7. Oktober 2025

Geld statt Mut

Hermann Gröhe ist, gemessen an der Zahl seiner umgesetzten Ideen für das Gesundheitswesen, ein erfolgreicher Minister. Er hat mit einem „Präventionsgesetz“ gesundheitsförderndes Verhalten von der Wiege bis zur Bahre zu animieren versucht; er hat ein „Versorgungsstärkungsgesetz“ entworfen, um mehr Ärzte aus der Stadt aufs Land zu locken ; er hat eine Klinikreform beschließen lassen, um Behandlungsqualität und Bezahlung in einen direkten Zusammenhang zu bringen; er hat über ein Palliativgesetz bessere Pflegebedingungen für den letzten Lebensabschnitt ermöglicht; und er hat eine neue Stufe der Pflegereform durch das Parlament getrieben, die vor allem demente und psychisch Kranke besserstellen will.

Löblich das alles, doch eben auch teuer. Weil Gröhe auch der erste Minister ist, dem kostensparende Reformen nicht eingefallen sind, steigen die Beiträge zur Pflege- und Krankenversicherung alljährlich, und selbst die jetzt konzipierten Gegenfinanzierungen werden absehbar nicht reichen. Denn die Ausgaben für den Gesundheitsbereich liegen auch künftig deutlich über den Einnahmen. So werden bald auch die letzten Reserven verbraucht sein, etwa jene, die im Gesundheitsfonds – einer staatlichen Beitragssammelstelle – vorgehalten werden.

Da hat Gröhe der Flüchtlingsstrom dieses Jahres, der unvermittelt über Deutschland hereinbrach, gerade noch gefehlt, erweist er sich doch ebenfalls als Sprengsatz für die Krankenversicherungsausgaben. Den Bürgern aber mit der Begründung „Flüchtlinge“ höhere Beiträge im Wahljahr zumuten zu müssen, wird der Union, aber auch der SPD im Wahljahr nicht gut bekommen, wenn man die herrschende Stimmungslage richtig einschätzt. Die neusten demoskopischen Sonntagsfragen machen den Regierungsparteien jedenfalls keinen Mut dazu. Also braucht es eine für den Bürger jetzt nicht spürbare Zwischenfinanzierung, um Beitragssteigerungen zu verhindern.

Deshalb (und zum Ausbau der Telemedizin) will Gröhe jetzt 1,5 Milliarden Euro aus dem Gesundheitsfonds hinüberschaufeln zu den Krankenkassen. Er weiß, dass die Flüchtlingskosten dort erst spät im Jahr 2017 zu Buche schlagen werden, kommen in den ersten 15 Monate doch die Kommunen für die Krankheitskosten auf. Damit ist klar: er will mit dem Geld tatsächlich den Unmut über die Kostenfolgen der vielfältigen staatlichen „Reformen“ bremsen, die diese Koalition auf den Weg gebracht hat, und auf diese Kostenfolgen weist der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen schon lange unermüdlich hin.

Aber so ist es mit großen Koalitionen: Am schnellsten legt man Streit auf Kosten Dritter bei. Dieser Dritte ist der Beitrags- oder der Steuerzahler, bei dem die Rechnung aller dieser Beschlüsse unweigerlich landet. Es wäre fair, ihm das in aller Klarheit auch zu sagen, statt die Mehrkosten über Buchungstricks zu verschleiern. Zudem werden Politiker übrigens auch fürs Sparen bezahlt. Da ließen sich auch im Gesundheitssystem Milliarden heben, es bräuchte nur politischen Mut. Um den aber ist es in den gegenwärtig verzagten Zeiten nicht gut bestellt, leider.

Laschet auf Erfolgskurs

Das Superwahljahr 2017 gewinnt Kontur. Die Parteien formieren sich, bestimmen ihr Spitzenpersonal und klären die Themen, mit denen sie in den Wahlkampf ziehen wollen. Am sichtbarsten wird das in Nordrhein-Westfalen, dem größten Bundesland. Die Landtagswahl im Mai 2017 dort wird das Ergebnis der für September angesetzten Bundestagswahl wesentlich vorbestimmen.

Da ist die Beobachtung relevant, dass die CDU in Nordrhein-Westfalen deutlich Boden gutmacht. Das hat zwei Gründe.

Zum einen hat die CDU mit Armin Laschet dort wieder einen seriösen, gebildeten und rhetorisch brillanten Spitzenkandidaten, der als Fraktionschef der CDU im Düsseldorfer Landtag zudem jedes Landesthema im Detail kennt. Am Wochenende ist er mit einem überzeugenden Ergebnis erneut zum Landesvorsitzenden gewählt worden – ein deutliches Signal dafür, dass die Partei nun auch geschlossen hinter ihm steht. Diese Geschlossenheit war in der NRW-CDU nicht immer an der Tagesordnung , auf sie wird es ankommen.

