7. Oktober 2025

Der Streit um Nordstream 2

Für den heftigen Streit, der jetzt um den Neubau einer zweiten Gasleitung von Russland nach Deutschland entbrannt ist, gibt es ernsthafte politische Gründe. Der erste ist das Verhalten der russischen Regierung und ihre Missachtung von Völker- und Kriegsrecht, das eine in der Ukraine, das andere in Syrien. Die westlichen Nachbarn Russlands – allen voran Polen und das Baltikum – haben nun Angst, solche Aggression könnte sich auf ihrem Territorium wiederholen, sie wollen insbesondere nicht zum energiepolitischen Spielball Moskaus werden. Diese Gefahr aber besteht, wenn die Gaslieferungen künftig um sie herum geleitet werden und sie von russischem Gas direkt abhängig sein würden.

Da die Bundesrepublik zur Allianz derer zählt, die nach der Krim-Annexion massive, für Russland spürbare und bis heute gültige Wirtschafts- und Finanzsanktionen beschlossen haben, mutet es seltsam an, dass dieselbe Bundesregierung nun Sondergeschäfte mit Moskau macht, um die Wirtschaft Russlands nachhaltig zu stützen – denn vom Erdgasexport lebt das Land.

Zum zweiten aber ist die neue Pipeline ein deutscher Anschlag auf die Vollendung des europäischen Binnenmarktes bei Strom und Gas, an dem seit mehr als einem Jahrzehnt kontinuierlich gearbeitet wird. Er war bisher schon auf technische und politische Schwierigkeiten gestoßen, vor allem fehlt es an einem europäischen Verteilnetz und Übergangsstationen zwischen den Ländern („Interkonnektoren“), die die technische Voraussetzung für einen Energiewettbewerb wären. Sie werden bisher behindert, weil viele nationale Energieversorger an intensiverem Wettbewerb und niedrigeren Preisen nicht wirklich interessiert sind – ihre Schwierigkeiten sind jetzt schon groß genug.

Ein einheitlicher europäischer Energiemarkt aber, in dem die Belieferung aller EU-Mitgliedsländer aus in der EU erzeugter oder von ihr importierter Energie garantiert ist, bildet die Voraussetzung dafür, dass EU-Mitgliedsländer wie etwa jene im Baltikum keine Sorgen haben müssen, von Energie abgeschnitten zu werden. Um diesen Binnenmarkt zu sichern, bedarf es also vor allem multilateraler Verträge und nicht einer bilateralen Geheimniskrämerei, wie sie an allen anderen EU-Partnern vorbei jetzt mit „Nordstream 2“ betrieben wird.

Man kann der deutschen Bundesregierung, wie es der CDU-Politiker Norbert Röttgen jetzt getan hat, vorwerfen, mit solchen Abkommen belohne sie Russland geradezu für seine Verletzungen des Völker- und Kriegsrechts und verhalte sich damit gegenüber unseren östlichen EU-Nachbarn „inakzeptabel und provokativ“. Schwerer wiegt jedoch, dass diese Art der deutschen Energiepolitik (die auch einer gewissen Versorgungspanik infolge einer überhasteten Energiewende geschuldet ist) die EU-Mitglieder auf einem weiteren Feld einander entfremdet, dass sie also desintegrativ wirkt, wo doch das Gegenteil gerade mithilfe Deutschlands dringend notwendig wäre.

Und schließlich: Das neue Russland setzt, wenn es passt, Energie auch als politische Waffe ein. Von solcher Abhängigkeit sollten wir uns deshalb stärker befreien.

(erschienen im Kommentarsyndikat „Pressekorrespondenz“)

China braucht Deutschland

Wenn deutsche Politiker – wie jetzt Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel – nach China reisen, haben sie stets eine Pflicht im Gepäck: Die Menschenrechte anzusprechen. Dafür gibt es in China zwar immer einen ernsten Anlass, aber die Sache ist längst zu einem Ritual verkommen, über das hinweg man rasch zur restlichen Tagesordnung übergeht.

Die hat vor allem mit unseren gegenseitigen Wirtschaftsinteressen zu tun. Denn China ist einer unserer größten Handelspartner, wir haben 2015 Waren für mehr als 71 Milliarden Euro dorthin geliefert und aus China Produkte im Wert von mehr als 91 Milliarden Euro bezogen. Mit anderen Worten: Die Bilanz weist einen Importüberschuss von mehr als 20 Milliarden Euro zugunsten Chinas aus.

Der Grund dafür liegt in vielfältigen Hemmnissen, denen sich deutsche Unternehmen in China gegenübersehen. Die unbändige Freude der Chinesen am Kopieren deutscher Produkte ist dabei nicht das größte Problem. Es herrscht ein Joint-Venture-Zwang, mit dem China die einheimische Kontrolle über die chinesische Wirtschaft zementieren will. Zudem stoßen westliche Unternehmen auf vielfältige andere Blockaden, etwa dann, wenn sie in technologisch interessante Bereiche investieren wollen. Probleme der Rechtsstaatlichkeit kommen hinzu, China hat das von Deutschland übernommene Zivil- und Handelsrecht noch nicht verlässlich im exekutiven und judikativen Griff.

