6. Oktober 2025

Bruch des Völkerrechts. Und dennoch: Miteinander reden!

Es gibt in der Ukraine-Krise Aspekte, die ein gewisses  Verständnis für Russland ermöglichen. Die Politik der EU gegenüber der Ukraine war unklug, auch fehlte es in der Vergangenheit an entschiedenen Versuchen, Russland nach Europa einzubinden. Umgekehrt hat Putin darin versagt, sich Europa anzunähern – in der Rechts-, in der Menschenrechtspolitik, auch bei der Medienfreiheit. Alle weiteren russischen Versäumnisse lassen sich in den berühmt schonungslosen Reden des letzten Präsidenten Medwedew  der vergangenen Jahre nachlesen, in denen er selbstkritisch die Lage des Landes beschrieb:  Korruption, Kleptokratie, Kapitalflucht, politische Justiz und so weiter.

 Aber auch EU-Fehler rechtfertigen nicht die Zerstörung der territorialen Integrität der Ukraine, die Verletzung ihrer Souveränität des Selbstbestimmungsrecht seiner Bevölkerung. Wer auch immer diesen Völkerrechtsbruch jetzt verteidigt (und heiße er Helmut Schmidt), der signalisiert, dass sich Rechtsbruch lohnt, der nimmt das Ende der Nationalstaaten und die Rückkehr zu europäischer Kleinstaaterei in Kauf. Das ist ein für alle verhängnisvoller Weg, zumal er als Zeichen der zurückweichenden Schwäche all jenen Appetit macht, die territoriale Expansion auf ihrer politischen Agenda haben. Wladimir Putin gehört dazu.

 Putins Vorgehen hat weitreichende Konsequenzen, jenseits der bereits verhängten und der noch möglichen Sanktionen. Niemand glaubt mehr an Russlands Willen zu friedlicher Koexistenz. Es gibt nun jeden Grund für die Annahme, dass Unterschriften des Kremlherrn unter Verträge wertlos sind. Das gilt auch für die Energiepolitik – der rasche Weg zur EU-Autarkie ist nun dringlich. Das Misstrauen gegenüber Russland ist weltweit und vor allem aber bei seinen Nachbarn gestiegen. Parallel sinkt die Bereitschaft, sich für Russland zu engagieren oder dort – in solch unsicherem Rechtsrahmen – zu investieren. Putin hat eine Situation geschaffen, in der ein gedeihlicher Dialog über zivilgesellschaftliche Fragen kaum mehr möglich ist, weil er nachrangig wirkt gegenüber allen anderen Problemen mit einem Regime, das sich um Staatssouveränität nicht mehr kümmert.  

Das russische Volk hat all das nicht verdient. Die Menschen dort müssen den wirtschaftlichen Niedergang und alle andere Misswirtschaft erleiden. Aber weil Russland östliches Europa ist und nicht Westasien, muss man mit Russland und seinen Menschen wenigstens im Gespräch bleiben.

 (erschienen im April 2014 in „Voices from Germany“)

Mann mit Hut: Die katholischen Bischöfe wählen einen neuen Vorsitzenden. Ein Kardinal sollte es sein!

Vor wenigen Tagen beschrieb Papst Franziskus das Anforderungsprofil für einen Bischof: „Mutige und milde Glaubenszeugen“ sollen sie sein. Menschliche Fähigkeiten, Intellekt, kulturelle und seelsorgerliche Qualitäten reichten nicht, sagte Franziskus, ein Bischof dürfe vielmehr die Souveränität Gottes niemals vergessen, auch „kollegialer Einsatz“ sei unabdingbar. Bischöfe sollten es verstehen, „die Welt zu bezaubern“ mit dem Angebot der Freiheit des Evangeliums, sollten als „milde Sämänner“ durch die Welt gehen, „ihrer Herde nah, emsig und im Alltag da“.

Milde bedeutet laut Duden: „gütig, nicht streng, nicht hart“, „Verständnis für die Schwächen des Gegenübers zeigend, nachsichtig“, „freundlich im Wesen oder im Benehmen und frei von allem Schroffen, Verletzenden“. Was der Papst und die Sprachpäpste umreißen, ist für die katholische Kirche ein klarer Maßstab.