Der zweite Grund für den wachsenden CDU-Erfolg liegt in der ernüchternden Bilanz der rotgrünen Landesregierung unter Hannelore Kraft. Wirtschaftslage, Verkehrsinfrastruktur, Digitalstrategie, innere Sicherheit, die Lage an Schulen und Universitäten – wohin man schaut, hat diese Regierung meist selbstverschuldete Misserfolge aufzuweisen, sie hat das bedeutendste Wirtschaftsland der Bundesrepublik in eine unverdient schlechte Position gebracht.

Da glaubt man sofort: Das kann eine Regierung unter der Führung Armin Laschets besser. An Rezepten dafür fehlt es ihm nicht. In Düsseldorf und Berlin wird man sich nach den Wahlen aber mit einem anderen Handicap konfrontiert sehen: Der Regierungsbildung. Union, SPD, Grüne, FDP, Linke, AfD: Sechs Parteien sind in den nächsten Parlamenten mindestens zu erwarten. Mehrheitsbildung wird deshalb inhaltliche Kompromisse notwendig machen, die nicht der Sache, aber Ideologien geschuldet sind: Die Grünen, die SPD und die Linke sowieso sind voller solcher gesinnungsethischer Ideen, die nichts besser machen, ein Land und seine Arbeitnehmer aber meist ins Hintertreffen bringen.

Für Deutschland ist das keine gute Perspektive in einer Zeit, in der die wirtschaftliche Prosperität in Europa immer schwieriger zu halten sein wird und es deshalb zuerst auf realpolitische Sachentscheidungen ankommt. Etwas anderes als Realpolitik aber hätten unsere Arbeitnehmer nicht verdient.

Nachfolgedebatte beenden

Kaum hat Joachim Gauck angekündigt, nicht wieder zum Amt des Bundespräsidenten kandidieren zu wollen, hat eine Debatte um seine Nachfolge eingesetzt. Sie ist zu diesem Zeitpunkt vollkommen überflüssig, und unwürdig ist sie auch.

Zum einen wird seine Amtszei erst am 17. März des kommenden Jahres enden, also in mehr als neun Monaten. Bis dahin wird Joachim Gauck das Amt des Bundespräsidenten noch auszuüben haben. Es ist unangemessen, diese Amtszeit des höchsten Repräsentanten unseres Staates mit boulevardesken Nachfolgedebatten zu belasten, denn sie beschädigen die Autorität des Amtes. Gauck braucht sie, denn in den gegenwärtigen Zeiten ist die einheitsstiftende Wirkung des Amts bedeutsam.

Zum zweiten: Es lässt sich noch nicht absehen, in welchen Mehrheitsverhältnissen die Bundesversammlung mit ihren 1260 Mitgliedern im kommenden Jahr zur Wahl schreitet. In Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin stehen bis dahin noch Landtagswahlen an, die Auswirkung auf diese Zusammensetzung haben werden. Sicher aber ist: Keine Partei wird die Wahl des Bundespräsidenten alleine entscheiden können. Welche Kombinationen möglich sind, wird sich auch entlang der politischen Vorkommnisse definieren, die in den nächsten Monaten auf uns warten. Sie bestimmen darüber, welche Koalitionen nach der Bundestagswahl 2017 denkbar sind. Das wiederum wird bei der Wahl jenes Kandidaten entscheidend sein, der die kommende Legislaturperiode als Bundespräsident begleiten soll.

Ein drittes Argument kommt hinzu: Die Debatte zu diesem Zeitpunkt lädiert mögliche Kandidaten. Alle Parteien fordern die anderen auf, sich aus jeweils unterstellten „Umklammerungen“ zu lösen, die SPD schließt einen Unions-, und die Union einen SPD-Kandidaten aus, alle wollen jemanden, der für „Weltoffenheit und Zusammenhalt“ steht und außerdem könnte es zur Abwechslung mal eine Frau sein. Solche Debatten haben schon viele Persönlichkeiten des Landes beschädigt, denen man das Amt schon in die Hand versprochen hatte, Steffen Heitmann etwa oder Paul Kirchhof. Das sollte man sich diesmal ersparen.

Des weiteren: Die Bedeutung des Amtes gibt eine solch aufgeblasene Debatte nicht her. Der Bundespräsident hat praktisch keine legislative oder exekutive Gewalt, er kann Gesetze aufhalten, aber letztlich nicht verhindern. Er ist oberster Repräsentant der Nation, er kann durch das Wort wirken und durch natürliche Autorität einheitsstiftend wirken. Das ist – wenn er es vermag – viel, aber mehr ist es auch nicht.

Schließlich: Eine spekulative Debatte zur Unzeit, die Menschen beschädigt und zwangsläufig ergebnislos bleiben muss, ist auch kein Ruhmesblatt für die Medien. Sie tun, im Interesse ihrer Glaubwürdigkeit, gut daran, sich zuerst jenen relevanten Fragen zuzuwenden, an denen sich die Zukunft unseres Landes entscheidet. Die Besetzung des Amts im Schloss Bellevue gehört nicht dazu.

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