7. Oktober 2025

Städter, bleibt in der Stadt!

Es herrsche, erklärt man uns, Landflucht in Deutschland. Die Menschen wollten dorthin, wo das Leben tobt. Wo Menschen, Autos, Geschäfte dicht beieinander sind. Wo der Lärmpegel so hoch ist wie die Mieten. Das alles, predigen uns die Immobilienunternehmer, sei wahnsinnig attraktiv.

Dann aber klingelt an der Etagenwohnung jemand vom Institut für Demoskopie in Allensbach. Ob sie mit ihrem Stadt-Leben zufrieden seien? Zum Ärger der Immobilienmakler sagen nur acht Prozent der Städter: ja! Sie vermuten das Glück vielmehr auf dem Land: Gute Luft, günstiger Wohnraum, Nachbarschaftshilfe, Zufriedenheit. „Die Sehnsucht der Städter nach dem Land wird immer größer“, folgern die Demoskopen.

Die Soziologen – meist Städter – sind irritiert. Im Deutschlandfunk faselte neulich einer, es handele sich um ein Phänomen der „Spätmoderne“, die Städter lebten eine eingeübte „Ästhetik und Ikonografie des Natürlichen“ aus, die Sehnsucht gelte dem Wald und den Wiesen und damit auch einer im Geschwindschritt der globalen Ubiquität verlorengegangenen Langsamkeit. Dann sagte der Deutschlandfunk-Soziologe: „Die Menschen denken ans Landleben und glauben, die Kuh grüßt um die Ecke – wir wissen aber, das ist nicht so.“

Der Mann war nie auf dem Land. Während ich diese Zeilen schreibe, grasen Kühe nur hundert Meter von hier, große, braune, echte Kühe. Aus Nachbars Garten kräht der Hahn, und in meinem eigenen Gemüse- und Obstgarten wachsen gerade Salate, Sauerampfer, Zucchini, Gurken, Mangold, Radieschen, Busch- und Stangenbohnen, Tomaten, Kohlrabi, Grünkohl, Rosenkohl, Kürbis, rote Beete, Zuckermais, Johannisbeeren, Äpfel, Zwetschgen, Holunder, Zwiebeln und Lauch. Nicht zu vergessen etwa 25 verschiedene Würz- und Heilkräuter. Zehn Gehminuten, dann bin ich im Naturschutzpark der Lüneburger Heide, dort, wo die Heidschnuckenherden ihrer Wege ziehen, (auch vor dem Wolf) behütet von Schäfern und ihren Hunden.

Jeden Morgen, bevor um acht der Büroalltag beginnt, gehe ich eine Stunde in die Beete. Man muss jäten, Schnecken sammeln, die Beete hacken und wässern. Die Salatsamen müssen in die Anzuchtgefäße und die schon kräftigen Setzlinge ins Beet. Die Staudenbeete wollen gejätet und geschnitten sein, die verblühten Rosen gekappt.   Vor allem muss man ernten: heute zwei Schlangengurken, zwei Zucchinis, zwei Kohlrabi, Radieschen und Mangold.

Die Morgenstunden sind still, ab und an fährt ein Traktor auf die Felder hinaus, Erntezeit.  Später hört man Autos, die die Dorfstraße hinunter zur Autobahn streben, weiter nach Hamburg, 25 Minuten braucht man bis zur Innenstadt, auch nicht mehr als jemand aus Blankenese. 60 000 Pendler allein aus dem Süden Hamburgs machen das so, mit Bahnen, Bussen, Autos. Aber sobald sie können, wollen sie wieder heim.

Wir Landmenschen neiden den Städtern nicht einmal ihr Freizeitangebot. Zugegeben, wir haben keine Staatsoper. Aber dafür musizieren in den jahrhundertealten Kirchen von Egestorf und Undeloh Konservatoriumsabsolventen ganz wunderbar, jeden Sonntag, den ganzen Sommer über, immer um 17 Uhr, immer für zehn Euro. Wir haben auch kein Schauspielhaus, dafür aber den „Ebendörper Immenschworm“, der die Skandale des Landlebens erschütternd auf die Bretter bringt. Wir sonnen uns nicht am künstlich sandaufgeschütteten Elbstrand mit Kübelpalmen und Caipirinha, dafür aber im wunderbar gepflegten Waldnaturbad mit sauberem Quellwasser, das umgeben ist von einem Barfußpark, in dem man unter den Füßen spüren kann, was es in der Großstadt kaum mehr hundekotfrei gibt: Moor, Sand, Wiese, Kiesel, Blätter, Rindenmulch.