In Deutschland sind Bischöfe ins Amt gekommen, denen Strenge und Intoleranz, Verletzungswille und dogmatische Schroffheiten nicht fremd sind, wie etwa dem eben aus dem Amt geschiedenen Kölner Erzbischof. Sie haben mit einem verengten Gottesbild und Drohungen den Graben zwischen der Hierarchie und den Gläubigen vertieft. Franziskus hat an der Basis zum Thema Familie nachgefragt, und er hat eine eindeutige Antwort bekommen: Mit der Dogmatik ihrer Amtskirche, mit der offiziellen Sexualmoral und dem Umgang mit nicht katholisch-gradlinig verlaufenden Biografien können die Katholiken in Deutschland nichts mehr anfangen, die Lehre ist ihnen mittlerweile egal.

Wenn das schon in den Diözesen so schiefgehen konnte – welche Fähigkeiten erst braucht der Vorsitzende einer ganzen Bischofskonferenz, wie ihn die deutschen Bischöfe in der kommenden Woche zu wählen haben?

Milde und Toleranz stehen obenan, anders lässt sich eine divergierende Truppe nicht zusammenhalten. Diözesan- und Weihbischöfe haben ihre Partikularinteressen, ihren Partikularstolz und auch ihre „Privatdogmatik“. Sie sehen die katholische Kirche in Deutschland nicht als Ganzes, sondern als Organisation von Gnaden der einzelnen Diözesen. Kirchenrechtlich mag diese Blickverengung in Ordnung sein, zukunftstauglich ist sie nicht. Gemeinschaftsaufgaben vom Bildungssystem über die sozialen Einrichtungen bis hin zu den Medien werden wichtiger, doch die Bereitschaft dazu schwindet. Gemeinsam klagen, getrennt handeln – dieses Rezept ist heute nicht mehr hinnehmbar, erst recht, wenn eine Kirchenkrise der nächsten folgt. Ein Vorsitzender der Bischofskonferenz braucht also nicht nur intellektuelle Spannkraft und lange Führungserfahrung, sondern auch natürliche Autorität, mit der er solche überdiözesanen Projekte innerhalb der Bischofskonferenz fest verankern kann.

Innerkirchliche Überzeugungskraft reicht aber nicht, die Anforderungsliste ist länger. Weil die Kirche mit ihren Botschaften inmitten der Gesellschaft steht, braucht ihr oberster Repräsentant auch gesellschaftspolitische Kampfkraft. Der Papst macht vor, wie sich für das Christentum werben lässt. Der Vorsitzende einer Bischofskonferenz braucht eine Vorstellung davon, was die gern herbeizitierte „christlich geprägte Gesellschaft“ ausmacht. Weichgespülte Sozialpapiere, dröge Ratgeber für ein „gelingendes Leben“ oder Analysen zur Lage der Medien sind es sicher nicht. Schon deren Sprache verhindert Aufmerksamkeit.

Das heißt zweierlei: Zum einen muss der neue Vorsitzende zutiefst ein Homo politicus sein, einer, der sich gern dem Gespräch mit Politikern, Parteien und Verbänden stellt. Die Lebensprinzipien einer Gesellschaft schlagen sich auch im kodifizierten Recht nieder, die Debatte über Recht und Unrecht gilt es zu beeinflussen. Da ist es unabdingbar, dass sich ein solcher Kirchenrepräsentant Respekt verschaffen kann durch sein intellektuelles Format, sein Auftreten, seine Unnachgiebigkeit, seine Unbequemlichkeit und seine Überzeugungskraft.

Gerade diese Anforderung verweist auch auf das Mediensystem. Es reicht nicht mehr, eine gute Botschaft zu haben. Man muss sie auch medienspezifisch wirksam verkaufen können. Jedes Medium hat seine Eigengesetzlichkeiten. Talkshows sind die Kanzeln unserer Zeit. Wer dort keine gute Figur macht, wer nicht klug, kampfstark und sympathisch die Offenheit christlichen Lebens repräsentiert, hat schon verloren und mit ihm seine Sache. Dogmatische Winkelriede, frömmelnde Theologen und rhetorische Blindgänger fallen auf der Fernsehbühne durch. Wer sich in die klerikale Nische zurückzieht, hat in der Mediengesellschaft keine Chance.

