6. Oktober 2025

Mehr Leidenschaft für Europa!

In diesen Tagen rüsten sich die Parteien Europas für die Europawahl. Sie benennen Spitzenkandidaten, konzipieren Wahlprogramme und PR-Strategien für eine solide Wahlbeteiligung..

Das ist auch notwendig. Denn Europa ist nicht wirklich populär in Europa. Sein Ruf wird geschädigt durch Missionare, die auf der nationalistischen Klaviatur spielen und  Fremdenfeindlichkeit predigen. Der Moloch Europa vernichte nationale Souveränität, der Euro zwinge zu Solidaritätszahlungen für schlecht regierte Länder und werde so seine eigene Stabilität verlieren. Die Freizügigkeit innerhalb Europas führe zur Ausbeutung des deutschen Sozialsystems. Unterstützt wird der antieuropäische Affekt durch ein Verfassungsgericht, das der europäischen Integration Grenzen zieht, die zu setzen eigentlich nur dem Gesetzgeber zusteht.

 Die Menschen aber wissen ganz gut um die  Vorteile der Europäischen Union: Um die große Friedensdividende; um die wirtschaftlichen Vorteile des Euro; um die – im Vergleich zum Rest der Welt – hohen Lohn- und Sozialstandards; um die Freiheiten im Wohn- und Arbeitsmarkt, und auch um die EU als Wertegemeinschaft. Aber sie sind zur Geringschätzung dieser Attraktivität in dem Maße bereit, in dem auch die Politiker der Regierungsparteien Europa schlechtreden: „Brüssel“ habe zu viel Macht an sich gerissen, agiere rücksichtlos, erlasse sinnlose Verordnungen.

Die Wahrheit ist: In Brüssel geschieht nichts ohne die Zustimmung der nationalen Regierungen. Während beispielsweise CSU-Chef Horst Seehofer in München publikumswirksam gegen Brüssel, die europäische Freizügigkeit und den Bedeutungsverlust der Region wettert, stimmen die Bundes- und Europapolitiker seiner Partei allen neuen Integrationsschritten zu. Diese Schizophrenie hat politische Methode.

Dabei gibt es für „Mehr Europa!“ allen Anlass. Der Kontinent ist dabei, durch seine institutionelle Zerrissenheit und die rechtspopulistischen Debatten um eine Re-Nationalisierung seine Zukunftsfähigkeit zu verlieren, im Ganzen wie in seinen Teilen. Das schafft Misserfolge: 2010, so hatte man es anno 2000 in der Lissabon-Strategie vereinbart, sollte Europa der „wettbewerbsfähigste und dynamischste wissensbasierte Wirtschaftsraum der Welt“ sein. Das ist in großem Stil misslungen. Stattdessen fahren wir nur schwaches Wachstum ein, geben uns mit sinkenden Produktivitätsraten und steigenden Arbeitslosenzahlen zufrieden, haben unsere selbst verschuldete demografische Katastrophe nicht durch aktive Einwanderungspolitik aufgefangen.

Das alles hat die europäische Hard Power geschwächt, die man braucht, um weltweit Führungsmacht zu sein. Andere Wirtschaftsmächte haben uns überholt oder schließen zu uns auf. Die relative Bedeutung Europas und seine Soft Power, der politische Einfluss, schwinden, der Kontinent lebt weit unter seinen Möglichkeiten. Also: Mehr Europa! Das kann man den Bürgern auch begreiflich machen, wenn man nur endlich jene politische Leidenschaft an den Tag legte, die Europa auch verdient.

(erschienen in „Voices from Germany“, 1.2.2014)

Die Weltbild-Pleite: Hat die katholische Kirche versagt?

Das Ziel des Weltbild-Verlags und seiner kirchlichen Gesellschafter war anspruchsvoll. Man wollte „christliche Werte mit den Erfordernissen des Marktes überzeugend in Einklang“ bringen. Über Jahrzehnte gelang dieser Versuch auch. Die Weltbild-Gruppe war die Erfolgsgeschichte des Carel Halff, der 1975  – damals 23jährig – gerufen wurde, um den maroden Verlag Winfried-Werk zu sanieren. Dort erschien ein buntes Spektrum katholischer Zeitschriften, die heute keiner mehr kennt: „Mann in der Zeit“, hießen sie (später „Weltbild“), oder „Gegenwartsfragen in katholischer Schau“.

