7. Oktober 2025

Böhmermanns „verbale Lynchjustiz“

An den Auseinandersetzungen um das Schmähgedicht Jan Böhmermanns über den türkischen Staatspräsidenten Erdogan kann man viel ablesen über den Zustand unserer Republik. Zum einen zeigen sie, wie tief der Standard unserer Fernsehunterhaltung, Abteilung Kabarett, mittlerweile gefallen ist. Und wie viele ZDF-Mitarbeiter auch mittlerweile Böhmermann die Stange halten – es sollte eigentlich nicht vorstellbar sein, dass im gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Fernsehen irgendjemand so beschimpft werden darf: „Sein Gelöt stinkt schlimm nach Döner, selbst ein Schweinefurz riecht schöner. Er ist der Mann, der Mädchen schlägt, und dabei Gummimasken trägt. Am liebsten mag er Ziegen ficken und Minderheiten unterdrücken. Und selbst abends heisst’s statt schlafen Fellatio mit hundert Schafen.“ Und so fort.

Man muss diese Zeilen nochmals zitieren und sich vorstellen, sie hätten Joachim Gauck oder Wolfgang Schäuble, Sigmar Gabriel oder Papst Franziskus gegolten: Die Empörung wäre berechtigterweise erheblich, und der Ruf nach Strafverfolgung würde zu Recht laut, denn eines jeden Menschen Würde wird damit auf elementare Weise angegriffen. Der Hamburger Strafverteidiger Gerhard Strate erinnert an die Hexenprozesse, nennt Böhmermanns Ausfälle „verbale Lynchjustiz“, und spricht von „Böhmermanns perversen Fantasien“.

Da sie nun aber dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan galten, der in der deutschen veröffentlichten Meinung wegen seiner antidemokratischen Politik gerade miserabel dasteht, fühlen sich Böhmermann und seine Apologeten moralisch im Recht, ganz nach dem Motto: Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil. Und juristisch wollen sie sich aus dem Schneider stehlen, indem sie darauf verweisen, dass Böhmermann ja „Achtung, Satire!“ gerufen hätte und, indem er sein Schmähgedicht vortrug, betont habe, dass Schmähkritik („Wenn Die einfach nur so untenrum argumentierst…und Leute herabsetzt“) auch in Deutschland strafbar sei im Gegensatz zu „Satire und Kunst und Spaß – das ist erlaubt.“

Tatsache jedenfalls ist: Auch Satire darf nur das, was strafrechtlich akzeptabel ist. Verleumdung und Beleidigung werden auch und gerade in einem demokratischen Rechtsstaat nicht dadurch exkulpiert, dass man behauptet, das sei Satire gewesen. Für die Klärung dieser Grenze sind hierzulande allerdings nicht die Medien, irgendwelche Verlagschefs oder Intendanten, Künstlerpetenten oder gar Böhmermann oder Erdogan selbst zuständig, und auch nicht die Kanzlerin. Es sind die deutschen Gerichte.

Sie sollten sich deshalb dieses Falles schnell annehmen. Erdogan hat als Privatperson Klage erhoben. Auch die Bundesregierung hat vollkommen richtig entschieden, auch einer Verfolgung im Rahmen des § 104a StGB nicht im Wege zu stehen, daran ändern auch „Blitzumfragen“ der ARD beim Volk nichts. Böhmermann will diesen Prozess ja. Er hat dazu noch in seiner Sendung aufgefordert. Er möchte den Staat und seine Institutionen vorführen, aus seinen privaten Eitelkeiten eine Staatsaffäre machen, eine Satire in mehreren Akten und logischen Volten sozusagen, mit einem Schauprozess am Ende der Satire, in dem die offene Gesellschaft mit ihrem Anspruch auf Menschenwürde auf dem Prüfstand steht. Die braucht, wenn sie Satiriker von der Qualität Böhmermanns hat, keine weiteren Feinde mehr.

Freude statt Angst

Jetzt haben die Bischöfe viel Arbeit. Fast 50 Jahre hat es gedauert, bis die katholische Kirche ihre Dogmatik für Ehe, Familie und Sexualität mit dem neuen Lehrschreiben von Papst Franziskus einigermaßen auf die Höhe der Zeit gebracht hat. Seit 1968 der damalige Papst Paul II. mit seiner „Pillenenzyklika“ jede Form der künstlichen Empfängnisverhütung ausschloss und misslungene Ehen oder gleichgeschlechtliche Beziehungen weiterhin im Bann der Kirche gehalten wurden, hatte die Entfremdung der katholischen Gläubigen mit ihrer Kirche in den Fragen der Sexualmoral dramatische Ausmaße angenommen. Sie gingen mit gutem Gewissen ihrer eigenen Wege.

An Versuchen, die römische Dogmatik insbesondere für Geschiedene oder wiederverheiratete Geschiedene zu lockern, hat es nicht gefehlt. Aber als beispielsweise 1993 die damaligen Bischöfe von Freiburg, Rottenburg-Stuttgart und Mainz dazu ein „Gemeinsames Hirtenschreiben“ veröffentlichten und auch diesen Menschen die katholischen Sakramente spenden wollten, wurden sie vom damaligen Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal Ratzinger, sofort abgewatscht: Geschiedene, die zivil wiederverheiratet seien, befänden sich in einer Situation, die dem Gesetz Gottes objektiv widerspreche. Darum dürften sie nicht die Kommunion empfangen, solange diese Situation andauere. Alles andere, und sei es ein Gewissensurteil, sei eine „irrige Überzeugung“, die im „offenen Gegensatz zur Lehre der Kirche“ stehe.

