7. Oktober 2025

CDU und CSU: Kooperation, wie immer

Die Öffentlichkeit hat eine Freude daran, Konflikten zuzuschauen. Sie berühren Emotionen, bieten Fortsetzungscharakter und kennen schließlich Sieger und Besiegte – weshalb die Medien dazu neigen, schon kleineren Kontroversen das Etikett „Konflikt“ anzuheften. Im Falle des Verhältnisses von CSU und CDU hat das eine lange, stellenweise höchst unterhaltsame Tradition. Zwar wurde die CSU 1945 als Regionalpartei gegründet, sie trat aber vom ersten Tage mit bundespolitischem Gestaltungsanspruch an. Mit der Gründung der CDU im Jahre 1950 stand dann der politische Ehepartner zur Verfügung, mit dem sich dieses Wechselspiel auf Dauer betreiben ließ.

Die Konflikte speisen sich dabei stets aus der unterschiedlichen Genetik der beiden Parteien. Während die CDU primär bundes- und europapolitisch denkt und diese Themen ins Regionalpolitische übersetzt, entspringt das Denken der CSU einem traditionalistischen, bayerisch-vaterländischen und radikal föderalistischen Programmkern. Ziel allen politischen Handelns der CSU ist es verständlicherweise, ihre dominante Stellung in Bayern zu erhalten. Das ist die Basis ihrer gesamten Macht, auch der bundespolitischen Einflussstärke, während die CDU in ihrer bundespolitischen Bedeutung vom Durchschnitt aller Bundesländer zu leben im Stande ist.

Aus diesen unterschiedlichen Perspektiven ergeben sich Differenzen in der Programmatik. Es gilt „Bayern zuerst“, was besonders sensibel betrieben wird dort, wo Bayerns Eigenständigkeit im Kulturellen berührt wird. Das war immer bei der Schulpolitik so, das äußert sich in Fragen christlich-moralischer Weltanschauung und das betrifft das „Mir san mir“, also die aus allem folgende, traditionelle bayerisch-christliche Lebensart. Die allerdings fühlt sich von der Flüchtlingspolitik der letzten anderthalb Jahre und des zunehmenden muslimischen Bevölkerungsanteils zutiefst gestört, weshalb der Konflikt um die „Obergrenze“ absehbar war.

Nie aber hat die CSU – von Hans Ehard über Fritz Schäffer, Alfons Goppel, Franz Josef Strauß, Theo Waigel, Edmund Stoiber bis zu Horst Seehofer – die Grenze einer „konkurrierenden Kooperation“ (Heinrich Oberreuter) überschritten. Die Ursachen des Zusammenbruchs der Weimarer Republik haben alle im Gedächtnis, das soll kein zweites mal passieren.

So ist auch jetzt Einigkeit angesagt. Man mag „Friedensgipfel“ nennen, was doch bloß der erwartete Sieg der Kooperation über die Konkurrenz ist. Der Zweck ist erfüllt: Der bayerische Löwe hat gebrüllt, die Bayern haben ihre CSU als profilscharf wahrgenommen und werden ihr das bei den anstehenden Wahlen, so hofft Seehofer, auch lohnen.

Politisch werden im „Weltaugenblick“

„Die größte Nachsicht mit einem Menschen“, so hat Marie von Ebner-Eschenbach einmal notiert, „entspringt aus der Verzweiflung an ihm.“ Da es gegenwärtig viele Menschen gibt, die Demokraten zur Verzweiflung treiben können, hätten wir viel Anlass zu solcher Toleranz. Wir konnten sie uns auch leisten in Zeiten von gesellschaftlichem Konsens, sozialem und ökonomischen Selbstbewusstsein, in einer geopolitischen Landschaft, in der sich nach 1989 die allermeisten Staaten auf die Seite von Freiheit und friedlicher Koexistenz geschlagen hatten – abgesichert durch vielerlei multilaterale Verträge. „Toleranz“ war in solchen Zeiten Gebot und Möglichkeit zugleich.

Nun spüren wir: Diese Zeiten sind vorbei. Es geht wieder ums Ganze. Auf dem Spiel steht eigentlich alles, was wir uns in unserer zivilisierten Demokratie aufgebaut haben: Die Freiheit, der Frieden, die Menschenwürde, die internationale Solidarität durch Freihandel, sozialen Ausgleich und, wo nötig, auch durch Hilfe für Flüchtlinge.

Aufkommender Nationalismus schließt Grenzen, baut wieder Mauern, grenzt Arbeitskräfte und Hilfsbedürftige aus. Feindseligkeit zieht ein in Friedensverbünde wie die Europäische Union, die NATO oder die transatlantische Partnerschaft. Dem politischen Lied von Frieden durch Freundschaft folgen die hässlichen Hymnen von wahnhaftem persönlichen Machtwillen, nationaler Selbstbezogenheit, neuer imperialer Größe und Vernichtung der Dissidenten, von Ausgrenzung anderer Länder, Rassen und Religionen. Demagogie wird zur politischen Sprache der Gegenwart, auch in Deutschland.

