7. Oktober 2025

De Maizière liegt richtig

Kaum jemand bezweifelt, dass auch Deutschland überfordert wäre, würden im kommenden Jahr die Flüchtlinge in jenen Zahlen an deutschen Grenzen stehen, wie wir das 2015 erleben. Schon jetzt haben Städte und Gemeinden vor den Anforderungen die Waffen gestreckt, caritative Organisationen und Freiwillige müssen mit größtem Einsatz helfen. Und auch sie sind erschöpft.

Deshalb war ein begrenzendes Zeichen in die Herkunftsländer und die Flüchtlingslager an ihren Grenzen dringend notwendig. Dieses Zeichen wollte Innenminister Thomas de Maizière geben, als er die nachgeordneten Behörden anwies, Flüchtlinge aus Syrien grundsätzlich als „subsidiär Schutzbedürftige“ zu behandeln.

Die Empörung von SPD und Opposition darüber übersieht die guten Gründe, die dieser Entscheidung de Maizières zugrunde liegen. Es entspricht seit Jahren der Rechtslage, dass allgemeine Notsituationen wie Armut, Bürgerkriege, Naturkatastrophen oder Perspektivlosigkeit als Gründe für eine Asylgewährung grundsätzlich ausgeschlossen sind. Das steht auch – Stand 2012 – so auf der Webseite des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, und weiter heißt es dort: „Hier kommt unter Umständen die Gewährung von subsidiärem Schutz in Betracht.“

Den erhält, wer von „ernsthaftem Schaden“ bedroht ist, nämlich „die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.“

Genau so ist es in Syrien. Und entsprechend der Einigung der Koalition vom Donnerstag gilt für subsidiär Schutzbedürftige: Aufenthaltsrecht zunächst nur für ein Jahr, kein Familiennachzug. Wenn also der Innenminister diesen Umstand seiner Behörde gegenüber nochmals verdeutlicht, handelt er nicht nur im Rahmen der Vorschriften und auch der Einigung der Koalition, sondern auch der Vernunft: Flüchtlinge können nur dann integriert werden, wenn dieser Prozess faktisch auch organisierbar ist. Und sie sollen darauf vorbereitet bleiben, in ihr Land zurückzukehren, wenn dort Frieden eingekehrt sein wird.

Dieses Mal hat man den Innenminister noch zurückgepfiffen. Das war falsch. Denn man wird auf die Regelung rasch zurückkommen müssen, um Deutschland nicht zu überfordern und Syriens Chancen auf einen Wiederaufbau zu wahren. De Maizière scheint der einzige, der in der Koalition seinen nüchternen Verstand nicht an der Garderobe der Emotionen abgegeben hat.

Außenpolitische Gefahren

Außenpolitik ist derzeit ein besonders kompliziertes Geschäft. Denn es fällt nicht schwer zu erkennen, dass sich die Welt gegenwärtig neu ordnet. Regionen, deren weltpolitisches Gewicht vor zehn Jahren noch schmal war, haben sich durch Disziplin und wirtschaftlichen Erfolg zu außenpolitischem Gewicht aufgeschwungen, andere durch wachsende militärische Drohgebärden und Gewalt.

Vor allem China nimmt weltweit Einfluss. Zahlreiche bilaterale Verträge mit afrikanischen und südamerikanischen Staaten – chinesische Staatshilfe gegen Rohstoffe – verschaffen Peking geopolitisch Gewicht. In der Zusammenarbeit der BRICS-Staaten, die sich unter anderem auch dem Aufbau eines eigenen Zahlungssystems sowie eigener Rating-Agenturen zuwenden, ist China der mächtigste Partner. Und ganz offenkundig legen diese Staaten und vor allem China Wert darauf, eigene Herrschafts- und Demokratiemodelle zu verfolgen sowie Wertemuster zu pflegen, die denen des Westens nicht entsprechen.

Wenn die Kanzlerin also nach China reist, der Vizekanzler Vladimir Putin trifft oder der deutsche Außenminister in Riad und Teheran vorspricht, dann möchten die Gastgeber von Deutschland keine Kritik hören – nicht an ihrem Gesellschaftskonstrukt, auch nicht am Menschenrechtsmodell. Vielmehr wollen sie wissen, ob sie im sichtbar maroden neonationalistischen Club der Europäischen Union überhaupt noch als Gesprächspartner willkommen sind und welchen geopolitischen Koordinaten Deutschland und die Europäische Union zu folgen gedenken. Sie möchten Anhaltspunkte dafür haben, ob die EU überhaupt noch geeint auftritt oder ob sie mit ihrer Politik, durch viele bilaterale Abmachungen die europäische Einheit zu spalten, erfolgreich sein können.