Mit Zeitschriften war nicht viel zu gewinnen. Halff setzte deshalb auf den Bücherdienst, zog einen buchclubähnlichen Katalogversand auf. Später stieg er  in den stationären Buchhandel ein, tat sich mit Partnern zusammen – 450 Buchhandlungen gehören heute zur Gruppe. Halff  gründete auch zahlreiche Buchverlage, brachte die in partnerschaftliche Großverlagsgruppen ein. 1999 begann er den onlinehandel mit der Marke „buecher.de“ und baute Weltbild zum Online-Versandhaus auf, in dem von Büchern über elektronische Lesegeräte und CDs bis hin zu Spielwaren, Fitnessgeräten, Geschenkartikeln und Textilien alles zu haben ist. Ein virtuelles Großkaufhaus, ein Gemischtwarenladen, mit zuletzt milliardenschwerem Umsatz.

Trend der Zeit freilich ist die Spezialisierung. Als reiner Vertriebsspezialist zog  amazon.de mit enormem Kapitaleinsatz an Weltbild vorbei. Und der Gemischtwarenladen auf Weltbild.de wurde ausgestochen von Internetplattformen, die einzelne Produktgruppen in einem tiefgestaffelten Sortiment anbieten – da ist schwer mitzuhalten. Der Umsatzeinbruch der letzten Monate war hier das letzte Zeichen. Kurz: Das Geschäftsmodell von Weltbild ist gescheitert, weil es nicht rechtzeitig angepasst und konzentriert wurde.

Gescheitert ist damit nicht nur Carel Halff selbst und seine Führungsriege, die – der Rückblick macht klüger – viel eher hätten umsteuern müssen.  Mit diesem Fehler waren sie nicht allein. Es ist ihnen gegangen wie vielen anderen – von Quelle über Neckermann bis zum Schuhgroßfilialisten Görtz, die die Kraft des Internets und den dadurch verursachten drastischen Strukturwandel im Handel massiv unterschätzt haben.

Gescheitert ist auch die katholische Kirche als Gesellschafter. Der Weltbild-Aufsichtsrat – zwölf deutsche Bistümer, der Verband der Diözesen Deutschlands und die Berliner Soldatenseelsorge sind Anteilseigner – war zu kirchenlastig besetzt, zu wenige Fachleute haben die Geschäftsführung kontrolliert. Sie alle haben den Zeitpunkt verpasst, zu dem das Unternehmen noch mit großem Gewinn hätte verkauft werden können, vor fünfzehn Jahren noch war beispielsweise Bertelsmann an einer Übernahme dringend interessiert. Vor allem aber haben sie sich in den letzten Jahren, ausgelöst vom Kölner Kardinal Meisner,  über die Sinnhaftigkeit einer kirchlichen Beteiligung an Weltbild eine öffentliche Schlacht geliefert, die dem Unternehmen und der damit verbundenen Marke „Weltbild“ drastisch schaden musste. Das war in höchstem Maße unprofessionell und hat zum Niedergang beigetragen.

Ist es unfair von den Bistümern, jetzt den Stecker zu ziehen? War der insolvenzantrag „widerlich“, wie der Augsburger Verdi-Sekretär das formulierte? Nein, das war er nicht. Er war betrüblich, aber, nach allen Fehlentscheidungen der letzten Jahre, unausweichlich. Die schlechten Umsätze der letzten Monate erhöhten allein den kirchlicherseits aufzubringenden Sanierungsbetrag für die kommenden drei Jahre von bisher geplanten 60 auf etwa 160 Millionen Euro, zusätzlich lasten 180 Millionen Euro Schulden auf dem Unternehmen. 340 Millionen Euro an Kirchensteuergeldern zu investieren mit ungewissen Erfolgsaussichten – das ist dem Kirchenvolk und den Kirchensteuerzahlern nicht zuzumuten.

Ein Wirtschaftsunternehmen, zumal in der Größenordnung von Weltbild, unterliegt klaren  betriebswirtschaftlichen Kriterien, zudem solchen des deutschen Wirtschaftsrechts. Daran muss sich auch ein Gesellschafter Kirche halten, man kann die Entwicklungen der Märkte in Deutschland und daraus folgende betriebswirtschaftliche Konsequenzen nicht durch sozialethische Überlegungen verhindern. Aber: Sozialethik ruft dazu auf, die Folgen solcher Prozesse zu mildern.