Nachsicht ist da nicht mehr angebracht. Denn man trifft nicht mehr nur auf argumentative Gegner, mit denen sich noch eine gemeinsame freiheitliche Grundüberzeugung feststellen ließ. Innerhalb dieses Rahmens konnte man um die richtigen Wege streiten, immer mit Respekt vor der anderen Meinung, die Demokratie war in sich kompromissfähig. Heute haben wir es mit Feinden des Systems zu tun, die totalitäre Macht im Blick haben. Sie müssen nicht wie Gegner, sondern als Feinde bekämpft werden. Denn sie respektieren Gegner nicht, sie suchen sie zu vernichten. Ein neuer Faschismus bahnt sich an, jetzt, in diesem Jahr, das – sagte Jean Claude Juncker dieser Tage – das Zeug zum „Weltaugenblick“ habe.

So ist es wohl. Noch haben wir es in der Hand, wohin die Welt sich nach diesem alles entscheidenden „Augenblick“ wendet. Wer jetzt nicht politisch wird, darf sich später als Opfer neuer Umstände nicht beschweren. Wer jetzt nicht aufsteht, um laut gegen Nationalismus, Ausgrenzung, Rassismus – aber für Freiheit, für Demokratie und für Menschenwürde zu kämpfen, der wird das Deutschland des Jahres 2017 in den Geschichtsbüchern beschrieben sehen als ein Land von schwachem Selbstbehauptungswillen, voller Bürger, die die Lektionen der kriegerischen Geschichte dieser Welt und Europas nicht gelernt hatten. Wer jetzt nicht zur Wahl geht, um den extremistischen Parteien eine Abfuhr zu erteilen, der hat die Demokratie nicht verdient. Die Zeit ist da, massenhaft in die demokratischen Parteien einzutreten und das Blatt noch zum Positiven zu wenden.

Europas Zerstörung ist nationaler Selbstmord

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte für die Unberechenbarkeit Donald Trumps, so hat er sie mit seiner Inaugurations-Rede geliefert: Selbstverliebt, spalterisch, voller Drohungen und nationalistischer Leerformeln.

Was Europa betrifft, kehren zwei Überzeugungen Trumps immer wieder: Europa und speziell Deutschland hätten mit der Einwanderungspolitik Angela Merkels einen schweren Fehler gemacht. Und, zweitens: der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union sei eine fantastische Sache, die andere EU-Mitglieder nachahmen sollten. Trump stärkt damit den Argumentationskern rechtspopulistischer Parteien, für den manche Wähler anfällig sind. Deshalb ist es sinnvoll, einige Fakten in Erinnerung zu rufen.

Zunächst: Migrationsbewegungen sind nichts Neues, sondern eine alte europäische Erfahrung. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts verzeichnen die mitteleuropäischen Länder Bevölkerungsverluste. „Der letzte Jahrgang, der ebenso viele Kinder hatte wie er selbst zählte, wurde in Deutschland 1882 geboren“, hat der Wirtschaftswissenschaftler Meinhard Miegel kürzlich trocken festgestellt. 1900 noch war jeder vierte Weltenbewohner europäisch. Heute ist es jeder zehnte, 2095 wird es noch jeder zwanzigste sein. 1900 waren 3 Prozent der Weltbevölkerung deutsch, heute ist es ein Prozent, demnächst zählt man das in Promille.

Das zeigt: Wenn die Länder Europas ihre politische, wirtschaftliche und soziale Leistungsfähigkeit erhalten wollen, sind sie auf Einwanderung angewiesen. Kürzlich noch kamen meist Süd- oder Osteuropäer. Heute sind es Syrer, Afghanen, Iraker oder Menschen aus Nordafrika. Zweifellos macht das die Sache schwieriger, denn die Migranten des 20. Jahrhunderts entstammten weit überwiegend gemeinsamen kulturellen und sprachlichen Wurzeln und gleich ausgebildeter Grundvorstellungen von Religion und Recht. Heute dagegen liegen in Sprache, Religion und Rechtsvorstellungen die größten Differenzen. Integration ist deshalb viel aufwendiger und braucht größere Überzeugungskraft – aber sie ist alternativlos.

Auch beim zweiten Thema scheint nüchterne Betrachtung geboten. Die Europäische Union ist mit ihrem Binnenmarkt nicht nur wirtschaftlich erfolgreich (was Trump stört), sie ist auch das größte Friedensprojekt der Geschichte. Wer Handel, Wertüberzeugungen und Rechtsstrukturen miteinander teilt, der führt keine Kriege gegeneinander. Wer sich gegenseitige Solidarität verspricht, der schafft Sicherheit für alle.

Wer sich hingegen von der Zusammenarbeit der Europäischen Union entfernt, der schwächt nicht nur den Verbund und seine eigene Wirtschaftskraft, er macht sich selbst zur leichten Beute. Das lehrt die Geschichte. Kein europäisches Land, vor allem nicht im östlichen Mitteleuropa, könnte einer militärischen Aggression auf sich allein gestellt widerstehen. Wer sich, geschichtsvergessen, selbst schutzlos macht, lädt zu solcher Aggression geradezu ein. Programme wie die von Trump, Marine Le Pen in Frankreich, der AfD in Deutschland oder Geert Wilders in den Niederlanden behaupten, die Nation zu stärken. Das Gegenteil ist richtig: Es sind Programme des nationalen Selbstmords.

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