Antworten können wir nur geben, wenn wir selbst einen klaren Kurs haben. Daran fehlt es. Die Sanktionen gegen Russland mögen aus gutem Grund beschlossen worden sein. Sie geben aber noch keine Antwort darauf, welchen Platz wir Russland künftig im europäischen Haus einräumen wollen. War es ernst gemeint mit dem Angebot eines einzigen großen Wirtschaftsraumes zwischen Lissabon und Wladiwostok? Wird Russland wieder in die Gipfelrunden der westlichen Industriestaaten eingeladen? Wird der Nato-Russland-Rat wieder aktiviert? Welchen Preis genau verlangen wir von Russland für eine erneute Annäherung? Und was China betrifft: Mit welcher Offerte wollen wir Chinas gestiegene politische und wirtschaftliche Macht in den internationalen Organisationen abbilden?

Keine Option ist es, diese Fragen weiter aufzuschieben. Das internationale Gefüge ächzt unter Krisen und Kriegen, Lösungen gibt es nur gemeinsam. Der Ton aber ist weithin undiplomatisch geworden, separatistische Tendenzen schwächen die Europäische Union, während die Vereinigten Staaten schon wieder dem nächsten Wahlkampf zustreben, dessen Aufgeregtheiten für klassische Außenpolitik keine gute Beratung abgeben. Man muss sich gegenwärtig große Sorgen machen. In Sicht ist zwar eine Verschärfung der Lage – Anzeichen zu deren Besserung aber gibt es nicht.

Europas Würde – gerettet?

In meinem Gemüsegarten steht noch der Lauch, aus dem Gewächshaus sind die letzten Gurken und Tomaten geerntet, Platz bleibt nur noch für Salat. Ein paar Kohlrabi finden sich noch im Beet. Aber der Apfelbaum hängt voller frisch – saftiger Boskop-Früchte, ein Apfel pro Tag hält bekanntlich den Doktor fern.

Auch die Quitten wurden dieser Tage vom Baum gepflückt, daraus ist Quittengelee geworden und aus dem Trester Quittenbrot. Manches davon bringen die Nachbarn zum „Flüchtlingscafe“ mit, das zweimal im Monat im Gemeindehaus stattfindet. Die 60 Flüchtlinge sind in unserem Heidedorf akzeptiert, die Hilfsbereitschaft hat nicht abgenommen. Und wir wissen sicher: Es werden noch mehr kommen.

Wie auch anders? Nichts kann Millionen von Flüchtlingen aufhalten, kein Militär mit Schusswaffen, keine Zäune, ohne dass es zu menschlichen Katastrophen käme und die Wertegemeinschaft Europas sich zutiefst blamieren müsste. Die Völkerwanderung schafft sich ihre Fakten selbst.

Man kann sagen: Angela Merkel hat, indem sie die Grenzen öffnete, diese Alternativlosigkeit erkannt. Durch ihr Willkommen aber hat sie auch die europäische humanistische Idee gerettet. Sie hat getan, was Christenpflicht ist: ”Ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen. … Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ (Matth. 25, 35 + 40)

Die allermeisten Flüchtlinge kommen nach Europa ja nicht, weil hier die Teller gefüllter wären. Sie hoffen vor allem auf ein friedliches, ein menschenwürdiges Leben ohne Krieg, sie wollen ein Stück irdischen Lebensglücks, das ihnen ihre Heimat nicht mehr gewähren kann. Und viele werden heimkehren, wenn ihre Heimat wieder sicher ist.

Sie kommen in eine demokratische Staatengemeinschaft freier Menschen, einen Rechtsstaat, in der Mann und Frau gleichberechtigt sind; und in der Toleranz zwischen den Religionen selbstverständliches Gebot ist. Das müssen sie für sich so leben, denn das alles zusammen definiert diesen Garten Eden – die Europäische Union.

Warum aber beteiligen wir daran nur jene, die es bis zu uns geschafft haben? Warum sorgen wir nicht intensiver dafür, dass auch anderswo ein solches Leben möglich ist, man also nicht bei Gefahr für Leib und Leben aufbrechen muss in andere Erdteile? Wie gehen wir also mit den Brutstätten des Terrors in Syrien, Libyen, Afghanistan, Eritrea, Saudi-Arabien um?

„Den größten Fehler begehen wir, wenn wir weiterhin nichts oder so wenig gegen den Massenmord vor unserer europäischen Haustür tun, den des ‚Islamischen Staates’ oder des Assad-Regimes“, hat Friedenspreisträger Navid Kermani eben in Frankfurt gesagt – und alle haben ergriffen applaudiert. Die Suche nach einer Antwort auf Kermanis Anfrage wird gewiss die nächsten Monate bestimmen.

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