestand gefährdet ist. Dieser Zustand wird jetzt erreicht.

Von allen Seiten werden wir vor auftretender Energieknappheit gewarnt. Es sind Fachleute, die da warnen: Von den Energiekonzernen, von der OECD, von der Bundesnetzagentur. Aber die CDU und ihr wendischer Umweltminister Röttgen neigen dazu, das alles für interessensgeleitete Panikmache zu halten. Derweil spüren die Bürger die Preisanstiege auf der Energierechnung und sie beobachten, mit welcher Intensität die von ihnen gewählten Politiker daran arbeiten, diese Kosten für den Bürger weiter in die Höhe zu treiben: Zehntausende von Euro soll jeder Wohnungsbesitzer demnächst in Dämmungen und Solarmodule investieren. Einen Ausweg über den Import billigen Stroms aus dem Ausland darf es auch nicht geben, arbeitet doch der Ex-Staatssekretär Otremba gerade am Modell einer Stromimportsteuer, damit die Preisaufschläge auch garantiert saftig bleiben.

Hier wie an anderer Stelle hat der Bürger jener Schicht, die nicht von Staatszuwendungen lebt, das Gefühl, die Politik habe sich gegen ihn gewendet: Preissteigerungen überall. Energie, Krankenversicherung, Rentenbeiträge, staatliche Gebühren und Abgaben, die Steuern sowieso, die mit jedem Inflationsprozent steigen, da sich diese bürgerliche Regierung beharrlich weigert, die „kalte Progression“ durch eine Tarifkorrektur zu glätten dafür aber an anderer Stelle, etwa bei Immobilienbesitz, fiskalisch härter zugreift.
Zugleich muss man beobachten, wie leichtfertig mit unserem Steuergeld umgegangen wird, im eigenen Land und in Europa. Dabei wäre nichts als Sparen angesagt, viel fehlt ja nicht, und wir geraten angesichts unserer riesigen öffentlichen Verschuldung auf die gleiche abschüssige Bahn, auf der sich Portugal, Griechenland, Spanien und nun auch Italien sich befinden. Vor allem bräuchte es Führung, der man sich ja dann anvertrauen möchte. Aber davon ist nichts zu sehen, im Inland nicht und auch nicht in der Außenpolitik, deren Schicksal wir in Europa und darüber hinaus gegenwärtig andere und oft schwache Figuren wie Frau Ashton gestalten lassen, Deutschland ein Land der Enthaltung, der Unentschlossenheit, des Nachzügelns, der Verbeugung vor Stimmungen.

Das Problem des bürgerlichen Wählers ist damit umschrieben: Nichts gibt ihm Halt. Er fühlt sich rundum belagert. Während sich die Linke in Deutschland an immer neuen staatlichen Transferleistungen freut und während die Grünen an den Randbedingungen einer straßenprotestgeneigten Ökodiktatur basteln, hat die CDU für ihre Klientel nichts mehr übrig. Ihre Wähler beobachten lemminghaften Populismus, meist zum finanziellen Nachteil der steuerzahlenden, leistungsbereiten Menschen. Sie beobachten, dass sich plötzlich alles um einen imaginären „Großstadtbürger“ und dessen vermutete Interessen dreht, sehen ihre wieder modernen konservativ-bürgerlichen Tugenden wie Fleiß, Anstand, Benehmen, Familie vernachlässigt und fühlen sich,  wenn sie (wie die Mehrheit der Deutschen) ausserhalb von Großstädten leben, missachtet.  

Noch werden die Folgen für die Union (auch in der CSU hat diese hysterische Umwertung aller Werte Platz gegriffen) milde bedeckt von einem maßvollen Aufschwung mit vergleichsweise bescheidenen Wachstumsraten, die zudem durch künstlich niedrig gehaltene Zinsen erkauft wurden. Der Hinweis darauf zügelt auch jene Unruhe, die in den Rängen der CDU längst Platz gegriffen hat, weil die Abgeordneten aller Parlamente, vom Bundestag zu den Landtagen, von den Kreis- zu den Gemeinderäten, um ihre Posten fürchten, weil Bürgermeisterämter sonder Zahl verlorengehen. Aber diese Wachstumszeiten werden vorübergehen, die Zinsen werden und müssen steigen, da die Geldentwertung sie schon überholt. Die Wirtschaft wird dann wieder schwächer, die Energie teurer, die Steuer- und Abgabenlast größer – und dann wird die CDU inhaltlich und personell abgenagt dastehen, wenn sie nicht originäre Antworten findet auf die Frage, warum man sie eigentlich wählen soll. Als Antwort wird der Hinweis, dass es eine bürgerliche Alternative zu ihr (noch) nicht gibt, nicht ausreichen.

(Erschienen am 24.5.2011 in Christ und Welt/ DIE ZEIT)

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