Zuletzt: Ein Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz ist von vornherein wirkungslos, wenn er nicht starke Deckung in Rom hat. Die letzten Inhaber dieses Amtes, die meist im Range eines Bischofs waren, kannten da entwürdigende Situationen: Eben wollten sie mit Anliegen der deutschen Bischofskonferenz vatikanische Behörden betreten oder sogar beim Papst vorsprechen, da kam ihnen schon mal ein deutscher Kardinal entgegen, der die Angelegenheit vorab in seinem Sinne beeinflusst hatte. Das könnte man Intriganz nennen, milder: Unsolidarität, jedenfalls aber: Der Ober sticht den Unter.

Ein Vorsitzender der Bischofskonferenz ohne Kardinalshut brächte sich selbst und die deutsche Kirche ins Hintertreffen. Der Mann benötigt Einfluss im Vatikan, er muss den Papst gut kennen. Das gilt zumal in Zeiten, in denen – wenn man den bisherigen Reden des Papstes Glauben schenken soll – die Autonomie der nationalen Bischofskonferenzen gestärkt werden soll und sich die Kirche aufmacht, aus ihrer dogmatischen Verengung endlich das „Aggiornamento“ des Zweiten Vatikanums ernst zu nehmen, also die Wahrnehmung der Lebenswirklichkeit der katholischen Christen in der Welt.

Nur wenige genügen allen Anforderungen. Kardinäle dieses Zuschnitts gibt es nur zwei, Woelki und Marx. Wer – wie der Autor – den Münchner Kardinal kennt, hat keinen Zweifel daran, dass er an gesellschaftspolitischer Kampfkraft und vatikanischer Vernetzung gewichtiger ist. Der Ausgang der Wahl wird für die Zukunft der deutschen Kirche bedeutsamer und schalen Kompromissen weniger zugänglich sein, als es manchen wahlberechtigten Bischöfen scheinen mag.

(erschienen und ZEIT/Christ und Welt vom 6. März 2014)

Wulffs Freispruch erster Klasse – am Ende eines Medienskandals.

Christian Wulff ist freigesprochen. Das war von Anfang an nicht anders zu erwarten, aber eine maßstabslose Staatsanwaltschaft hat dieses Verfahren durchgedrückt unter Inkaufnahme vieler Beschädigungen – des Lebens von Christian Wulff und auch des Rechtsstaats.

Maßstablos waren in der Causa Wulff aber noch andere: Die Politiker, die ihn schmähten (Sigmar Gabriel etwa, der von „der Type im Bundespräsidialamt“ sprach), vor allem aber die Medien. Sie haben ihn verfolgt wie von Ketten gelassen, in seltener netzwerkrecherchierender Allianz, sie wollten etwas finden, bliesen Kleinigkeiten zu Skandalen auf, eine mediale Öffentlichkeit von „kollektiver Besinnungslosigkeit, wie im Rausch“, so selbstkritisch Hans-Ulrich Joerges vom „Stern“.

Die Medien waren es, die so etwas wie eine Pogromstimmung im Lande erzeugten, von der Bildzeitung über die FAZ bis hin zu den öffentlich-rechtlichen Anstalten. Die ARD lieferte mit der Live-Übertragung des Abschieds-Zapfenstreiches für den scheidenden Bundespräsidenten den Höhepunkt mit Schaltungen in die vor dem Schloss Bellevue mit Vuvuzelas lärmende und über Rundfunksendungen herbeigerufenen Menge, um Gelegenheit zu geben, ihren Abscheu kundzutun. Sie nahm dem Bellevue-Abschied damit die letzte Würde. Damals verstand ich, wie durch mediale Aufpeitschung Hitlers Nationalsozialismus möglich wurde, hatte allerdings geglaubt, unsere Demokratie sei dagegen stärker gefeit. Das war ein Fehlurteil.

