7. Oktober 2025

Flüchtlinge, grenzenlos

Es ist ein einfacher Satz, den der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht, Udo di Fabio, eben in einem Gutachten für die Bayerische Staatsregierung aufgeschrieben hat: „Das Grundgesetz setzt die Beherrschbarkeit der Staatsgrenzen und die Kontrolle über die auf dem Staatsgebiet befindlichen Personen voraus.“

Beides ist nicht mehr gegeben. Weder lässt sich bei einer Mehrheit der Flüchtlinge, die täglich ins Land strömen, feststellen, wer sie wirklich sind und woher sie kommen. Noch weiß man, wo sich die Mehrzahl derjenigen aufhält, die schon in Deutschland sind. Das ist (bei einer Million aufgenommener Migranten allein 2015) eine Katastrophe.

Es handelt sich um einen unerhörten Kontrollverlust, einen Zusammenbruch staatlicher Souveränität und des staatlichen Sicherheitsversprechens an seine Bürger. Mit mangelnder Menschlichkeit oder gar Ausländerfeindlichkeit hat es nicht zu tun, wenn die Mehrzahl der Deutschen (und auch der Unions-Anhänger) dies nicht länger hinnehmen will.

Dafür gibt es gute Gründe. Zum einen macht die Aufnahme von Migranten nur Sinn, wenn eine vernünftige Integration garantiert werden kann. Das ist ohnehin jetzt schon eine nicht zu bewältigende Aufgabe, da die Migranten zu großen Teilen aus anderen Sprach- und Kulturkreisen kommen und entsprechend ausgebildetes pädagogisches Personal gar nicht zur Verfügung steht. Zum anderen bedeuten jene, die sich innerhalb unseres Landes staatlicher Registrierung und damit der Integration entziehen, ein Sicherheitsrisiko, das auch schon sichtbar geworden ist. Und schließlich besteht eine offen zugegebene Unfähigkeit der Behörden, abgelehnte Asylbewerber wieder in ihre Herkunftsländer zurückzuführen.

Kein Wunder, dass sich die CDU-Spitzenkandidatin in Rheinland-Pfalz, Julia Klöckner, dem Abwärtssog ihrer Partei zu entziehen sucht. Ihre Forderung nach täglichen Flüchtlings-Höchstzahlen ist eine Absage an Frau Merkels grenzenlose Flüchtlingspolitik. Der Vorschlag Klöckners verlagert den Migrationsdruck auf Österreich, das ihn wiederum nach Süden weitergeben wird, immer entlang der Balkanroute. Am Ende steht Griechenland, das offenkundig mit der Sicherung der EU-Außengrenze überfordert ist, weshalb Österreichs Überlegung, Griechenland aus dem Schengen-Raum herauszunehmen, nicht von der Hand zu weisen ist. Mazedonien hat deshalb seine Grenzen nun geschlossen.

Klar ist auch: Die Flüchtlinge, die jetzt kommen, suchen in großer Mehrheit ein wirtschaftlich besseres Leben. Deutschland allein kann das all jenen in der Welt, die wirtschaftlich nicht so gut gestellt sind, nicht bieten. Selbst eine EU-Lösung garantierte das nicht.

Deshalb bleibt nur: Die Grenzen hart sichern und nur, aber selbstverständlich jene, genau kontrolliert, hereinlassen, die in ihren Herkunftsländern um ihr Leben fürchten müssen oder die nach den Maßstäben einer geregelten Einwanderungspolitik für Deutschland von Nutzen sind. Andere westliche Länder machen das genau so, und so sieht es auch das Bundesrecht vor, und das Völkerrecht widerspricht dem nicht.

Daran muss sich auch die Regierung in Berlin halten. Durch ein Wort der Kanzlerin allein jedenfalls kann dieses Recht nicht geändert werden.

Mein Freund, der „grüne Klaus“

Es gibt glückliche Menschen, die dürfen ihre innersten Neigungen zum Beruf machen. Einer von ihnen war mein Freund Klaus Deckert. Wenn man mit ihm, dem Garten- und Landschaftsarchitekten, über Bäume und Pflanzen sprach, dann rührte man an ein schier unerschöpfliches Wissen, das er sich in Studien, in Reisen und durch seine Erfahrung angesammelt hatte. Zuletzt war er der Gartenbaudirektor von Hamburg, also der Chef aller Parks und Friedhöfe – und von beidem hat Hamburg nicht wenige.

Klaus war nicht so sehr Freund der zum Prunk neigenden französischen Gärten mit ihren logischen Symmetrien, ihren Alleen und Wasserfontänen. Er liebte beiläufig- effektvoll gestaltete Gärten, die sich in die weite Natur öffneten. Es kam ihm auf die Kulisse an: Auf milden Vordergrund, eine Mittelszene und eine eher dramatischen Horizont. In seinen Landschaften sollte mit weitem Blick Meditation möglich sein, so wie einst in den alten chinesischen Gärten und Parks oder denen der römischen Antike. Und wer heute den schönen Hamburger Friedhof Ohlsdorf besucht oder den Jenisch-Park an der Elbe, der findet Deckerts Nachwirkungen.

Auch die englischen Parks und Gärten beeindruckten ihn, die im 18. Jahrhundert überall auf der Insel in Szene gesetzt wurden und dort, wo englischer Einfluss erwünscht war, auch auf dem Kontinent. Es ist zehn Jahre her, da animierte Klaus seinen Freundeskreis, mit ihm einmal nach Muskau zu fahren, in die Lausitz direkt an die polnische Grenze, ins Gartenreich des Fürsten Pückler. Der „grüne Fürst“ war nicht nur völlig verrückt nach seiner nubischen Freundin, die für die adlige Gesellschaft seiner Zeit besonders gewöhnungsbedürftig war, sondern vor allem nach mit großem Bedacht inszenierte Parklandschaften, England als Vorbild.

