7. Oktober 2025

Ehe und Familie stärken – aber wie?

Um die Familie als Grundlage unserer Gesellschaft steht es nicht zum Besten. Die Geburtenraten sind, vor allem angesichts pharmazeutischer Möglichkeiten der Empfängnisverhütung, in den meisten Industrienationen niedriger, als es zur Reproduktion einer Nation notwendig wäre. Die Haltbarkeit der Ehen ist problematisch, etwa jede zweite Ehe endet vor dem Scheidungsrichter.

Das ist auch den Kirchen nicht entgangen. Besonders für die katholische Kirche wirft diese Lebenswirklichkeit ein Problem auf, denn weder die Empfängnisverhütung noch die Scheidung passt in die kirchliche Lehre, die solches nicht vorsieht und ihren Gläubigen sogar untersagt. Geschiedene, die sich erneut verheiraten, bleiben von der Kommunion ausgeschlossen, konfessionsverschiedene Ehen wird die Möglichkeit eines gemeinsamen Kommunionempfangs verwehrt. Das Ergebnis: Nur noch die allerwenigsten Katholiken in Mitteleuropa scheren sich um die Lehre der Kirche und empfinden sie in diesen Punkten als überholt, sie fühlen sich seelsorgerlich im Stich gelassen.

Nun will die katholische Kirche reagieren. 300 Bischöfe und 120 Laien-Experten werden ab Sonntag in Rom drei Wochen lang darüber debattieren, wie sich die Situation von Ehe und Familie in der Welt stabilisieren und sich die vorgefundene Wirklichkeit mit der kirchlichen Lehre besser vereinbaren ließe. „Es geht darum, wie Kirche dazu beitragen kann, dass Ehe und Familie gelingen“, fasst Kardinal Marx, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, das zusammen.

Was dazu auch notwendig ist, liegt auf der Hand: Die Kirche muss ihre Vorgaben bei Sexualmoral und Ehe ändern. Empfängnisverhütung muss als selbstverständliche Möglichkeit verantwortlicher Familienplanung akzeptiert werden. Wenn sie aus guten Gründen die Unauflöslichkeit der sakramentalen Ehe nicht aufgeben will, dann muss die Kirche seelsorgerlich begründete Ausnahmetatbestände schaffen. Die deutschen Bischöfe liegen schon beinahe richtig, wenn Kardinal Marx sagt: „Wir können nicht die Lehre der Kirche ändern, aber die ist eingebunden in einen lebendigen Prozess. Das ist auch Lehre der Kirche. So müssen wir für die theologische Urteilsbildung und die Pastoral auch immer wieder die ‚Zeichen der Zeit’ im Licht des Evangeliums lesen, so das Konzil.“

Für diese kompromissbereite Haltung, den Blick auf die „Zeichen der Zeit“, haben die deutsche Kirche und Kardinal Marx viel Gegenwind erhalten, und sie werden ihn auch bei der kommenden Familiensynode spüren. Die Gegenspieler mit einer starren konservativen Haltung kommen aus anderen Kontinenten, aber auch aus den eigenen Reihen, beispielsweise in Person des Kurienkardinals Gerhard Ludwig Müller, der die Glaubenskongregation der Kirche leitet. Man wird heftig diskutieren, am Ende sollte eine Lösung stehen, die den nationalen Bischofskonferenzen mehr seelsorgerlichen Handlungsspielraum einräumt, denn auch die Lebenswirklichkeiten zwischen den Kontinenten der Welt divergieren.

Papst Franziskus hatte zum Zorn seiner Gegner vorab schon Fakten geschaffen, als er kürzlich per Dekret die Bedingungen für die Auflösung einer kirchlich geschlossenen Ehe wesentlich erleichterte. Damit ist vielen gescheiterten Ehepaaren ein Weg gewiesen, Probleme zu umgehen. Bei dieser Maßnahme aber wird es nicht bleiben können. Sollte sich die Synode nicht zu klaren Entscheidungen durchringen, so weist Kardinal Marx vorsorglich schon einmal darauf hin, „dass die Synode kein Beschlussgremium ist, sondern dass sie den Papst berät.“ Und zu dessen engsten Beratern wiederum zählt er selbst.

Mein Schachtelhalm und die Ukraine

Mit der territorialen Integrität meines Gemüsegartens ist es nicht weit her. Von links und rechts überfallen Schnecken meine Salate. Von unten reckt sich der Schachtelhalm aus dem Boden, in meinem Fall der Equisetum arvense, der gemeine Ackerschachtelhalm. Wenigstens handelt es sich nicht um die Art „giganteum“, der wird nämlich zwei Meter hoch.

Ausgraben hilft ja nicht viel, das Wurzelgespinst sitzt metertief. Gift ist bei mir verboten. Also kapitulieren? Kurz habe ich überlegt, dem kieselsäurehaltigen Ackerschachtelhalm meinen ganzen Garten zu überlassen. Produziert man daraus Jauche oder Tee, kann man damit andere Pflanzen düngen oder Läuse vertreiben. Auch als Arznei ist der Arvense-Schachtelhalm geschätzt: ein harntreibendes Mittel sowie bei Rheuma, Entzündungen, Nierenleiden, Harngrieß. Der Pfarrer Kneipp hat behauptet, man könne Blut, Magen, Nieren und Blase damit reinigen und außerdem Ausschlag und Wunden. Also: Die Verletzung der Souveränität meiner 100 Quadratmeter Gemüsebeete einfach hinnehmen und die Sache kommerzialisieren?