Auch heute ist die Einsicht der Medien nur verhalten. Gegen einen Freispruch Erster Klasse („Uneingeschränkt unschuldig“, sagte der Richter) kann man nicht mehr gut rechtlich argumentieren, also wird das Ganze jetzt auf eine moralische Ebene verschoben: Aber ein Tölpel war er doch, „gewogen und zu leicht befunden“ etwa durch FAZ-Herausgeber Berthold Kohler (FAZ 28. Februar 2014), das Schönste an der Affäre sei ja, dass man nun einen  so tollen Bundespräsidenten habe.

Das begründet Kohler, indem er die schmalen Reden des jetzigen Bundespräsidenten Gauck zu Worten mit „Tiefe und Gewicht“ aufbläst. Solches Gewicht käme allenfalls seiner (genau mit der Bundesregierung orchestrierten) außenpolitischen Rede zur Münchner Sicherheitskonferenz zu sowie der beim Freiburger Eucken-Institut zur Bedeutung des Liberalismus. Aber durch die historische Rede Wulffs zur Integration des Islam in Deutschland werden diese Reden mindestens aufgewogen. Mithin: Wenn man absolut nichts mehr vorbringen kann, dann muss man es mit Relativierungen versuchen.

Worte der Selbstkritik? Am Abend des Wulff-Freispruchs hat hier immerhin die ARD eine gute Figur gemacht. Die Berichterstattung war in Tagesschau und Tagesthemen fair, die Selbstkritik deutlich. Während Ulrich Deppendorf in der „Tagesschau“ in der medialen Begleitung „Anflüge von Hetzjagd“ bedauerte (seine Zapfenstreich-Übertragung vom 2012 gehörte dazu) und fand: „Wir Macher müssen uns kritische Fragen gefallen lassen“, ergänzte Rainald Becker vom SWR in den „Tagesthemen“, viele hätten sich seinerzeit zu „verbaler Lynchjustiz“ gesteigert, und alle seien „viel zu schnell mit Vorverurteilungen“ gewesen.

In der FAZ allerdings, die Wulff seinerzeit einen „mafiosen“ Stil attestierte, fehlt jede Selbstkritik, jede Entschuldigung. Das ist eines Mediums vom publizistischen Anspruch der FAZ unwürdig. Berthold Kohler diagnostiziert rückblickend nur allgemein „Übertreibungen, in den Medien wie in der Politik, später auch noch in der Justiz“.  Die Klassen-Selbstkritik überlässt er in den „Fremden Federn“ dem Publizisten Günter von Lojewski, der in der FAZ immerhin zu Wulff schreiben darf: „Um sein öffentliches Ansehen, um Einfluss und Job hat ihn kein Gericht gebracht, sondern die veröffentlichte Meinung. Sie hat sich … genüsslich am ersten Mann im Staates geweidet.“ Ein Hinweis auf die FAZ, die ganz vorne dabei war, fehlt auch hier. Und man wird sehen, ob sich die FAZ beteiligt an der berechtigten Forderung Lojewskis, dass Journalisten sich selbst „zum Gegenstand des öffentlichen Diskurses machen, unsere Standards, unser Ethos, unser Verhältnis zu Freiheit und Macht.“ Das wäre, sage ich als FAZ-Leser, sehr zu wünschen.

Bleibt die Politik: Niemand, so berichtete es die ARD, habe aus CDU, SPD und Grünen am Urteilstag Stellung beziehen wollen von denen, die Wulff vor zwei Jahren noch allesamt schmähten. Sonst beißen sie in jedes Mikrofon – diesmal wollte keiner Worte des Lobes für den Rechtsstaat , des Bedauerns über die Vorverurteilungen oder der guten Wünsche für Christian Wulff finden. Was für ein Kleinmut, aus dem nur einer ausbrach: Karl Lauterbach von der SPD, in den ARD-Tagesthemen: Er habe damals auch nicht gedacht, dass nach der ganzen Erregung in der Sache so wenig übrigbleibe. Nun habe sich Christian Wulffs Unschuld herausgestellt, „da schulden wir ihm ein Stückweit eine Entschuldigung“. Chapeau, Herr Lauterbach!

(28.2.2014)

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