6. Oktober 2025

Von der Medienwirkung: Brief an die Kanzlerin, 17

Liebe Frau Merkel,

als hätten Sie mit Europa und der Bundespräsidentenwahl nicht schon Probleme genug gehabt,  drängt sich jetzt auch noch eine Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen herein. Am 13. Mai soll dort gewählt werden, nach der Wahl im Saarland am 25. März und der in Schleswig Holstein am 6. Mai.   Die Gefahr ist groß, dass die CDU im Saarland und in Schleswig-Holstein die Macht verliert und sie in Nordrhein-Westfalen nicht gewinnt.

Zu Teilen mag das am CDU- Personal liegen, das nicht mediengängig ist. Frau Kramp-Karrenbauer im Saarland hat den Umgang mit den Fernsehkameras noch nicht gelernt und blickt bei Interviews zielsicher darüber hinweg. Jost de Jager in Schleswig Holstein ist diesbezüglich dem bundespolitisch versierten Thorsten Albig von der SPD unterlegen. Und Norbert Röttgen wirkt immer wie ein Einserschüler, dessen sichtbarer Ehrgeiz sich als Sympathiebarriere erweist.

Ohne Fernsehen ist aber kein Wahlerfolg zu machen. Jeder Erwachsene schaut mehr als drei Stunden täglich fern, von dort bezieht er seine politischen Einstellungen. Die aber werden in diesem Medium nicht über die Informationen geformt, sondern über Emotionen. Fernsehen ist ein bildhaftes Medium, Bilder transportieren Gefühle, Talkshowgäste auch. Wer es nicht schafft, dort charismatisch und sympathisch zu wirken, der hat schon verloren.

Auf andere Medien ist ja auch kein Verlass mehr. Man kennt nicht einmal mehr das Gegenüber. Früher bestimmten wenige Zeitungs-Großverlage die Landschaft. Heute beachtet ein Großteil der jüngeren Wähler die Zeitung schon gar nicht mehr, sondern bedient sich im Internet. 250 Millionen Webseiten weltweit sind ein Tummelplatz für Klein- und manchmal auch schon Großverleger, ein riesiger Informations-und Meinungsmarkt. In der Kombination mit den sogenannten Social Media, allen voran Facebook, bieten sich da ganz neue, schlagkräftige und auch finanziell praktisch barrierefreie Möglichkeiten der Kommunikation, deren Akteur, aber auch deren nachhaltiges Opfer man werden kann.

Da muss man sich gut überlegen, was man mit einer Botschaft macht. Ein Fehler nur, und die ganze Kommunikationsanstrengung  ist kontraproduktiv. Für welche Zielgruppe ist meine Botschaft gedacht? Mit welchem Medium erreiche ich sie? Wer ist der ideale Botschafter? Wie muss man die Botschaft formulieren?

Hinzu kommt, dass man von den deutschen Fernsehanstalten journalistische Äquidistanz  nicht mehr erwarten kann. Journalisten begreifen sich vielmehr als Akteure und machen aus ihren politischen Neigungen kein Hehl – ein verhängnisvoller Trend, der selbst schon die Tagesschau erfasst hat und der für die CDU beklagenswert ist, denn die Mehrheit der öffentlich-rechtlichen Programm-Macher sehen lieber rot-grün als schwarz-gelb. Im Takt täglicher Talkshows gerät das zum medialen Trommelfeuer, das Wirkung zeigt.

Da werden Sie Ihr Bodenpersonal nicht alleine lassen. Die nächsten acht Wochen werden Sie wohl mehr als Parteivorsitzende agieren denn als Kanzlerin, auch für Sie selbst geht es um viel. Wenn die CDU bei den Wahlen in diesem und im nächsten Jahr die Macht verliert, ist auch die Ihre dahin.

Auf Ihre Argumente sind wir gespannt.

(Die „Briefe an die Kanzlerin“ erscheinen in der Christ und Welt-Ausgabe der ZEIT.)