Wir haben Schulen ohne Drogen, Kitas mit fröhlichen Kindern, Bauernmärkte. Wir Landleute, sagt Allensbach, sind total zufrieden, was die Städter ja kaum glauben möchten. Vielleicht ist es ja auch besser, sie bleiben in der Stadt. Dort können sie ihre geheime Land-Sehnsucht bei „Urban Gardening“ und der Lektüre von Sehnsuchtszeitschriften wie „Landlust“, „Landidee“, „Mein liebes Land“, „Mein schönes Land“ ,„Landgarten“, „LandSeele“ oder „Kraut und Rüben“ ausleben. Ich hingegen erwäge, mir fünf Hühner zuzulegen und einen Steinbackofen in den Garten zu bauen. Doch das wird eine andere Geschichte.

(erschienen in ZEIT/Christ und Welt 6.8.2014)

 

 

Militanz durch Religionen

Kriege im Namen von Religionen und gegen Religionen sind kein neues Phänomen. Die Religionsgeschichte ist voller solcher Ereignisse.  Die Unterdrückung religiöser Bewegungen hatte ihren Beweggrund meist in der Durchsetzung totalitärer weltlicher Machtansprüche – Diktatoren wollen keine anderen Götter neben sich haben. Unvergessen bleibt hier der wahnhafte Tagebucheintrag von Goebbels vom 5. August 1933: „Wir werden selbst Kirche werden“, der zur Erklärung der Hitlerschen Verfolgungssystematik wesentlich beiträgt.

Christentum und Judentum haben sich im Laufe ihrer Geschichte zu Religionen des Friedens gewandelt. Das hatte die Hoffnung aufkommen lassen, auch der Islam als dritte mosaische Religion könnte zu einer weltweiten friedenssichernden Kraft aufwachsen. Das war die Vision: drei große Religionen als weltweit wirksames Friedensbündnis.

Doch jene Formen eines modernen Islam, die religiöses Leben und Demokratie miteinander in Einklang bringen, haben es nicht geschafft, die Ausbreitung solcher fundamentalistischer islamischer Bewegungen zu stoppen, die religiösen Absolutheitsanspruch und weltliche Diktatur in menschenverachtender Weise miteinander verbinden. Die gegenwärtigen Christenverfolgungen in Syrien oder solche in Afrika sind beredtes, grauenhaftes Zeugnis davon.

Die Lehre ist: Wenn man den Hass auf religiös Andersdenkende nur lange genug schürt, dann entgleitet auch den politischen und religiösen Führungskräften die Möglichkeit des Einflusses. Die Geste von Papst Franziskus, mit dem israelischen und dem palästinensischen Präsidenten im Vatikan ein Friedensgebet abzuhalten, erweist sich rückblickend als rührend, aber wirkungslos.

Nüchtern muss man bilanzieren: Religionen haben ihre friedensstiftende Wirkungsmacht verloren und sind selbst wieder hineingezogen in interreligiöse Kriege. Es macht sich (in allen Religionen) ein Fundamentalismus breit, der das Vernunftprinzip nicht mehr akzeptiert, vorangetrieben von Fanatikern, die „sich in einer Zeit der forcierten Modernisierung und Verwestlichung an den Rand gedrängt und ausgeschaltet fühlten“ (Hans Maier) – im Iran, im Irak, in Afghanistan, in Afrika und anderswo.

Das sind keine guten Aussichten.

Kein Asyl für Snowden

Seit Monaten wird die deutsche Öffentlichkeit in Atem gehalten mit den Folgen der Enthüllungen des amerikanischen Geheimdienstmitarbeiters Snowden. Er hat, als er den Umfang der Abhörpraxis der NSA offenlegte, gegenüber seinem und mit uns eng befreundeten Heimatland Landesverrat begangen – mit dramatischen Auswirkungen für die USA und die Freunde der Freiheit weltweit.