Das ist nun erste Aufgabe der kirchlichen Gesellschafter bei Weltbild. In seinem Zorn hat der Augsburger Verdi-Sekretär behauptet, die Kirche hätte „jahrelang fette Gewinne“ abgeschöpft, „sich so die Prunkbauten mitfinanzieren lassen“ und würde dann, „ wenn die Belegschaft Hilfe braucht, die zugesagten Gelder wieder streichen.“ Beides entspricht nicht den Tatsachen: Die Gewinne wurden jahrzehntelang in das Unternehmen reinvestiert, sonst wäre die Expansion von Weltbild gar nicht möglich gewesen. Und die zugesagten Gelder – 60 Millionen Euro – werden keineswegs gestrichen, sondern stehen für die soziale Abfederung jener Mitarbeiter zur Verfügung, die von der Insolvenz betroffen sein werden. Und wenn es nicht reicht, wird die Kirche etwas drauflegen müssen.

Wohlfeil sind jetzt auch Stimmen, die sich durch das Weltbild-Desaster in ihrer Forderung bestätigt fühlen, die Kirchen hätten in der Wirtschaft nichts zu suchen. Papst Benedikt habe mit seiner „Entweltlichungsformel“ in seiner Freiburger Rede schon Recht gehabt, mithin: Kirche müsse sich ganz auf Verkündigung konzentrieren und sich aus allen wirtschaftlichen Zusammenhängen zurückziehen.

Ein solcher Gedanke ist naiv. Die katholische Kirche nimmt, wie auch die evangelische, jährlich mehr als fünf Milliarden Euro Kirchensteuern ein. Diese Gelder werden von den Kirchenmitgliedern bekanntlich freiwillig bezahlt in der Absicht, die Kirchen in den Stand zu setzen, ihren Verkündigungsauftrag inmitten unserer Gesellschaft zu erfüllen. Sie sollen damit Gemeinden unterhalten (woran jedenfalls die katholische Kirche beklagenswert spart), man erwartet christliche Krankenhäuser, Altenheime, Schulen und Kindergärten.  Die 50 Millionen Christen im Lande wollen, dass diese Gesellschaft ihre christliche Prägung nicht verliert und christliche Botschaft offensiv lebt und sich nicht in stille Winkel der Meditation zurückzieht. Das ist der Auftrag, den die Christen mit der Kirchensteuer ihrer Kirche geben, der katholischen wie der evangelischen.

Also sind die Kirchen damit auch als wirtschaftliche Akteure in die Mitte der Gesellschaft gezwungen. Sie sind Arbeitgeber für Hunderttausende von Menschen, die in allen kirchlichen Einrichtungen ihren Dienst tun. Sie sind Besitzer der Immobilien, in denen das geschieht. Sie sind Verwalter der ihnen anvertrauten Gelder und brauchen dazu die besten Leute.

Der Fall Weltbild zeigt, dass an dieser Stelle noch großer personalpolitischer Nachholbedarf besteht. Die Professionalisierung der insoweit „weltlichen Kirche“ bleibt eine Daueraufgabe, wie auch die Verbesserung der Transparenz im Umgang mit den Kirchensteuergeldern.  Wenn die deutschen Bistümer sich nun offensiv dieser Diskussion stellen, wenn sie ihre Wirtschaftstätigkeit auf jene Bereiche beschränken, die mit ihrem Verkündigungsauftrag tatsächlich zu tun haben, wenn sie mehr Transparenz zeigen – dann wäre durch Limburg und Weltbild doch noch etwas gewonnen.

Die Außenpolitik als Schicksal. Letzter Brief an die Kanzlerin.

Verehrte Frau Bundeskanzlerin,

wenn ich meine „Briefe an die Kanzlerin“ in der ZEIT der vergangenen drei Jahre so durchsehe, fällt mir auf, dass die Kritik an Ihrem Regierungshandeln nie grundsätzlicher Art war. Sie galt vielmehr meist der mangelnden Sichtbarkeit Ihres Regierungsstils. Nur selten hat man Sie mit großen programmatischen Reden vernommen, Sie haben nicht vernehmlich auf den Kabinettstisch geschlagen. Vielmehr verstanden Sie es, die Dinge still dorthin zu lenken, wo Sie sie haben wollten.  Das wird, nach all dem Regierungs- und Weltenlärm der letzten Jahre, als Wohltat empfunden.

