29. März 2024

Einheit: Jammern hilft nicht

Die Feiern zum Tage der Deutschen Einheit lassen zunehmend weniger die Freude spüren, die mit der Wiedervereinigung eines Volkes in Freiheit verbunden sein sollte. Den Oberton geben, jedenfalls in der verbands- und organisationshörigen veröffentlichten Meinung, die Klagen darüber ab, dass gleiche Lebensverhältnisse in Ost und West noch nicht hergestellt seien. Gemeint sind vor allem: Die Arbeitslosenquote oder die Einkommensverhältnisse.

Dem liegt zunächst das Missverständnis zugrunde, einheitliche Lebensverhältnisse seien gesetzlich gefordert. Tatsächlich findet sich im Grundgesetz aber nur das Ziel der „gleichwertigen Lebensverhältnisse“, für deren Erreichung der Bund die Gesetzgebungskompetenz an sich ziehen kann. Gleichwertige Lebensverhältnisse sind freilich etwas ganz anderes als „gleiche“ Lebensverhältnisse.

Sie ließen sich auch gar nicht herstellen, weder politisch noch sachlich. Sachlich steht dem entgegen, dass in einer wettbewerbsorientierten Wirtschaft dem Unternehmer die Standortentscheidung obliegt. Man kann ihn, wie dies ja auch geschieht, mit Investitionszuschüssen in bestimmte Gegenden locken. Letztlich aber wird er sich dort ansiedeln, wo das notwendige qualifizierte Arbeitskräfteangebot vorhanden und es zu den Absatzmärkten nicht weit ist. Hinzu kommt, dass die Gegend attraktiv sein muss für qualifizierte Mitarbeiter, die man von anderswo – oft aus dem Ausland – anwerben muss. Sie müssen sich willkommen fühlen.

Politisch sind gleichwertige Lebensverhältnisse aber vor allem von den Gemeinderäten, und den Landesregierungen abhängig. In erster Linie vor Ort werden im deutschen Wettbewerbsföderalismus die Konditionen und Stimmungen gesetzt, die Erfolg oder Misserfolg ausmachen. Sachsen, das in diesem Jahr die Einheitsfeierlichkeiten ausgerichtet hat, ist dafür ein gutes Beispiel: Eine geschickte und intelligente Infrastrukturpolitik des ersten Jahrzehnts nach der Wende hat das Bundesland zu einem innovativen und gesuchten Standort gemacht. Eine nachlässige politische Bildung vieler Einwohner freilich und die daraus folgende Fremdenfeindlichkeit hat einen Teil dieser Aufbauarbeit wieder eingerissen.

Für gleichwertige Lebensverhältnisse kommt es also auf viele Faktoren an: Auf die wirtschaftliche Lage, auf die Infrastruktur an Straßen, Schienen und Kommunikation, auf Weltoffenheit, auf kulturelle Angebote. Auch sagt beispielsweise eine Lohndifferenz gar nichts – sie ergibt erst Sinn, wenn man sie ins Verhältnis zum örtlichen Preisniveau setzt, das etwa in Hamburg oder München angesichts exorbitanter Mieten sehr viel höher sein wird als in Cottbus oder Chemnitz.

Wem also an gleichwertigen Lebensverhältnissen gelegen ist, fängt am besten bei sich selber an: In der Kommune, der Region, im Bundesland, beim Ruf seiner Region. Und wenn das alles nicht hilft, hilft nur eines: „Passive“ Sanierung, Umzug dorthin, wo die Verhältnisse besser sind. Jammern und auf die Hilfe anderer warten – das ist jedenfalls nicht das geeignete Rezept.

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