6. Oktober 2025

„The German Problem“. Brief an die Kanzlerin, 34

Liebe Frau Merkel,

in seinem Buch “Von Bismarck zu Hitler“ hat Sebastian Haffner 1987 das Deutschland der nachwilhelminischen Zeit skizziert: Von großem Selbstbewusstsein getragen, befeuert durch eine rasante technische Entwicklung: Telefon, elektrischer Strom, Deutschland als führende Macht Europas. „Während es in England nur noch langsam, in Frankreich noch langsamer vorwärtsging und Russland noch ganz in den Anfängen der Industrialisierung steckte, wurde Deutschland in technisch-industrieller Hinsicht in reißendem Tempo modernisiert und war darauf auch ungeheuer stolz. Leider setzt e sich das alles in eine bramarbasierende, übermäßig selbstbewusste, selbstliebende Haltung um, die einem heute, wen man die damaligen Äußerungen liest, etwas auf die Nerven fällt.“

Ähnlich ist das heute. „The German Problem“, titelte eben der britische „New Statesman“, in Griechenland, Zypern, Italien und selbst in Frankreich kann man mit antideutschen Ressentiments wieder Stimmen erzielen. Dabei haben wir nichts Falsches getan, insbesondere haben wir die ökonomischen Fehler der anderen nicht begangen, wir erzeugen als nervige Musterschüler Neid. Unser Hauptproblem: Wir sind einfach da. Wir sind die Zentralmacht Europas, weil wir – mit der größten Bevölkerungszahl, der größten Wirtschaftskraft, dem größten Sprachraum, den meisten Nachbarn  – eben in der Mitte Europas liegen. Die Ereignisse haben uns wieder in diese Lage versetzt, die die Welt über die Jahrhunderte eigentlich verhindern und uns dabei domestizieren wollte, seit dem „Heiligen Römischen Reich deutscher Nation“ geht das so, und eben diese Absicht lag der Gründung der Europäischen Union zugrunde.

Wie wir uns auch verhalten – wir können es nicht allen recht machen. Sind wir zurückhaltend, auf die ordentliche Verwaltung wenigstens unserer eigenen Verhältnisse bedacht, dann gelten wir als die Pedanten Europas, die durch ihren Verfassungspatriotismus zerstörerisch wirken. Und man wirft uns – wie jüngst der polnische Außenminister Sikorski – vor, wir übernähmen nicht die unserer Größe entsprechende Führung. Selbst aus Großbritannien kommt diese Forderung. So hat der britische Historiker Brendan Simms im „New Statesman“ soeben diese Frage gestellt: „How can the Federal Republic, which is prosperous and secure as never before, be persuaded to take the political initiative and make the necessary economic sacrifices to complete the work of European unity?“

Übernehmen wir aber inmitten der schütteren Nachbarstaaten mehr Führung in Europa, bringen finanzielle Opfer und weisen zugleich auf die notwendigen Rezepte stabilen politischen und ökonomischen Handelns hin, dann gelten wir als überheblich, bevormundend, die Präzeptoren Europas, das hässliche Gesicht des Kontinents.

Ein Dilemma, die deutsche Frage bleibt. Aber um Europas und unseren Frieden  zu retten, werden wir wohl weitere Konzessionen an Europa machen müssen. Gehen Sie, Frau Bundeskanzlerin, mutig voran!

(Erschienen in ZEIT/Christ und Welt 4. April 2013)

Vom Neid in Deutschland. Und die CDU macht mit. Brief an die Kanzlerin, 33

Liebe Frau Merkel,

in Deutschland, hat Arthur Schopenhauer einmal gesagt, ist die höchste Form der Anerkennung der Neid. So gesehen kann man sich in Deutschland vor Anerkennung gegenwärtig kaum retten, da die Neiddiskussion schönste Blüten treibt. Ich will ja gar nicht wieder von Peer Steinbrück anfangen, der zutreffend feststellte, ein Bundeskanzler verdiene im Vergleich zu Bankern zu wenig. Vielmehr hat die Neiddebatte mittlerweile die ganze Gesellschaft erfasst, sie wird von Politikern geschürt, die sich davon ein paar Wählerstimmen erhoffen und von überbezahlten Talkshowmoderatoren zusätzlich angefacht.

Nun werden Ausbildung-, Leistungs-, Fähigkeits- und Erfahrungsunterschiede und damit unterschiedliche Entlohnungen aber nicht etwa von der CDU offensiv verteidigt. Gründe gäbe es genug, etwa solche der Psychologie des Fortschritts in einer Volkswirtschaft. Aber auch die Union kapituliert vor dem Zeitgeist des Neides, ruft nach Umverteilung, nach niedrigeren Entlohnungen für Manager sowie einer Transparenz für alle. Das fängt bei den „Armutsberichten“ der Bundesregierung an und endet noch nicht in dem mangelnden Mut, so etwas wie Gerhard Schröders „Agenda 2010“ auch für 2020 aufzulegen.

In Hamburg, beispielsweise, hat der Senat eben die Spitzengehälter in öffentlichen Firmen veröffentlicht. Spitze ist dort der Ärztliche Direktor des Universitätskrankenhauses Eppendorf (UKE) mit 455 000 Euro im Jahr, während der Erste Bürgermeister „nur“ 177 000 Euro bekommt. Das ließe sich verteidigen: Bürgermeister kann in einer Demokratie jeder werden, Chef eines der weltweit führenden Krankenhäuser aber nicht. Die CDU aber hat sich nur mit der Beschwerde zu Wort gemeldet, die Liste sei unvollständig. Ja, einige fehlten, weil deren Verträge eine Gehaltsveröffentlichung nicht vorsehen und sich daran auch halten muss, wer Neiddebatten schüren will, selbst die CDU müsste das. Und natürlich ließen Grüne und der Linke sich vernehmen:  Wieso die Leiterin der „Vereinigung Hamburger Kindertagesstätten“  nur ein Fünftel des UKE-Chefarzt-Salärs  bekomme, sei die Arbeit mit Kindern etwa nichts wert in diesem Land?