20 Jahre später war Ratzinger, jetzt Papst Benedikt XVI., klüger geworden: „Ich ermutige euch“, sagte er beim Weltfamilientreffen 2012 in Mailand, „mit euren Gemeinden verbunden zu bleiben, und ich wünsche mir zugleich, dass die Diözesen geeignete Initiative ergreifen, um euch aufzunehmen und Nähe zu vermitteln.“

Das hat der jetzige Papst Franziskus endlich in klare Regelungen umgesetzt. Ab sofort ist es Sache der Priester und Bischöfe, jeden einzelnen Fall undogmatisch und seelsorgerlich zu betrachten und über die volle Sakraments-Zulassung zu entscheiden. Was dem Beobachter als längst fällige Selbstverständlichkeit erscheint, bedeutet für die katholische Kirche doch einen historischen Einschnitt. Erstmals ist das dogmatische römische „Durchregieren“ aufgelöst zugunsten einer seelsorgerlichen Subsidiarität, die die Mehrheit der deutschen Bischöfe seit Jahrzehnten eingefordert hatte.

In Deutschland müssen die Bischöfe nun für eine pastoraltheologische Praxis sorgen, in der diese seelsorgerlich motivierten Entscheidungen die päpstliche Absicht auch umsetzen und sie nicht von Bistum zu Bistum und von Pfarrer zu Pfarrer unterschiedlich ausfallen.

Für den katholischen Gläubigen bedeutet all das, dass die Zeit der kirchlichen Ausgrenzung von wiederverheiratet Geschiedenen, von konfessionsverschiedenen Ehen, von gleichgeschlechtlichen Beziehungen und auch von Menschen, die künstliche Empfängnisverhütung praktizieren, ein Ende hat. „Niemand darf ausgeschlossen werden von der Barmherzigkeit Gottes“ , resümiert die Deutsche Bischofskonferenz das Papst-Schreiben. Und schließlich hat der Papst selbst sein Schreiben mit „Amoris Laetitia“ überschrieben hat, „Die Freude der Liebe“. Das ist das Gegenteil von Angst.

Reiselust und Risiko

Die Deutschen, ein weltläufiges Volk. Exportweltmeister sowieso, aber auch Reiseweltmeister. Und daran – das hat die eben zu Ende gegangene Internationale Tourismusbörse in Berlin gezeigt – wollen die Bundesbürger auch nichts ändern. Die Wanderlust liegt in ihren Genen.

Das Poesiealbum der Nation ist voller schwärmender Einträge unserer Dichter und Denker: „Nur Reisen ist Leben – wie umgekehrt das Leben Reisen ist“, schrieb Jean Paul, und Lichtenberg beobachtete: „Ich bin nie gesünder, als wenn mich das Posthorn aus dem Schlaf weckt.“ Und selbst unsere eher bodenständigen Sachsen, deren zu großer Anteil gegenwärtig eher durch Fremdenfurcht von sich Reden macht, haben zu DDR-Gefängnis-Zeiten ihre Reiselust besungen: „Der Sachse liebt das Reisen sehr, und ihm liegt das in’n Gnochen. Drum fährt er gerne hin und her, in sein’n drei Urlaubswochen. Bis nunder nach Bulgarchen dud er die Welt beschnarchen.“

Nun beschnarchen sie nicht mehr nur den Goldstrand – die Deutschen sehen sich in der ganzen Welt um. 1,67 Milliarden Tage waren sie 2015 auf Achse, so viel wie nie zuvor, 71 % aller Reisen gingen ins Ausland, 29 Prozent ins Inland. Da Deutschland selbst auch ein schönes Reiseland ist, haben die Touristen hierzulande 278 Milliarden Euro ausgegeben. Davon lässt sich leben.

Die Vorlieben freilich ändern sich, denn deutsche Reiselust paart sich mit Risikofurcht. Die Länder des Nahen Ostens haben deshalb gegenwärtig Chancen nur bei solchen Touristen, die Risiko vernünftig einschätzen können. Selbst die Türkei leidet, nachdem dort im letzten Jahr durch einen Bombenanschlag im Zentrum Istanbuls zehn Deutsche starben und das jüngste Attentat in Ankara den Eindruck verstärkt, die Türkei sei ein unsicheres Reiseland.

Die Risiken werden freilich meist überschätzt. Die fokussierte Berichterstattung der Medien verzerrt die Dimensionen. Was würden wir Ausländern raten, die nach den Bildern vom Kölner Hauptbahnhof und solchen von angezündeten Asylanten-Wohnstätten nun Angst vor einer Deutschlandreise haben? Die Paris meiden, weil auch dort der Terror zuschlug? Kopenhagen? London? Natürlich würden wir sie beruhigen.

Reisen ist stets auch Risiko. Zu Hause bleiben allerdings auch. Nur: Der Blick von außen fördert die Zufriedenheit. Friedrich Nietzsche, unser Hausphilosoph, schrieb uns das ins Stammbuch: „Von dem, was du erkennen und messen willst, musst du Abschied nehmen, wenigstens auf eine Zeit. Erst wenn du die Stadt verlassen hast, siehst du, wie hoch sich ihre Türme über die Häuser erheben.“

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