7. Oktober 2025

Den Euro weiterentwickeln!

Es ist erstaunlich, dass der Euro als gemeinsame Währung von 19 der 28 EU-Mitgliedstaaten in den 15 Jahren seines Bestehens eine so gute Figur gemacht hat. Er war nicht nur ökonomisch erfolgreich, sondern hat auch Krisen überstanden, die kleine Währungen vielleicht nicht überlebt hätten.

Erstaunlich ist das deshalb, weil wesentliche Fehlkonstruktionen der Gründungszeit bis heute nicht behoben sind. Wo sich realwirtschaftliche Diskrepanzen zwischen Staaten früher durch Wechselkursanpassungen hatten ausgleichen lassen, ist dies in einem Währungsverbund nur durch einen Finanzausgleich möglich. Der aber ist nur innerhalb einer politischen Union durchsetzbar – die Helmut Kohl seinerzeit als Ergebnis der Währungs-Konvergenz erhoffte, an der es aber leider bis heute erkennbar fehlt.

Die Krisenanfälligkeit des Euro ist also noch nicht gebannt. Zwar wurden nach den Finanzkrise im letzten Jahrzehnt manche zusätzlichen Kontrollmechanismen eingezogen, vor allem im Bereich der Banken-Supervision. Weitere institutionelle Stärkungen aber sind notwendig, will man die Währung nicht aufgeben. Daran aber denkt keiner – sie hat sich als weltweit zweitwichtigste Reservewährung etabliert und ist Zahlungsmittel für 350 Millionen Europäer, sie hält einen gewaltigen Wirtschaftsraum zusammen. Damit ist sie zugleich ein außenpolitischer Machtfaktor.

Konsequenterweise hat die Europäische Kommission deshalb nun ein „Reflexionspapier“ vorgelegt, das die weitere währungspolitische Konvergenz der Europäischen Union fördern soll. Es enthält auch die Hoffnung auf neue Euro-Mitglieder. Nach dem Austritt Großbritanniens wird der Euro-Raum innerhalb der EU weiter an Gewicht gewinnen, er repräsentiert dann 85 Prozent der Wirtschaftsleistung der EU. Manchem EU-Mitglied, das heute noch draußen steht, wird dann die Idee des Beitritts zur Währungsunion vielleicht attraktiver erscheinen.

In dem neuen „Reflexionspapier“ geht es deshalb um Vorschläge zu einer „Finanzunion“, die die Banken weiter stärken sollen, auch durch die Einführung einer gemeinsamen Einlagensicherung. Kapitel zwei sind Ideen zu einer „Kapitalmarktunion“, in der gemeinsame Finanzierungsinstrumente geschaffen werden, um Investitionsschwächen auszugleichen. Und schließlich entwickelt Kommissionspräsident Juncker Konzepte, wie die EU durch die Herausgabe von Anleihen, die vom EU-Haushalt garantiert werden (und nicht von den nationalen Haushalten) selbst zum investitionspolitischen Akteur werden könnte – inklusive der Einführung eines EU-Finanzministers und eines EU-Parlaments für den Euro-Raum.

Die Vorschläge sind allesamt besser als ihr Ruf in Deutschland. Sie sind notwendig zur Stabilisierung unserer Volkswirtschaften. Sie sind eine gebotene Antwort auf die weltweiten Umbrüche, die auch die europäische Wirtschaft und unser Währungssystem herausfordern werden. Und sie sind ein Gebot der Solidarität in einem Europa, das sich ohne solche Solidarität schwertun wird, in seinen Teilen annähernd gleiche Wettbewerbs- und damit Lebensbedingungen zu schaffen und die Unions-Idee am Leben zu erhalten. Von all diesen Themen wird deshalb im Wahlkampf noch viel zu hören sein.

