27. April 2024

Angela Zackig. Brief an die Kanzlerin, 5

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin, liebe Frau Merkel,
 
wenn man Kanzler ist, hat man keinen Urlaub. Immer lungern die Sicherheitsbeamten umher. Ständig kommen Anrufe. Boten mit Akten sind allgegenwärtig. So ging es Konrad Adenauer, als er in Cadenabbia am Comer See urlaubte. So war es bei Helmut Kohl am Wolfgangsee. Und so ergeht es Ihnen.
Gut, das Schicksal ist selbstgewählt. Vielleicht gelingt Ihnen aber doch etwas Erholung, denn wir brauchen Sie ausgeruht. Deutschland scheint zwar ganz aufgeräumt. Aber dieser Zustand ist, wie jeder weiß, brüchig. „Schönen  Sommer, Frau Merkel… der Herbst wird anstrengend“, titelte gerade eine Sonntagszeitung. Das kommt wohl so.
 
Das Euro-Desaster ist ja noch nicht zu Ende. Und jeder weiß, dass die Lösung „weniger Europa“ heißt, sondern „Mehr!“. Das Problem hat der Deutsche Bundestag bereits vor 61 (!) Jahren am 26. Juli 1950 in einer Entschließung formuliert: „In der Überzeugung, dass die gegenwärtige Zersplitterung Europas in souveräne Einzelstaaten die europäischen Völker von Tag zu Tag mehr in Elend und Unfreiheit führen muss, tritt der Bundestag…  für einen europäischen Bundespakt ein“, der „eine übernationale Bundesgewalt schaffen“ und sie „mit allen Befugnissen ausstatten“ solle zur Herbeiführung der „wirtschaftlichen Einheit Europas“, für „eine gemeinsame europäische Außenpolitik“, für „die Gleichheit der Rechte aller europäischen Völker“ und für eine Garantie der „Grundrechte und menschlichen Freiheiten der europäischen Bürger.“.
Damit ist die Frage der Finalität Europas gestellt: Bundesstaat oder bloß Staatenbund? Bis heute haben wir sie nicht ehrlich beantwortet. Die Antwort muss lauten: Bundesstaat, denn wir sehen durch die zersplitterte Wirtschafts- und Finanzpolitik eben jenes Elend heraufziehen, von dem unsere parlamentarischen Vorväter sprachen. Konrad Adenauer beschreibt diese aktive Europapolitik in seinen „Erinnerungen 1945 -1953“ überzeugungskräftig. Das lohnt sich nachzulesen, weil es nun darum gehen muss, den Menschen nicht weiter den Staatenbund vorzugaukeln.
 
Das gilt umso mehr, als – für jeden sichtbar – das amerikanische Zeitalter nach 100 Jahren zu Ende geht. Der Westen wird eingeholt von den Verschuldungsarien der letzten drei Jahrzehnte, eine permanente Verachtung der Warnungen seriöser Nationalökonomen. Politisch war es eben zu verlockend,  stets den Rattenfängern von der keynesianischen Neuverschuldungsfraktion zu folgen. Jetzt zahlen wir die Zeche: Radikaler Schuldenabbau mit entsprechendem Konsumverzicht – oder Staatspleite. Die Japaner sind pleite, die Amerikaner auch, Griechenland sowieso, in Italien, Portugal und Spanien fehlt nur wenig und auch bei uns nicht viel. Wir Bürger wissen das und wir wollen, dass Europa und der Euro (und damit unser Erspartes) mit allergrößten Anstrengungen und seriöser, solider Sparpolitik gerettet werden. Vor uns liegt das Jahrhundert Chinas, ein schuldenfreies Land mit größten Devisenreserven, das schon diverse westliche Staatshaushalte mitfinanziert. Da wünschen wir uns nun eine Kanzlerin, die das alles offen ausspricht, die Europa brutal zum Sparen zwingt, die die Finanzpolitik aller Länder des Euro-Raumes und ihre Bürger unter die Knute einer gemeinsamen rigiden Finanzpolitik bringt, damit wir Europäer überhaupt noch eine Chance haben, uns zu behaupten.
 
Alle anderen Themen treten dahinter zurück: Die heuchlerische Debatte über Panzerlieferungen an die Saudis, deren Öl wir so dringend brauchen wie das russische Gas oder die Kauflaune der Chinesen, die wir aber ständig mit menschenrechtlichen Belehrungen traktieren. Oder die Debatte um die angeblichen „Steuersenkungen“, die in Wirklichkeit nur verhinderte Steuererhöhungen für kleine und mittlere Einkommen sind, die andernfalls durch die „kalte Progression“ immer höher besteuert werden. Oder die Energiewende, deren Ungereimtheiten nicht nur beim Bundespräsidenten für Ratlosigkeit sorgen. Also, es gibt im Herbst viel zu tun, wenn der Urlaub vorbei ist. Und dann möchte ich solche Überschriften nicht mehr lesen wie letzten Sonntag angesichts der Selbstausrufung Peer Steinbrücks zum Kanzlerkandidaten 2013: „Dr. Zauder trifft Mr. Zackig“. Ab Herbst muss es, wenn man von Ihnen spricht, heißen:  „Frau Bundeskanzlerin Dr. Angela Zackig“.
 
Ihr
 
Michael Rutz(Die „Briefe an die Kanzlerin“ erscheinen in der Christ und Welt-Ausgabe der ZEIT.)

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