6. Oktober 2025

Warum es die FDP braucht. Brief an den FDP-Chef

Lieber Herr Rösler,

Sie betteln um meine Zweitstimme. Den Plakatwänden, den Zeitungsanzeigen, den Wurfsendungen, den Talkshows entnehme ich ein erhebliches Maß an Angst der FDP vor dem politischen Tod.

Ich muss gestehen: Einen Bundestag ohne Freidemokraten kann ich mir nicht vorstellen. Ich bin alt genug, mich ihrer großen Politiker zu erinnern: Theodor Heuss, Thomas Dehler, Reinhold Maier, Erich Mende, Walter Scheel , Hans-Dietrich Genscher. Mein ordnungspolitisches Denken hat auch Otto Graf Lambsdorff geprägt, der die Bedeutung individueller und unternehmerischer Freiheit rhetorisch brillant illustrieren konnte und dabei nie den sozialen Ausgleichs als Stabilisierungsgarant der Freiheitsidee vergaß.

Die Freidemokraten waren stets die Kraft gegen die Überheblichkeit des Staates; gegen ein Übermaß staatlichen Reglements; gegen die Gier der Steuerkrake.  Es war die FDP, die den Bürger anhielt, nicht alle Wohltaten und Risikoübernahmen vom Staat zu erwarten, sondern sich selbst zu mühen; die Freiheit verstand als Chance zum Sieg, aber auch als Möglichkeit zur Niederlage, die dann selbstverantwortet getragen werden muss.

Geschätzt habe ich auch eine FDP, die das informationelle Selbstbestimmungsrecht nicht nur als Lippenbekenntnis vor sich hertrug, sondern die es bei Post, Telefon und Internet auch dann schützen wollte, wenn als Preis ein erhöhtes Sicherheitsrisiko zu zahlen war. Nur der totalitäre Staat garantiert die höchste Sicherheitsstufe, aber auf Kosten der Freiheit. Mit ihren Rechtspolitikern Maihofer, Baum hat die FDP für diese Freiheit gekämpft.

Was ist aus all dem geworden? Die Belastung durch Steuern und Abgaben aller Art steigt weiter. Die Reglementierungswut der Parlamente und Behörden nimmt mit jeder Legislaturperiode zu. Die Freiheitsspielräume werden enger und enger, die Parteien nähern sich in ihrem lähmenden Zugriff auf den Bürger und die Unternehmen einander an. Leitbild ist – von links bis rechts – ein Bürger, der unfähig ist, für sich selbst Verantwortung zu tragen. Der geschützt werden muss vor den Folgen seines Tuns. Den man mit Spähprogrammen,  Kameras und  Auskunftspflichten züchtigt, sich vom Pfad staatlich definierter Tugend nicht zu entfernen. Dessen Kinder man, mit eben jenem Ziel, in den pädagogischen Griff ideologisierter Lehrpläne nimmt, in Kindergärten, Krippen und Schulen.

Die Bilanz ihrer letzten Regierungsjahre zeigt leider einen geringen liberalen Ertrag. Sie haben wenig bewirkt, sich gegen die CDU nicht durchsetzen können. Die Stimme der individuellen Freiheit ist schwach geworden in Deutschland in einem Moment, in dem sie wichtiger wäre denn je.

Würde das in der kommenden Legislaturperiode mit einer regierenden FDP anders? Würden Sie Freiheitsräume zurückholen, Steuern und Staatsausgaben senken, die Regelungswut mindern, den Bürger wieder in seinen stolzen Status als Souverän zurückführen?

Das wäre die Zweistimme für die FDP wert. Ich habe – bei Ansicht des Personals – Zweifel. Leider.

Ihr

Michael Rutz

Wahlpflicht? Brief an den Verteidigungsminister.

Sehr geehrter Herr Dr. de Maizière,

der Einladung in eine politische Talkshow muss man folgen, zumal in Wahlkampfzeiten. Thema, Runde und Zusammensetzung des Publikums im Saal mögen noch so unterirdisch sein, man muss hin. Deshalb haben Sie letzten Sonntag bei Jauch mit Hartz-IV-Empfängern, Rentnern, Griechenlandhassern, Bankenfeinden, Euroskeptikern und anderen Politikverdrossenen darüber debattiert, ob man denn wählen gehen soll.

Natürlich hatten die Ankläger die Oberhand: Wann immer die Politikerkaste, Europa, oder vor allem die CDU geschmäht wurden, war das Publikum in seinem Jubel kaum zu bändigen. Je simpler die Argumente, umso größer der Applaus. Und wenn Sie die Politik verteidigten (etwa mit dem Satz, dass man nie die Partei bekommen werde, die die eigenen Vorstellungen vollständig abbilde, man also immer Kompromisse machen müsse), dann schnitt der Regisseur einen Zuschauer ins Bild, der gerade kopfschüttelnd hämisch lachte -der Regisseur bei Jauch scheint mir kein übermäßiger Politikfreund zu sein, und wenn, dann eher ein ziemlich linker.

Also, Sie haben Ihre Sache prima gemacht, und man muss Sie loben, dass Sie überhaupt solche Höhlen betreten, in denen Moderations-Millionäre feinfühlig ein wenig Öl in die Skandälchen-Feuer der Republik gießen, bevor sie sich nächtens auf ein letztes Glas Wein in ihre Nobelvillen zurückziehen. Dieses Procedere werden sie auch jetzt wieder einhalten, da in den Zeitungen eine geplante Hubschrauber-Beschaffung Ihres Ministeriums mit kräftigen Backen vom Vorgang zum Politthriller aufgeblasen wird. Wahlkampf eben.