Christentum ist auch politisch

Auch dieser Evangelische Kirchentag, der in Berlin und Wittenberg stattfand, war ein Markt der Möglichkeiten. Es ging – wenn man das Programm betrachtet – zwar auch um spirituelle Fragen, um die Suche nach Gott, um die Auseinandersetzung mit dem Glauben. Vornehmlich aber wurde all das behandelt, was die gesellschaftspolitische Debatte prägt, was wir für Zukunftsfragen halten und was die Menschen im Land auch ideologisch spaltet. Die Podienreihen hießen „Ende des Wachstums“, „Ernährung und Landwirtschaft“, „Europa“, „Flucht, Migration, Integration“, natürlich durften auch die „Folgen des Klimawandels“ nicht fehlen und sowieso nicht die Podienreihe „Frieden“. Es ging um das Verhältnis von Juden und Christen, es gab einen Thementag „Interreligiös-feministische Basisfakultät“. Kurz: Kaum eine Frage, die nicht in einen evangelischen Kirchentag passt.

Über solche Kirchentage kann man sich mokieren. Protestanten, die über alles reden, aber denen Gott nicht in den Sinn kommt. Katholiken, die gesellschaftspolitische Debatten führen, aber vergessen, was es heißt, katholisch zu sein. Man kann aber auch beeindruckt feststellen, dass Christen hier eine Lautstärke gewinnen, die nicht irrelevant ist. Dass die Kirchen zwar reich, aber tot seien – das stimmt eben nur bedingt, die Sklerose der Kirchenhierarchien wird auf oft beeindruckende Weise von den Laienmitgliedern der Kirche konterkariert. Sie mischen sich in den politischen Diskurs ein, sie übernehmen zunehmende Verantwortung in den Gemeinden und Gottesdiensten, weil sich die Phantasie der Kirchenleitungen allzu oft in semantisch verbrämten Restrukturierungs- und damit Kürzungsorgien erschöpft.

Das ist in einer multipolaren, multikulturellen und multireligiösen Welt keine Nebensache. Diese Vielfalt prägt den politischen Diskurs, von seinem Ausgang hängen auch politische Zukunftsentwürfe ab. Ob unsere Gesellschaft auch künftig auf Freiheit und Demokratie gebaut sein wird, ob sie von christlichem Wissenschafts- und Gleichheitsvorstellungen geprägt sein wird – all das schlägt sich in Verfassungen und Gesetzen nieder. An ihrer Gestaltung müssen Christen teilnehmen, daran müssen sie mit ihren Überzeugungen mitdiskutieren. Jens Spahn, der CDU-Abgeordnete aus Nordrhein-Westfalen, liegt daher völlig falsch, wenn er den Rückzug der Kirchen aus der politischen Debatte fordert – das Gegenteil ist notwendig.

Insofern repräsentieren Kirchentage auch die innere Vitalität der Christen in Deutschland. Je 24 Millionen Mitglieder haben die katholische und die evangelische Kirchen – eine gewaltige Zahl, ja: die größte gesellschaftliche Gruppe überhaupt. Die Christen im Lande mögen manchmal in ihrem Diskursverhalten zu diszipliniert sein. Sie meiden den Straßenprotest der Gewerkschaften, die physische Gewalt von Islamisten, das Lautsprechertum radikaler Minderheiten. Aber sie sind präsent, eine „fleet in being“, ein Überzeugungspotential, mit dem man rechnen und auf das man Rücksicht nehmen muss.

Berlin als Ort des Kirchentages – für den rot-rot-grünen Senat, der mit seinem Neutralitätsgesetz alles rational unbegreifbar Religiöse am liebsten ganz verschwinden machen will aus einer vorgeblich vernünftige Welt , mag das eine Provokation sein. Zeitgleich führt man dort eine Debatte über die Frage, ob die Kuppel des wiederaufgebauten Stadtschlosses in der Berliner Mitte mit einem Kreuz versehen werden soll. Natürlich wäre das richtig. Zugleich aber, so sagte es kürzlich ein Bischof, ist die Frage wenig relevant, solange die Sonne auf den Fernsehturm am Alex jeden Tag aufs Neue ein großes Kreuz zaubert – weithin sichtbar und ein Zeichen eines durch Jahrtausende unzerstörbaren Christentums.