Nein, man hat ja noch Prinzipien. So, wie die Ukrainer darauf bestehen, dass man ihnen nicht so einfach ein Stück ihres Landes klauen kann und sie die Krim zurückhaben wollen, so bestehe ich darauf, in meinem Gemüsegarten weiterhin Kohlrabi, Tomaten oder Gurken anbauen zu dürfen.

Wie ich darüber so nachdenke, erreicht mich ein Anruf eines Kollegen der ZEIT: Ich sei eine Gefahr für die Integrität des ukrainischen Staatsgebietes und dürfe dort nun nicht mehr einreisen. Ich? Ich für die Ukraine, was der Schachtelhalm für meinen Gemüsegarten ist? Vertreibung allerorten?

Kurz darauf weitere Anrufe: Spiegel, dpa, ARD Hörfunk Moskau, Deutsche Welle, Deutschlandfunk, FAZ. Also nehme ich die Sache ernst. Und tatsächlich: Herr Poroschenko hat 400 Menschen von der künftigen Einreise in sein Land ausgesperrt, auch mich. Viele Russen sind darunter – das kann ich noch verstehen, er ist wegen der Annexion der Krim nachhaltig böse. Aber wie kommt er auf mich?

Ich bin noch nie in der Ukraine gewesen. Einmal habe ich für ein Kinderheim in Kiew eine größere Summe Geldes organisiert, weil dort wirklich gebeutelte Kleine wieder sozialisiert werden sollten und Geld fehlte für die Fertigstellung. Die Annäherung der Ukraine an die EU hat mich gefreut, denn es ist ja altes europäisches Kernland. Als die Russen wider alles Völkerrecht die Krim okkupierten, habe ich die Annexion auch so genannt, ohne Wenn und Aber. Wie also kommt man in Kiew ausgerechnet auf mich? Vielleicht, weil ich schon öfter in Russland war?

Vielleicht muss man nachsichtig sein. Demokratie lernt sich nicht schnell, und Meinungsfreiheit auch nicht. Journalisten auf Sanktionslisten zu setzen ist – will man in die EU – nicht nur eine Dummheit, sondern sogar ein Fehler. Das zu erkennen hat bei Präsident Poroschenko zwölf Stunden gebraucht. Am Nachmittag wurde die Liste gekürzt, um die Namen der Journalisten darauf. Nun darf ich wieder einreisen. Vielleicht ruft mich ja der ukrainische Botschafter an und lädt mich ein. Ich bringe ihm dann einen Strauß Equisetum arvense mit. Ich versichere ihm: Dieser kann eine größere Bedrohung für die Integrität ukrainischen Territoriums darstellen als ich dies je vermöchte.

(veröffentlicht in ZEIT/Christ und Welt 23.9.2015)

Die ethische Achillesferse der Energiewende

Das sind frische Wochenenden auf dem Land: sonnenreiches Spätsommerwetter, klares Licht über den weiten Flächen. Auf den meisten Feldern ist die Ernte eingebracht, nur die Kartoffeln warten meist noch auf die Ernte. Und der auf immer mehr Flächen angebaute Mais. Der ist zu wachsenden Anteilen nicht für den Verzehr bestimmt, sondern landet in Silagen und wird dann in Biogasanlagen verwendet. Deutschland vermaist, muss man klagen. 2013 wurde auf 2,5 Millionen Hektar Mais angebaut in Deutschland, ein Drittel davon für Zwecke der Energieversorgung.

Das ist ein doppeltes Problem. Zum braucht der Mais besonders viel Düngung, was zu steigenden Nitratwerten im Boden und zu überschrittenen Grenzwerten in den darunter liegenden Grundwasserschichten führt. Zum anderen aber ist dieser hochsubventionierte Energiemais auch deshalb die ethische Achillesferse der Energiewende, weil diese Flächen für den Anbau von Nahrungs- oder Futtermitteln nicht mehr zur Verfügung stehen.

Dabei wäre das besonders notwendig. Der jüngste Welternährungsbericht der Vereinten Nationen hat uns gelehrt, dass weltweit noch mehr als 800 Millionen Menschen chronisch unterernährt sind. Zwar bemüht man sich in allen Erdteilen darum, diesen Hunger zu bekämpfen. China war darin besonders erfolgreich, aber auch Lateinamerika und die karibischen Staaten. Aber mehr als 500 Millionen Menschen leiden noch heute in Asien und Afrika Hunger, die Prognosen zum Bevölkerungswachstum lassen erwarten, dass dieses Hungerproblem weiter steigt.

Wer hungert, wird für unsere saturierten westlichen Moralpredigten in Sachen Ernährung, für Bio- und Veggie-Etiketten oder auch die Menschenrechts-Mahnungen nicht viel übrig haben. Wie heißt es in Brechts Dreigroschenoper? „Ihr Herrn, die ihr uns lehrt, wie man brav leben/und Sünd’ und Missetat vermeiden kann/zuerst müsst ihr uns schon zu fressen geben./dann könnt ihr reden. Damit fängt es an. /Ihr, die ihr euren Wanst und unsere Bravheit liebt/ Das eine wisset allemal:/Wie ihr es immer dreht und immer schiebt,/erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“

Darüber lässt sich nachdenken, wenn man ein Urteil sucht zu den gewaltigen Flüchtlingsströmen, die gerade Europa erreichen. Unsereiner erntet, was gerade im Gemüsegarten steht: Gurken, Tomaten, Bohnen, Sellerie und Kohlrabi, Quitten und bald Äpfel und Pflaumen, den Rest kaufen wir in übervollen Supermärkten. Ja, es ist auch Leistung, dass es uns so gut geht. Aber auch eine besondere Gnade, dass wir zufällig im glücklicheren Teil zur Welt kamen. Dieses Glück müssen wir jeden Tag rechtfertigen.

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