Erstaunlich an diesem Vorgang ist vor allem die widerspruchslose Empörung, die hierzulande darum inszeniert wird. Denn es ist nichts Neues, dass die Mächte des geopolitischen Spiels sich gegenseitig ausforschen. Es ist legitimes Interesse und sogar staatspolitische Verantwortung, mit den bestmöglichen Mitteln die Schachzüge politische Partner und Gegner zu prognostizieren. Schon Metternich ließ als österreichischer Außenminister und Gastgeber des Wiener Kongresses seine Gäste aus Russland, Frankreich, Großbritannien, Preußen und dem Vatikan eifrig ausspionieren, die Akten der Wiener Hofpolizei aus jenen Zeiten füllen ganze Regale.

Bis heute hat sich nichts daran geändert. Russland, China, die USA und andere Mächte liegen in einem erbitterten Ringen um die Weltpolitik: Im Nahen Osten, in Mittelasien, in Afrika, im chinesischen Meer. Es geht nicht nur um Einfluss, auf dem Spiel stehen in großer Zahl Menschenleben, die in Kriegen und Terror vernichtet werden. Es geht auch um den Wert der Freiheit in einem Ringen, in dem totalitäre Machthaber und religiöse Fundamentalisten ihre Macht rücksichtslos zu festigen suchen.

Die Konsequenz muss also sein: Wer seine Freiheit sichern und der Freiheit anderer zum Durchbruch verhelfen will, braucht solche Informationen. Denn die offene Gesellschaft, in der wir leben, ist es wert, verteidigt zu werden. Aber ihre Offenheit ist zugleich das Einfallstor für jene, die sie vernichten wollen.

Also braucht es Nachrichtendienste, die einschlägige Informationen sammeln, mit allen technischen Möglichkeiten. Und jene Dienste, deren Regierungen sich gleichen freiheitlichen Werten verpflichtet fühlen, müssen selbstverständlich kooperieren, also auch die deutschen und die amerikanischen. Wir stehen auf der Seite der Freiheit, und wir haben allzu leidvoll erfahren, wie rasch sie bedroht werden kann. Wir müssen wehrhaft sein.

Was also steht hinter der täglichen Attacke, die aus politischen und Medienkreisen auf die USA gefahren werden? Ist es latenter Antiamerikanismus, den dort jetzt jene ausleben, deren politische Sozialisation – im Westen wie in der DDR – in solchem amerikafeindlichen Umfeld stattfand? Warum werden die russische und chinesische Spionage so lautstark beschwiegen?

Warum soll ein Landesverräter wie Edward Snowden, der noch nicht hat klarmachen können, dass nur eine der gesammelten NSA-Informationen zu unserem Nachteil verwendet worden wäre, unbedingt bei uns Asyl erhalten? Warum will man seine Dauerbleibe in Deutschland erpressen, indem man ihm rät, Aussagen nur in Deutschland zu machen und nirgendwo sonst – wo er natürlich sofort um politisches Asyl nachsuchen wird und die Bundesregierung damit gegenüber unseren amerikanischen Freunden in eine absehbar heikle Lage bringt? Warum wird nicht endlich darüber geredet, wie man die deutschen und europäischen Geheimdienste so stärken kann, dass sie im Weltkonzert ihrer Branche mithalten können?

Wer also, so muss man fragen, hat ein politisches Interesse, Deutschland und die USA zu spalten, deren politische Nähe zu lockern oder aufzulösen? Es ist nicht schwer, die Antwort darauf  im Blick nach Osten zu finden, von wo aus wir ohnehin gegenwärtig mit Propaganda überzogen werden.

Selbstverständlich muss die Bundesregierung dabei bleiben, Snowden die Einreise nach Deutschland zu verwehren Er wird gerühmt als Vorkämpfer einer informationellen Selbstbestimmung und individueller Freiheit im Internet – in Wirklichkeit hat er der wehrhaften Freiheit und der Verteidigung offener Gesellschaften weltweit einen Bärendienst erwiesen. Es wird Zeit, dass das auch im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages endlich mutig zur Sprache kommt.

 

 

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