So hätte Deutschland also allen Grund zur Klage, die wir freilich ziemlich vornehm unterlassen. Dafür klagen die Chinesen umso lauter: Sie zürnen dem deutschen Bundeswirtschaftsminister, weil er auf amerikanischen Hinweis den chinesischen Einstieg beim deutschen Chipanlagenbauer Aixtron untersagt hat und auch die chinesische Übernahme der Lampensparte von Osram neu prüfen will. Zudem fühlen sich die Chinesen regelrecht verfolgt durch immer neue Anti-Dumping-Verfahren, weil chinesische Produkte auf den europäischen Märkten günstiger angeboten werden können als vergleichbare Waren von EU-Herstellern.

Die 30 Unternehmer, die Gabriel auf seiner China-Reise begleiten, sind um gute chinesische Laune bemüht. Vor allem die Autohersteller brauchen den chinesischen Markt, allen voran VW, unter dessen Auslandsmärkten China der bedeutendste ist. Auch der deutsche Maschinenbau macht in China prächtige Geschäfte, die EDV-Branche und die Firmen der Elektrotechnik ebenso. Aber sie wissen auch um die Hindernisse, die die chinesische Regierungen ihnen in den Weg legt und dass hier, wie anderswo auch, der Grundsatz der Reziprozität gilt: ich gebe, wenn du gibst.

So wird auch hier kein neuer Handelskrieg entstehen, zu sehr sind die Interessen miteinander verwoben. Deutschland sichert chinesische Arbeitsplätze durch Import und Investition vor Ort, und umgekehrt ist es ebenso. Das Beispiel zeigt, wie segensreich Welthandel sein kann, Freihandel also, der Arbeitsplätze rund um den Erdball gerecht verteilt. Die Freihandelsabkommen dazu kann nur bekämpfen, wer es mit den Arbeitnehmern in der Welt nicht gut meint.

(Erschienen im Kommentar-Syndikat Pressekorrespondenz)

Die schwere Schuld der EU-Regierungschefs

Wie auch immer das Theater um das Freihandelsabkommen der EU mit Kanada (CETA) letztlich ausgehen wird – die Europäische Union hat sich selbst bereits schwersten Schaden zugefügt. Zwei Jahre ist es her, dass das Abkommen zu Ende verhandelt war, und dies mit weit reichenden Zugeständnissen Kanadas. CETA ist ein positives Musterbeispiel für ein Freihandelsabkommen unter Partnern, die die gleichen Werte teilen. Es ist nachhaltig, es hebt die Standards bei den gehandelten Produkten, es ist fair und dient allen Beteiligten, vor allem den 500 Millionen Europäern und ihrer Wirtschaft.

Die Unterzeichnung hätte also ein glorioser Schlusspunkt einer erfolgreichen Handelspolitik der EU sein können. Dass das nicht gelang, ist der Schwäche europäischer Politiker in den Nationen und auch in der Europäischen Kommission zuzuschreiben. Größter Fehler war dabei, den Vertrag nicht mehr als EU-Handelsabkommen zu betrachten, von denen die EU bereits viele unterschrieben hat und deren Abschluss Sache der EU-Kommission und des EU-Parlamentes sind. Das haben Jean-Claude Juncker und auch der deutsche SPD-Chef Sigmar Gabriel zu verantworten. Deshalb ist die Zustimmung der Nationalstaaten einzeln notwendig, deren Regierungen sich wiederum teilweise an föderalistische Zustimmungen ihrer Landesteile gebunden haben. So kam es, dass die kleine Wallonie jetzt die gesamten EU-Handelsraum zur Geisel nehmen kann. Deren linkssozialistische Regierung schiebt dabei längst widerlegte Argumente vor, verbreitet Unwahrheiten, um parteipolitischer Vorteile in dortigen Wahlkampfzeiten willen. Und alle müssen sich das gefallen lassen.

Die aktivistischen links- und rechtsradikalen Freihandelsgegner Europas haben sich mit lautstarken, gänzlich undemokratischen Kampagnen längst hinter die Wallonie geklemmt und befördern dort mit massiven Lügen und dem Schüren von Ängsten das nationalistische Geschäft. Das schlimmste dabei ist, dass vor dieser bunten Horde, die sich publizistisch geschickt zu inszenieren weiß, unsere Politiker zurückschrecken, statt ihnen und ihren extremistischen Parolen offensiv die Stirn zu bieten, ihre falschen Behauptungen zu decouvrieren und sich mit handlungsstarker Politik schleunigst an neue EU-Grundlagenverträge zu machen.

Insofern offenbart der Streit um CETA nicht nur eine Handlungsunfähigkeit und eine unglaubliche Kommunikationsschwäche, die bisher unvorstellbar schienen. Er zeigt vor allem, dass am großen Projekt Europa die zerstörerischen Kräfte die Oberhand gewonnen haben. Die Mitgliedsstaaten der überdehnten EU haben sich in gegenseitigem Streit gefangen, in politischer Ziellosigkeit, in einem Werteverfall, der irreparabel zu werden droht. Die großen Mächte der Welt, zu denen die EU einst gehören wollte, nehmen uns nur noch als politischen Zwerg wahr, als morbides politisches Konstrukt, als ein Sammelsurium von zänkischen Nationen, die absichtsvoll ihre eigene Zukunft ruinieren und Europa zerfallen lassen. Dass wir unseren Kindern und Enkeln das antun – das ist eine große Tragödie und eine schwere Schuld, die die Regierungschefs der EU sich gegenwärtig aufzuladen drohen.

(Veröffentlicht im Kommentarsyndikat „Pressekorrespondenz“)

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