Über die künftige Kultur in diesem Land wird es viel aussagen, wie die CDU mit dieser Neiddebatte im kommenden Bundestagswahlkampf umgeht. Sie zu befeuern, wie das Frau von der Leyen tut oder gar die CDU-Ministerpräsidentin des Saarlandes, Kramp-Karrenbauer (die definitiv in der falschen Partei ist) mit ihrem Ruf nach einem Spitzensteuersatz von 53 Prozent, sie zu beschweigen, wie es wahltaktisch geraten wird, oder dagegen anzugehen und das Recht einer Leistungsrepublik auf Gehaltsunterschiede zu verteidigen, das sind die Optionen. Davon wird auch abhängen, was aus der CDU wird, deren Profil immer unkenntlicher wird.

Ich finde: Ob der VW-Chef 15 oder nur eine Million Euro im Jahr bekommt, ist völlig unerheblich, solange Martin Winterkorn sein Unternehmen auf der Erfolgsspur hält und in Deutschland massenweise Arbeitsplätze schafft. 2012 hat VW fast 22 Milliarden Euro Gewinn eingefahren, da ist sein Gehalt bedeutungslos, er hat die Millionen, die er bekommt, wirklich verdient. Das muss ihm erst einmal einer nachmachen. Und generell: Es sind „die Reichen“ (oder die es werden wollen), die hierzulande Arbeitsplätze und Einkommen und Steueraufkommen schaffen. Niemand sonst.

Häme gibt es in diesem Land immer überreichlich. Auch Mitleid bekommt man geschenkt. Nur den Neid, den muss man sich hierzulande wirklich hart verdienen.

Es grüßt herzlich

 Michael Rutz

(veröffentlicht in ZEIT/Christ und Welt am 14.3.2013, hier leicht aktualisiert)

Die Deutschen – Solidarität gegeben, Häme geerntet

Aus dem Blog meines Freundes Uwe Siemon-Netto: Lesenswert!

 

 

Uwe Siemon-Netto’s Blog, March 27, 2013

Time to cut the Germans some slack?

UWE SIEMON-NETTO

 

These days I am proud to be a German. I am saying this not because of my country’s economic and therefore growing political prowess; that would be childish posturing. No, I am proud to be a German because of my compatriots’ admirably serene reaction to the relentless abuse leveled against them by those who mismanaged their own affairs and now expect to be rescued by the Germans who had managed their affairs well.

Night after night, Germans see on television their chancellor portrayed as a born-again Hitler by a moronic rabble in the streets of Greece, Spain, Italy and Cyprus, and in some of major American newspapers of this as well. It hasn’t escaped the Germans’ attention that they were daily targets of hateful slogans during the election campaign in Italy, probably the one European nation they have traditionally loved the most. They know that Silvio Berlusconi, while still prime minister of Italy, publicly questioned the suitability of one of Chancellor Angela Merkel’s body parts for sexual purposes, using a word unprintable even in the German media and most definitely in the prim American press.

Many German friends of mine admit in private that they find it hard to contain their annoyance when reading the inexorably hostile columns by New York Times contributor Paul Krugman, still, they manage to reign in their fury. Others, and here I include myself, are perplexed and saddened that even the conservative American media are curiously restrained in their support or, God forbid, admiration for Merkel’s solitary stamina in the face of a frightening international crisis her government has not caused.

Why is it, I wonder, that I have read nowhere the long overdue profile of this Eastern German pastor’s daughter and scientist who, while holding Europe together in truly Herculean fashion, still goes shopping and fixes her husband’s breakfast and sandwiches before sending him off to work at Humboldt University in Berlin like the good German Hausfrau she is? What happened to journalistic craftsmanship in America? Is there no writer left capable of tackling this fascinating topic tongue-in-cheek but with empathy and, by all means, critical mind? Personalities of much less human fascination receive more attention than she. Is this because she is, Heaven help us, a German?

Have journalistic values become so warped that the industrious, the fiscally prudent and therefore powerful and successful are no longer deemed worthy of some slack? How come that when Europe’s plight is being mentioned on American talk shows everyday life in Germany or, for that matter, Austria, the Netherlands or Finland – the few sane ones in a madhouse – never seems to merit in-depth reporting? How is it that no American reporter goes around asking the average Hans Müller or Liese Schmidt how they feel about their invariable vilification in the streets of Athens and Nikosia, Madrid and Rome?

Do Hans, Liese, Otto or Helga boycott Greek or Italian restaurants in Frankfurt or Munich or pour Italian or Greek wines into the gullies of Hamburg or Berlin the way American innkeepers did when with French wines when they felt that the United States was unfairly maligned by the French? Do Germans stay away from their beloved Italy at vacation time? Do they accost visitors or residents from Europe’s troubled south in Stuttgart or Cologne?

The answer to all these last questions is a resounding “NO!”

And this is why, far from being a strident nationalist, I am very proud of this generation of Germans at this very moment.

 

Uwe Siemon-Netto, the former religious affairs editor of United Press International, has been an international journalist for 57 years, covering North America, Vietnam, the Middle East and Europe for German publications. Dr. Siemon-Netto currently directs the League of Faithful Masks and Center for Lutheran Theology and Public Life in Capistrano Beach, California. 

Follow

Get every new post delivered to your Inbox

Join other followers: