6. Oktober 2025

Die Schlaffis der EM: Brief an die Kanzlerin, 22

Liebe Frau Merkel,

welche Woche! Als hätten es die Kohlrabi in meinem Garten geahnt, dass man in diesen Tagen genau hinhören muss in Europa, haben sie statt ordentlicher Knollen elefantenohrengroße Blätter entwickelt wie einst die Horchposten im Kalten Krieg. Eine von mir fehlerhafte Überdüngung, die sie hat vergessen lassen, eigene Kraft zu entwickeln. Weniger wäre also mehr gewesen, wie ja überhaupt die Schere des Gärtners liebstes Werkzeug ist –  je schärfer man die Pflanzen zurückschneidet, umso kräftiger wachsen sie anschließend. Für die südlichen Staaten im Euro-Garten hätte das Vorbild sein können: Bisher aber waren dort die Reformen, der Rückschnitt also, nicht entschieden genug, wenn sich das nicht ändert, werden Ihre (unsere) Milliarden, Frau Merkel,  da verpuffen.

Wer also mit Elefantenschlappohren in Europa zugehorcht hat, hat bemerkt, dass Sie die vergangene Brüsseler Woche zum geschichtlichen Markstein haben werden lassen: Europa hat sich auf den Weg zum Bundesstaat begeben, zu einheitlicher Finanz- und Wirtschaftspolitik samt nachfolgender Demokratisierung. Das ist sowieso richtig als einzig mögliche Antwort auf Europas zukünftiges Gewicht in der Weltpolitik.

Aber man könnte auch sagen: Die Minderung nationalstaatlicher Macht kann kein großer Schaden mehr sein, wenn die eigenen Fussballnationalspieler keinen Bock mehr auf das Absingen der deutschen Nationalhymne haben. Für jeden sichtbar, wollten sie im Warschauer Stadion Deutschland „im Glanze dieses Glückes“  aus Einigkeit und Recht und Freiheit nicht blühen lassen. Ganz anders die italienischen Kicker, sängerisch inbrünstig und dramaturgisch effektvoll:  „Brüder Italiens, Italien hat sich erhoben, und hat mit dem Helm des Scipio sich das Haupt geschmückt. Wo ist Victoria?“ Kein Wunder, dass die Siegesgöttin lieber den Tifosi ihr Haupt zuneigte als den deutschen Schlaffis, die vermutlich von Scipio noch nie etwas gehört haben und Victoria nur als ansehnliche Gemahlin von David Beckham kennen.

Also geht das mit Europa in Ordnung. Im Deutschlandfunk spielen sie zum Tagesausklang jede Nacht vorsichtshalber schon die Europahymne, das sollten Sie als Bundeskanzlerin einmal öffentlich loben. „Freude schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium!“ Elysium? Lieber Basti, lieber Lukas, das ist das Synonym für eine paradiesgleiche Insel der Seligen, auf der die Götter Helden versammeln, denen sie Unsterblichkeit schenken. Sorry, aber ihr gehört nach der EM-Pleite nicht mehr dazu.

Aber fangt schon mal an, für die nächste EM die europäische Nationalhymne zu büffeln, die man dann gewiss eingangs singen wird. Zum Beispiel die dritte Strophe: „ Freude heißt die starke Feder in der ewigen Natur. Freude, Freude treibt die Räder in der großen Weltenuhr. Blumen lockt sie aus den Keimen, Sonnen aus dem Firmament, Sphären rollt sie in den Räumen, die des Sehers Rohr nicht kennt.“  Das ist Original Schiller, Friedrich. Wer?

Frau Merkel, reden Sie mal mit Jogi Löw. Wenn Fussballunterricht schon nicht viel geholfen hat, vielleicht tut`s Staatsbürgerkunde.

(veröffentlicht in ZEIT/CuW am 5. Juli 2012)

Rezension: „Schriftsteller und Widerstand“

Am 15. Juli 2012 habe ich im Deutschlandradio Kultur das Buch von Frank-Lothar Kroll und Rüdiger von Voss: „Schriftsteller und Widerstand“ besprochen. Sie können die Renesion nachhören, klicken Sie hier.

Für Schriftsteller ist das Leben in einer Diktatur besonders heikel. Wie also haben sich jene verhalten, die während der NS-Zeit nicht geflohen sind oder vertrieben wurden? Darum geht es in dem Sammelband, den Frank-Lothar Kroll und Rüdiger von Voss herausgegeben haben.

 http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/lesart/1810955/

 

CDU auf falschen Wegen: Brief an die Kanzlerin, 21

Liebe Frau Merkel,

vielen Bürgern dieses Landes fällt es derzeit schwer, die Politik der CDU zu verstehen. Mir auch. Ich bin, beispielsweise,  erstaunt über die respektlose Gehässigkeit, die führende Mitglieder Ihrer Partei dem Betreuungsgeld und seinen potentiellen Empfängerinnen entgegenbringen. Mütter, die ihre Kinder aus guten entwicklungspsychologischen Gründen selbst erziehen wollen, werden als rückwärtsgewandte Feindinnen des emanzipatorischen Fortschritts diskreditiert.  Aus der SPD kannte man das – unvergessen der Satz des damaligen Sozialministers Olaf Scholz, es gelte, die staatliche „Lufthoheit über die Kinderbetten“ zu gewinnen. Aber derlei nun auch aus der CDU zu hören, ist wirklich abschreckend, und es ist unfasslich, wie schwer es CDU-Kabinettskolleginnen (namentlich Frau von der Leyen) es der tapferen Ministerin Christina Schröder machen, die für eine respektierte (und finanziell gleichgestellte) Wahlfreiheit der Eltern eintritt.

Auch die Energiepolitik der CDU ist emotionsgetrieben. Ein neuer Energieminister ändert ja nichts daran, dass die Energiewende schlicht falsch war – falsch in ihrem Ziel der Abwendung von der Kernenergie und ihren künftigen technologischen Chancen, falsch in der Durchführung, falsch für den Industriestandort Deutschland, falsch für die Endverbraucher, falsch für die Marktsteuerung. Die Preise steigen rasant, weil wir aus der bisher reichlich vorhandenen Ware Strom über Nacht ohne Not ein knappes Gut gemacht haben. Strom wird aber auch deshalb teurer, weil alternative Energiearten hoch subventioniert werden, all das zahlt der Steuerzahler und Energieverbraucher. Diese Politik muss geändert werden, dringend.

Schließlich: Die CDU macht es den überzeugten Europäern wirklich schwer, weiterhin für diese ökonomisch wie geopolitisch wie friedenspolitisch bedeutsame Sache einzutreten. Wir lassen uns, so scheint es, von Griechenland an der Nase herumführen, da wedelt der Schwanz mit dem Hund. Es heißt, der normale griechische Bürger könne doch nichts dafür, dass Griechenland heute so dasteht. Das ist natürlich grundfalsch: Diese ganz normalen Wähler sind eben dabei, dem kommunistischen Hasardeur und Demagogen Alexis Tsipras eine Parlamentsmehrheit zu verschaffen, der den Menschen das Blaue vom Himmel, höhere Löhne, massenweise Arbeitsplätze und endlose EU-Subventionen verspricht. Wer ihn wählt, muss auch die Konsequenzen tragen, und die heißen: Griechenland raus aus dem Euro, und zwar sofort. Dorthin wollen wir keinen Euro mehr tragen, denn wir wollen unsere eigene Stabilität nicht von Herrn Tsipras gefährden lassen.

Eines haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, dieser Tage richtig und ehrlich ausgesprochen: Es ist trotz allem oder gerade wegen der unsoliden Kandidaten im Euro-Raum an der Zeit, mehr nationale Kompetenzen an Europa abzugeben, um ein einheitliches Wirtschafts- und Währungsregime zu ermöglichen. Das geht alleine mit den soliden Staaten. Die müssen sich sehr schnell zusammentun, damit Europa als politische Einheit im weltweiten Konzert überhaupt noch eine Chance hat. Machen Sie Druck!

(erschienen in ZEIT/Christ und Welt vom 14.6.2012)

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