Ein handfester Skandal allerdings ist es, dass den eitlen Demokratiefeinden im öffentlich-rechtlichen Fernsehen auch noch solche Bühne geboten wird. Generationen haben Weltkriege überstanden, Diktaturen und Monarchien abgeschüttelt, um Demokratie zu etablieren. Und was passiert?  Die  freiheitssatten Bürger maulen, dass die riesigen Summen Sozialleistungen zu niedrig und die Steuergelder falsch (also nicht für sie) verwendet werden und rufen zum Wahlboykott auf. Sie stellen Ansprüche, aber nie an sich selbst. „Mich beunruhigt der Amateurklang meiner Klagen“, hat Martin Walser einmal geschrieben, „bei anderen schüttle ich den Kopf. Das macht den Amateur, dass er den Kopf nur bei anderen schüttelt.“ Diese Amateure und Wahlboykotteure haben nichts von Demokratie verstanden und auch nichts vom Wert der Freiheit. Sie haben sie nicht verdient.

Man wird mir sagen: Freiheit ist auch die Lizenz zur Wahlenthaltung! Richtig. Wenn aber die Wahlbeteiligung auf inakzeptable Werte sinkt, wird Wahlpflicht zum Gebot. Denn wenn das Volk herrschen soll, dann muss man es notfalls zur Teilnahme an der politischen Willensbildung zwingen, um die Demokratie vor dem Ausbluten zu bewahren: Wahlpflicht, damit nicht Diktaturen folgen.

Ich könnte verstehen, wenn auch Ihnen angesichts des ganztägigen Mäkelns der Medien und der politischen Gegner  ihr Politik-Job keinen Spaß mehr machte. Aber: Bleiben Sie. Sie sind einer der Besten.

Ihr

Michael Rutz

 

(veröffentlicht in ZEIT/Christ und Welt am 28.8.2013)

Lob für Kristina Schröder – ein Brief

Liebe Frau Schröder,

Sie haben als Bundesfamilienministerin auch Feindschaft erfahren, vor allem jener Frauen, die schon ihre einjährigen Kinder in Krippen abschieben wollen  oder müssen und missgünstig sehen, dass Sie mit dem Betreuungsgeld auch jene anderen Eltern besonders wertschätzen, die sich um die Erziehung ihrer Kinder persönlich kümmern. „Wahlfreiheit“, nannten Sie das.

Aber auch die Einrichtung der Krippenplätze ist wesentlich Ihr Erfolg. Seit Verabschiedung der entsprechenden Gesetzesgrundlage haben die Kommunen 300 000 zusätzliche Krippenplätze geschaffen, 780 000 davon gibt es jetzt, mit starker bundesstaatlicher Unterstützung. Sie wollten, dass die Nachfrage nach Krippenplätzen für unter dreijährigen Kinder zum 1. August erfüllt werden kann, damit man Ihnen nicht (mitten im Wahlkampf) sagen kann: Der Bund war schuld.

In die Familienpolitik fließt in Deutschland sehr viel Geld. Dennoch gibt die Mehrheit der Deutschen an, Kinder seien ihnen zu teuer. Zwei Drittel nennen finanzielle Gründe für die geringe Geburtenzahl, fast ebenso viele sehen die Kollision mit beruflichen Plänen als Ursache. In anderen europäischen Ländern ist das nicht viel anders.

Welch armseliges Zeugnis für Menschen, die in der großen christlich-europäischen Kultur aufgewachsen sind und die deren geistigen Grundlagen und Freiheitsdividende zu schätzen gelernt haben sollten! Kurzfristige Individualinteressen haben Zukunftsmut und kulturellen Überlebenswillen abgelöst. Und so kommt es, dass wir aus den Geburtenzahlen den Niedergang des abendländischen Europa ziemlich genau vorausberechnen können.

Damit eine Kultur sich hält, bräuchte sie einen Reproduktionsfaktor (also Kinder pro gebärfähiger Frau) von 2,11. Das Europa der 31 aber bringt nur 1,38 zusammen, bei ganz unterschiedlichem Wachstum einzelner Volksgruppen – am lebendigsten wachsen die Immigranten, vor allem jene mit muslimischem Hintergrund.

Das kann man hinnehmen, davor muss man keine Angst haben. Man muss diese Entwicklung aber realistisch sehen. Und beklagen darf sich auch niemand darüber, dass in vielen Ländern Europas  – voran Frankreich – in absehbarer Zeit mehr Moscheen als Kirchen stehen werden. Europa wird sich verändern. Und die Europäer haben selbst die Freiräume geschaffen, die nun durch Immigration aufgefüllt werden müssen, wenn die Wirtschaft lebendig bleiben soll.

So gerät man mit der Familienpolitik heute mehr als je in das Gestrüpp aus Ideologien, politischen Korrektheiten und besorgniserregenden Kulturkampf-Szenarien, wie sie seit Huntington die Debatte beherrschen. Nun muss die Politik stark genug sein, aus allem ein künftiges Europa zu formen, das aus toleranten, freiheitlichen, rechtsgefestigten Mitgliedern besteht, von denen keines aus dieser Verpflichtung ausbricht.

Sie jedenfalls, Frau Schröder, waren in der vergehenden Legislaturperiode eine sehr gute Ministerin. Sie haben für die Familien gekämpft. Danke dafür.

(erschienen in ZEIT/Christ und Welt am 8. August 2013)

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