 

Der Hoffnungsträger der FDP

Nun haben sie ihn zum Hoffnungsträger gewählt, der die FDP aus ihrer Misere herausführen soll: Christian Lindner ist ab sofort nicht nur Spitzenkandidat der FDP für Nordrhein-Westfalen, sondern auch der Hoffnungsträger der ganzen Partei. Gelingt ihm der Einzug in den Düsseldorfer Landtag, hat  Philip Rösler die Stunde als Parteichef der Bundes-FDP geschlagen.

Der tiefe Sturz der FDP von 14,6 Prozent der Zweitstimmen im Jahre 2009 auf nunmehr zwei oder drei Prozent in den Umfragen ist einer eklatanten Vernachlässigung der Wählerschaft geschuldet.  Sie waren 2009 massenhaft von der Union zur FDP übergelaufen, weil sie in der Union einen Linksruck wahrnahmen, der ihnen missfiel. Das Angebot der FDP schien vielen attraktiv: ein Stufentarif in der Einkommensteuer, die Einführung eines Bürgergelds statt Hunderter verschiedener Sozialleistungen, der Druck auf Arbeitslose zur Annahme zumutbarer Arbeit, die Ablehnung von Mindestlöhnen, die Privatisierung von Gesundheits- und Pflegeleistungen, die Förderung der betrieblichen und kapitalgedeckten Rente, eine standortfördernde Energiepolitik. Nichts davon ist falsch geworden dadurch, dass man es unterließ oder in der schwarz-gelben Koalition das Gegenteil beschloss.

Für Christian Lindner müsste es also ein Leichtes sein, die Fünf-Prozent-Hürde in Nordrhein-Westfalen zu nehmen. Der Felder der Profilierung sind viele, und eigentlich ist Norbert Röttgen auch der ideale Gegenkandidat.

Denn da ist zunächst die „Energiewende“. Zwar hat die FDP sie mit beschlossen, dass sie aber so dilettantisch vorbereitet und durchgeführt werden würde, hat Norbert Röttgen zu verantworten. Diese Energiewende verknappt Energie künstlich, treibt die Preise nach oben und gefährdet den Standort für energieintensive Produktionen. Erstmals ist die Energieversorgung in Deutschland instabil geworden, auch, weil die Verteiltrassen nicht gesichert sind. Zunehmend macht die „Wende“  den Import von Energie notwendig, die anderswo nicht klimaneutraler oder umweltfreundlicher erzeugt wird. Nach wie vor setzt das Erneuerbare Energien-Gesetz falsche Allokationsanreize und verschwendet Bürgervermögen: 2011 wurden für EEG-Strom 16,7 Milliarden Euro gezahlt, obwohl er nur 4,7 Milliarden wert war. Röttgens Politik produziert Technikfeindlichkeit gegenüber der notwendigen großtechnischen Energieerzeugung. Sie erzwingt den Einsatz von schadstoffintensiveren Primärenergiearten wie Kohle, die dann aber auch noch verstärkt aus dem Ausland, beispielsweise aus der Mongolei, eingeführt werden soll – obwohl sie im Ruhrgebiet vorhanden ist. Oder sie verlockt die Landwirtschaft zum Anbau von Pflanzen zur Energieerzeugung, womit riesige Flächen dem Nahrungsmittelanbau verloren gehen.

Oder die Bildungspolitik: Warum goutiert es die FDP, dass ihre politischen Gegner Lehrpläne und Schulstrukturen als letztes verbliebenes ideologisches Spielfeld betrachten und nicht als Voraussetzung für intensive und leistungsbetonte Wissensvermittlung mit internationalem Benchmark-Charakter? Warum trägt die Schul-Wirklichkeit mit ihrer Technik-Aversion so wenig dazu bei, Deutschland als Land technologischer Spitzenleistungen zu begreifen? Wieso werden Bildungsinvestitionen als haushaltspolitisches Problem, nicht aber als Zukunftssicherung betrachtet? Wieso geht Deutschland so zögerlich mit der Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse um?

Oder die Familienpolitik: Wieso streitet die FDP zwar heftig für das Ehegattensplitting gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften, nicht aber für das Betreuungsgeld von Müttern, die sich um den Lebenskeim einer Gesellschaft besonders bemühen: nämlich die Familie? Wieso macht sie gemeinsame Sache mit jenen auch in der CDU, die das Abschieben von Kindern in Krippen finanziell belohnen, die eigene Erziehungsleistung aber finanziell diskriminieren? Warum engagiert sie sich zwar heftig bei den Gender-Debatten und verschwendet Kraft und Energie bei den Versuchen, ein „drittes Geschlecht“ zu öffentlicher Anerkennung zu bringen, statt Familien mit Kindern und deren Zusammenhalt bevorzugt  zu fördern?

Auch die Steuerpolitik muss aufgegriffen werden: Zwar ist die Neuverschuldung gerade niedrig, aber die Schuldenstände sind enorm. Ihr Abbau muss beginnen, er sichert künftige finanzpolitische Solidität.  Und es steht nicht etwa – wie Peer Steinbrück das für den SPD-Wahlkampf ankündigt – eine Steuererhöhungs-Debatte an, vielmehr eine Reduzierung der Staatsausgaben und eine Förderung aller Mechanismen, die die Flexibilität Wirtschaft fördert, den Standort Deutschland interessant und damit die Chance auf viele Arbeitsplätze hoch erhält.

Kurz: Die FDP hat viele Chancen der Profilierung. Sie muss sie nur nutzen und ihre bisherige Konzessionspolitik beenden. Das führt zum Kern: Sie muss sich gegen den Unions-Partner inhaltlich viel schärfer profilieren, der Koalitionskrach muss zur Tagesordnung werden, bis hin zum Koalitionsbruch. Das Ziel ist, die Liberalen im Parlament zu halten. Denn Deutschland braucht eine starke liberale Stimme, der deutsche Parlamentarismus auch. Und auch die Union muss an der Existenz einer Parlaments-FDP interessiert sein, sichert sie der Union doch eine wichtige strukturelle Option des Machterhalts. Christian Lindner kann das mit ordnungspolitischer Klarheit schaffen.

Hasslawine gegen Wulff

Uwe Siemon-Netto, einer der erfahrensten deutschsprachigen Journalisten und ausgebildeter Theologe, lebt in den USA. Von dort hat er die Causa Wulff verfolgt und der FAZ (und einigen Freunden) den folgenden Brief geschrieben, dem ich sehr zustimme und den ich mit seiner Genehmigung hier einstelle. Siehe auch: uwesiemon.blogspot.com.
MR.

Jetzt, da Christian Wulff mit Großem Zapfenstreich aus seinem Amt verabschiedet wurde, ist ein Nachwort fällig. Ich habe diese Affäre aus der Ferne verfolgt und bekam eine Gänsehaut ob der unfasslichen Inhumanität meiner Landsleute und ihrer Kirchenführer gegen einen Mitmenschen. Herr Wulff ist kein Verbrecher; es gab weder eine Anklage, noch eine Beweisaufnahme noch ein Urteil gegen ihn. Gleichwohl traten die Medien, einschließlich leider der FAZ, eine Hasslawine gegen ihn los, die in der Geschichte dieser Republik kein Beispiel hat. Ich begreife nicht, wieso sich eine Zeitung von hohem Niveau ohne Not an die Spitze eines Lynchmobs gesetzt hat. Wulff wurde zum nationalen  Unhold gemacht. Wo werden er und seine Familie fortan noch in unserem Lande ihr Gesicht zeigen können? Der hämische Pöbel, der sich heute in Zeitungsblogs artikuliert, erinnert mich an die Tricoteusen rund um die Guillotine der französischen Revolution — und an Schlimmeres. Bedenklicher als Wulffs vielleicht fragwürdige Ethik ist der Unrat, der sich hier von der Volksseele entlud. Als Journalist mit 55 Berufsjahren schäme ich mich vor allem meiner Branche. Wenn sie aber tatsächlich das neue Antlitz der Deutschen präzise porträtiert hat und das übermittelte Hasspotential der Realität entspricht, dann: Kyrie eleison!

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