Straßenprotest und Gewalt

Wenn sich im Juli die Staatschefs der zwanzig wichtigsten Industrienationen in Hamburg treffen, kann sich die Stadt auf einen organisierten Gewaltausbruch auf den Straßen der Hansestadt gefasst machen. Die Gruppen, die diese Gewalt inszenieren werden, heißen beispielsweise „Interventionistische Linke“, wobei das Wort „Intervention“ durchaus handgreiflich gemeint sein wird, denn die ersten Autos brennen schon jetzt. Mit Bedacht bekennen sich solche Gruppen nicht zur Gewaltfreiheit, sondern bereiten ihre massiven Einsätze mit Liebe zum Detail vor. Sie geben auch freimütig Interviews, die beim Thema Gewalt so klingen: „Ob das jetzt sinnvoll war, Autos anzuzünden, sei dahingestellt“, sagt etwa Emily Laquer von der „Interventionistischen Linken“ in der ZEIT und fügt hinzu: „Die Gewaltfrage muss man auch immer im historischen Kontext sehen. Die Suffragetten haben Anschläge verübt! Heute sind wir stolz darauf, dass es mutige Frauen gab, die das Wahlrecht für uns erkämpft haben.“

Da gibt es nur einen kleinen Unterschied: Wir haben heute Freiheit und Demokratie und Gleichberechtigung, in unserem Land zählt die Menschenwürde etwas, wir haben Meinungsfreiheit und ein System, in dem (was nicht leicht errungen war) der innere Frieden gerade dadurch garantiert wird, dass das Gewaltmonopol beim Staat liegt und nicht in privater Hand. Insofern ist Sinn oder Unsinn privat angewendeter Gewalt nicht „dahingestellt“, vielmehr ist sie klar abzulehnen. Wer das anders sieht und öffentlich organisiert, sollte wegen Vorbereitung einer Straftat in präventive polizeiliche Behandlung genommen werden.

Der G 20-Gipfel in Hamburg ist auch nicht etwa „vor allem ein PR-Fototermin“ (Emily Laquer in der ZEIT). Vielmehr ist es das wichtigste und einzige Gesprächsforum, das multilaterale Besprechung weltwichtiger Themen im direkten Kontakt ermöglicht – und an solchen Themen fehlt es ja wahrlich nicht, von Kriegen über Wirtschaftsfragen hin zur Armutsbekämpfung. Solche Foren sind die Voraussetzung für „grenzenlose Solidarität“, wie die Demonstranten sie fordern – von selber ergibt sie sich nicht. Wenn am Rande auch bilaterale Erörterungen stattfinden und etwa US-Präsident Trump erstmals den russischen Präsidenten trifft, dann ist das keine Petitesse, sondern eine bedeutende Gelegenheit, durch Gespräche Entspannung zu erzeugen.

Die gewaltbereiten Gruppen in Deutschland und anderswo (und Tausende von ihnen werden keine Flugreise scheuen, um in Hamburg ihrem zerstörerischen Handwerk nachzugehen) haben mit Demokratie und Freiheit wenig am Hut. Viele treibt die pure Lust an der Gewalt, die meisten aber die Vorstellung einer Gesellschaftsutopie, deren Unbrauchbarkeit sich in der politischen Geschichte mehrfach erwiesen hat. Von unserer demokratischen Gesellschaft wollen sie sich nichts mehr sagen lassen, nennen sich deshalb „Autonome“ – sind aber, was ihre Finanzierung angeht, gerne Nutznießer staatlicher Sozialsysteme. Dass aber freiheitliche Demokratien ihren eigenen Untergang finanzieren – so weit darf es nicht kommen.

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