Er setze enorme Summen ein, um den weitläufigen Park von Schloss Muskau zu einer herrlichen Kulisse mit Grünflächen, Büschen und Bäumen aller Provenienz zu machen, mit Wasserläufen, Brücken und akzentsetzenden kleinen Gartenpavillons. Darüber ging er Pleite, ein „grüner Bankrott“ sozusagen. Freilich gab er nicht auf, verkleinerte seinen Lebensstil und unternahm, samt seiner Nubierin, einen neuen Anlauf im Park von Schloss Branitz in Cottbus, wo er auch begraben liegt (stilvoll in einer Pyramide mitten in einem kleinen See). Der weiteste Weg lohnt sich, diese beiden Parks anzuschauen, und vielleicht auf dem Wege noch den Park in Wörlitz – ein Unesco-Weltkulturerbe – „mitzunehmen“.

Auch in meinem Garten hat Klaus Deckert sich verewigt. Eines Tages brachte er mir einen Gartenplan. Darin hatte er seine Ideen niedergelegt, wie man aus unserer kleinen, von Obstbäumen umrandeten Wiese einen anmutigen Kulissen-Garten machen könnte: Ein Rosenrondell als Unterbrechung links, einen kleinen Pavillon dahinter, der neue Perspektiven im Blick auf Garten und Haus ermöglicht, eine neue Gruppierung von Stauden, Büschen, Bäumen, die gärtnerisch gestaltete Öffnung des Gartens zum Dorf hin. Das setzen wir um. Mein Freund, der „grüne Klaus“, kann das nicht mehr sehen. Er liegt in Ohlsdorf begraben, „seinem“ Park.

(Erschienen in Christ und Welt, 5.1.2016)

Von der Kraft des Christentums

Weihnachtstage sind Tage der Selbstbesinnung. Wofür stehen wir? Was macht ein Leben aus jenseits materieller Güter? Was ist es wert, verteidigt zu werden? Der nicht endende Flüchtlingsstrom unserer Tage verschärft die Fragen: Wie selbstbewusst sollten sich Christen in unserem Land zeigen angesichts wachsender Zahlen religiös aktiver muslimischer Mitbürger? Wie sähe unsere Welt aus ohne Christentum?

Seine Schwäche ist, zumindest im reichen Westen, unübersehbar. Der Glaube kränkelt, christliche Bindungskräfte nehmen ab. Familien und soziale Umfelder reproduzieren nicht mehr automatisch christlichen Nachwuchs. Was aber hat das Christentum gebracht? Worauf würden auch jene nicht verzichten wollen, die sich nicht zu den Kirchgängern zählen?

Das ist zunächst das Menschenbild. Griechen und Römer kannten Herren und Sklaven, Gebildete und Ungebildete, Männer und Frauen, Wohlgeratene und Sieche, Ausbeutung der einen durch die anderen. Erst das Christentum unternahm es, die Unterschiede in Menschenwürde und Menschenrechten einzuebnen. Gerechtigkeit lässt sich eben nur entfalten, wenn jeder die gleiche Würde beanspruchen kann. Nur diese Idee der Gleichheit kann letztlich eine Kultur des Sozialstaates begründen.

Auch unsere Vorstellung von Zeit ist christlichen Ursprungs. Wir zählen die Jahre „nach Christi Geburt“, wir messen und teilen ein, wir gestalten unser Leben in strengen Zeitkontingenten. Das hat uns zu einer lebendigen und leistungsfrohen Gesellschaft gemacht, die nicht in meditativer Versenkung erschlafft. Diese Zeitvorstellung ist Antrieb unserer Wissenschaftskultur, einer vorwärtsdrängenden Neugier, die uns zukunftsoffen hält.

Daran knüpft unser Arbeitsethos. Bete und arbeite, hat man uns Christen gelehrt, unsere Gesellschaft als Wechselspiel zwischen zweckbetonter und zweckfreier Zeit, die den Menschen vom dauerndem Müßiggang fernhält. Die Klöster in Europa und anderswo waren Ursprung und Vorbild dieses christlichen Taktes, der unsere Lebensform bis heute erfolgreich macht.

Auch unsere Staatsidee ist vom Christentum geprägt: Religion und Staat leben nebeneinander, in einem konstruktiven Verhältnis zwar, aber der eine beansprucht nicht die Macht des anderen: Staatliches und Göttliches sind getrennt, anders als in islamischen Staatsmodellen, in „Gottesstaaten“, die den ganzen Menschen theokratischem Machtwillen unterwerfen. Seit das Christentum die Pflege der Seelen beansprucht, wird es von politischen Religionen als Feind wahrgenommen: vom Kommunismus, vom Faschismus, vom Nationalsozialismus, vom Islamismus. Sie alle wollten und wollen ungeteilte Macht über den ganzen Menschen.

Auch die Künste sollten wir nicht vergessen. Wie arm wäre die Welt ohne die Bilder und Skulpturen von Michelangelo, die sakrale Musik von Palestrina, Mozart, Beethoven oder Händel, ohne Bachs „Weihnachtsoratorium“, ohne die Werke christlicher Baukunst.

So könnten die Weihnachtstage Gelegenheit für die Wahrnehmung der Kraft sein, die das Christentum unserer Gesellschaft gegeben hat. Wir haben, Kirchgänger oder nicht, allen Grund, diese Kraft zu verteidigen.

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