24. April 2024

Von den zwei Kirchen

Dass Religionen bedeutungslos seien, kann bei Betrachtung der Welt- und auch der nationalen Diskussionslage niemand sagen. Zum einen machen gerade diese Tage rund um das christliche Weihnachtsfest den tröstenden und hoffnungsvollen  Gedanken deutlich, den Religionen in die Welt tragen können. Aber die Debatten, die im Besonderen vom Islam und jenen politischen Bewegungen ausgehen, die sich auf ihn berufen, zeigen auch, welchen Sprengstoff sie zu schaffen in der Lage sind – weltpolitisch wie auch in Deutschland.

Da ist es tröstlich, wenigstens die christliche Religion zu diesem Weihnachtsfest vergleichsweise streitfrei vorzufinden. Vor allem der Katholizismus hat zu einem inneren Frieden gefunden mit einem Papst, der sich mit Leib und Seele den sozialen Fragen dieser Welt zuwendet und der aus dieser Einheit von Rede und Handeln  seine Glaubwürdigkeit als Seelsorger bezieht. Keiner kannte ihn, als er auf den Petersplatz hinaustrat und sich der Welt vorstellte. Jeder kennt ihn heute, und wenige gibt es, denen Papst Franziskus  nicht sympathisch ist.

Das nimmt den unterschiedlichen Auffassungen über dogmatische und lehramtliche Perspektiven der katholischen Kirche ihre Schärfe. Unter den Problemen ganz vorne steht der Priestermangel, der nicht nur ein Resultat des Glaubensmangels ist, sondern auch der äußeren Umstände, die diesem Amt aus Rom und von den nationalen Kirchen mitgegeben sind, die Ehelosigkeit eingeschlossen. Andere Fragen sind angestoßen, aber noch ungelöst: Der Umgang mit konfessionsverschiedenen Ehen, der mit wiederverheiratet Geschiedenen und anderes mehr.

Immer wieder führt das zur Frage: Muss eigentlich alles lehramtlich klar geregelt sein? Wie weit kann die Kirche zugehen auf solche, deren Lebensumstände sich nicht so entwickelt haben, wie sich das für den gehorsamen Katholiken nach gegenwärtiger Lehrauffassung eigentlich gehört?

Ich erinnere mich da eines Gespräches mit dem damaligen Kardinal Ratzinger im Jahr vor seiner Wahl zum Papst. Wir erörterten den allgemeinen Relativismus, der auch vor der Kirche nicht halt mache und dessen Konsequenz für ihn als Präfekt der Glaubenskongregation war, an klaren Regeln festzuhalten. Aber, so fuhr er fort, „ es gibt eben eine Kirche des Dogmas und eine der Seelsorge“. Die erste müsse sich um klare Regeln bemühen, um den anspruchsvollen Leitfaden für ein richtiges katholisches Leben. Die zweite, die Kirche der Seelsorge, könne auch einmal über die eine oder andere Regel hinwegsehen etwa dann, wenn der evangelische Ehepartner eines Katholiken mit zur Kommunion komme. Der seelsorgerliche Gewinn übersteige den dogmatischen Verstoß, und diese Freiheit des Handelns habe jeder Priester.

Dann fügte Kardinal Ratzinger an: „Noch ein Jahr hier, dann – so habe ich es mit dem Papst besprochen – werde ich im Ruhestand nach Regensburg ziehen in ein Haus, das ich gemeinsam mit meinem Bruder gebaut habe. Und dann kehre ich zurück in die Kirche der Seelsorge und kann auch einmal anders handeln, als ich es jetzt dogmatisch verlangen muss.“ Wie man weiß, haben sich diese Regensburger Pläne zerschlagen.

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