Demonstratives Durchgreifen scheint ja auch unnötig. Die Wirtschaft läuft erfreulich. Die Regierung ist stabil. Der Koalitionsvertrag verheißt keine Revolutionen. Kurz: Innenpolitisch ist alles so, dass die Deutschen Sie gerne als „Schutzherrin des status quo“ wiedergewählt haben. Der Deutsche an sich liebt ja Kontinuität, Verlässlichkeit, Ruhe, Disziplin und damit eine weltbeobachtende, bewahrende und selbstbewusste Provinzialität. All das strahlen Sie aus.

Außenpolitisch aber können wir an einem Status quo gar nicht interessiert sein. Erstens ist die politische Struktur Europas höchst instabil: Verfassungsgerichte, nationale Parlamente und Volksentscheide stellen sich zunehmender Integration in den Weg. Findet Europa aber nicht zu innerer Einheit, gemeinsamen wirtschafts- und finanzpolitischen Konzepten und auch zu außenpolitischer Gemeinsamkeit, wird es im Konzert der Weltmächte binnen weniger Jahre vergleichsweise bedeutungslos werden.  Zweitens ist unsere Lage in der Welt nicht gerade beruhigend: Das Verhältnis zu den USA ist gestört und wird zunehmend beschädigt von antiamerikanischen Affekten, die sich hierzulande – wenn auch außerhalb der Regierung – wieder Raum bahnen. Der östliche EU-Nachbar Russland fühlt sich von Deutschland und der EU politisch vernachlässigt und auch vom Russlandbeauftragten Ihrer Regierung moralisch bevormundet. Auch innerhalb Europas wird Deutschland als Werte und Ordnungspolitik predigender Präzeptor wahrgenommen, als ökonomischer Musterschüler zudem, dem man mit Neid und Abneigung zugleich begegnet.

Die Außenpolitik bestimmt unser Schicksal. Ich erinnere mich eines Zusammentreffens auf Schloss Meseberg, bei dem Sie die politische Landschaft und ihre kleinen Aufgeregtheiten resümierten und anmerkten: „Wir stellen die falschen Fragen.“ Das ist wahr, schon wieder füllen Kleinigkeiten die Schlagzeilen, der Streit um die Maut etwa oder den staatlich verordneten Mindestlohn. Das betrifft uns, man kann sich (wie ich) darüber ärgern – aber wirklich wichtig ist das nicht. Wichtig ist die Außenpolitik. Danach muss man drängend fragen. Jeder Fehler dort wird uns historisch begleiten.

Deshalb bleibt der Wunsch bestehen: Reden Sie mehr und eindringlicher über Europa. Weichen Sie nicht und vor niemandem zurück, wenn es um die weitere Integration des Kontinents geht. Suchen Sie die offensive Debatte. Nur ein einiges Europa wird in den Geschichtsbüchern folgender Generationen positiv notiert sein. 100 Jahre nach Ausbruch des ersten Weltkrieges sollten wir das  wissen.

Manchmal habe ich mich gefragt, was Sie wohl dachten, wenn Sie (wenn überhaupt) diese „Briefe an die Kanzlerin“ meiner Kollegen Möller, Brender und von mir lasen. „Die haben leicht schreiben“, oder: „Wenn die Herren nur um alle Details wüssten…“? Aber so ist publizistische Kritik: Sie bezieht sich auf das Sichtbare des Vordergrundes – und ahnt doch, dass es häufig Hintergründe politischer Entscheidungen gibt, die für die Öffentlichkeit nicht taugen.

Eines aber haben Sie hier immer gespürt: den Respekt vor dem politischen Amt, zumal dem des Bundeskanzlers. Diese Verantwortung wird an Stammtischen oft  geschmäht, sie wird gemessen an der Verantwortung schlecht bezahlt. Aber sie ist gewaltig. Fehler hat man nicht selbst, die hat ein ganzes Volk auszubaden, und das oft auf lange Sicht.

Insofern: Ich wünsche Ihnen für 2014 Gesundheit und Standfestigkeit. Und ich wiederhole einen Satz, den ich schon Anfang 2012 schrieb: „Ich sehe niemanden, der gegenwärtig der bessere Kanzler wäre.“

(die „Briefe an die Kanzlerin“ erschienen seit April 2011).

 

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