6. Oktober 2025

Wahl gewonnen, Amt verloren?

Die CDU, so war es zu beobachten, hat gelassen auf ihre Wahlniederlage in Niedersachsen reagiert. Das ist erstaunlich, denn nach Lage der Dinge hätte sie leicht gewinnen können – wenn sie sich langfristig darum gekümmert hätte, in Niedersachsen eine Wechselstimmung zu erzeugen. Probleme, die das gerechtfertigt hätten, gibt es in Niedersachsen genug. Leistungsfähigkeit und Ausstattung der Schulen sind notleidend, die Staus auf den Autobahnen nehmen zu, die Innere Sicherheit ist nicht mehr garantiert, vor allem auf dem polizeientkernten Land. Hinzu kommt eine Umweltpolitik, die den Menschen und seine Interessen hintanstellt und, beispielsweise, den Wolf mehr schützt als seine Opfer und die zugleich der Wirtschaft immer neue Steine in den Weg legt.

Das alles hat die CDU aber nicht thematisiert. So hat die SPD die Wahlen erstaunlich deutlich für sich entschieden, und alle Welt erwartet nun, dass Stephan Weil wiederum Ministerpräsident des Landes Niedersachsen wird. Das freilich ist gar nicht ausgemacht – es könnte Weil so gehen wie dem CDU-Spitzenkandidaten McAllister 2013, als dieser die Wahl gewonnen hatte (36,0 CDU, 32,6 Prozent SPD), aber dennoch nicht ins Ministerpräsidenten-Amt kam, weil sich die Grünen (damals 13,7 Prozent) mit der SPD zusammenfanden.

Wahl gewonnen, Amt verloren: Das ist auch diesmal gar nicht unwahrscheinlich. Denn dass sich die CDU unter Führung der SPD in eine Große Koalition begibt, ist nach allen Erfahrungen, die Juniorpartner dort gemeinhin machen, kaum zu erwarten: Die CDU würde dort aufgerieben und ihrer Profilierungsmöglichkeiten beraubt, sie beginge gleichsam politischen Selbstmord – und keiner ihrer Wähler hat der CDU die Stimme gegeben, um einen SPD-Ministerpräsidenten zu bekommen. Für Rot-Grün reicht das Wahlergebnis auch nicht mehr, es fehlt ein Sitz zur Mehrheit. Rot-Gelb-Grün, die „Ampel“, will die FDP nicht mitmachen, weil sie – zu Recht – einen Politikwechsel in Niedersachsen will. Bleibt also nur ein Bündnis aus CDU, FDP und Grünen, eben „Jamaika“, falls die Grünen sich (wie im Bund) zu dieser Option entschließen können. Dann wäre Bernd Althusmann Ministerpräsident.

An Ermutigungen aus Berlin zu einer solchen Lösung fehlt es nicht. Denn eine „Jamaika“-Koalition dort braucht Unterstützung für ihre Vorhaben im Bundesrat, der einem Teil der Bundesgesetze zustimmen muss. Dass eine im Bundeskabinett vertretene Partei die Regierungsprojekte im Bundesrat durch die Länderstimmen zu Fall bringt, das ist selbst für die oft basischaotischen Grünen keine konstruktive Vorstellung von Politik. Also hält man sich die „Jamaika-Option“ auch in Niedersachsen bei all jenen Parteien offen, die jetzt im Bund ihre Sondierungsgespräche beginnen.

Erwartbar ist für diesen Fall ein SPD-Gezeter in Niedersachsen, dass es undemokratisch sei, den Wahlsieger Weil so um sein Amt zu bringen. 2016 wäre das freilich ebenso demokratisch wie es 2013 demokratisch war: Es regiert der, der eine Parlamentsmehrheit zustande bringt.

Mehr Geld für die Grundschulen

Es gibt wissenschaftliche Studien, die politische Sprengkraft haben. Solche aus dem Bereich Bildungsforschung zählen dazu. So ist es nicht verwunderlich, dass die Kultusministerkonferenz mit der Veröffentlichung des neuen Bildungs-Qualitäts-Vergleichs Grundschulen bis zum letzten Werktag dieser Woche gewartet hat. Der Gedanke: Bloß kein Material mehr liefern für den laufenden Wahlkampf in Niedersachsen.

Denn Niedersachsen schneidet im Bildungsvergleich zwischen 2016 und 2011 besonders schlecht ab. Für die Schulpolitik der rot-grünen Landespolitik ist das ein einziger Offenbarungseid: Ob in Deutsch beim Lesen, beim Zuhören oder der Orthografie, oder in der Mathematik: die Veränderungen sind negativ, die Leistungen schlechter.

Erklärungen sind immer schnell zur Hand: Zum einen sei der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund gestiegen, zum anderen habe die Inklusion das Leistungsniveau in den Grundschulen nach unten gezogen. Das freilich sind alles nur Ausreden. Denn in einer ganzen Reihe von Bundesländern haben sich solche Faktoren nicht dermaßen negativ niedergeschlagen wie in Niedersachsen, obwohl sie oft viel stärker mit Migranten zu tun haben: Hamburg etwa, dessen Schulen unter dem SPD-Schulsenator Ties Rabe in ihrer Leistungsfähigkeit gar angezogen haben. Bayern, Brandenburg, Sachsen, das Saarland und auch Schleswig-Holstein schneiden ebenfalls wesentlich besser ab als Niedersachsen, nimmt man alles in allem.

Also muss es noch andere Gründe als die genannten geben. Der Hauptgrund ist die finanzielle Vernachlässigung der Grundschulen. Das betrifft das Personal: Der Grundschullehrer hat mittlerweile sehr viel mehr gesellschaftliche Reparaturarbeit an den Kindern zu leisten als jeder Gymnasiallehrer, wird aber deutlich schlechter bezahlt. Deshalb gibt es zu wenige davon. Hinzu kommt: Grundschullehrer werden von allen Seiten unter Druck gesetzt, von oben durch immer neue Vorschriften und Anforderungen (dazu zählt die ideologisch aufgepfropfte Inklusion) gegängelt, von den Eltern zugleich, die die bildungsmäßige Erziehung ihrer Kinder vernachlässigen, aber von den Grundschullehrern anschließend die Gymnasialempfehlung für die Kinder verlangen.

Hinzu kommt vor allem in „grünen“ Bildungsministerien eine ideologiebesetzte Pädagogik, die die Leistungsanforderungen klein schreibt und schon das individuelle Bemühen mit guten Noten belohnen will. Aus solchem Ansatz wird natürlich kein belastbares Wissen, auf dem sich sichere Bildung aufbauen lässt.

Wie sagte die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Susanne Eisenmann, bei der Vorstellung der Studie? „Die Länder werden die große Stärke des Bildungsföderalismus nutzen, im Wettbewerb der Ideen voneinander zu lernen.“ Dafür hätten sie längst Zeit gehabt, es würde helfen, aber nicht reichen. Die wichtigste Lehre wäre, mehr Personal und Geld in die Grundschulen zu stecken und wieder klare Leistungsanforderungen zu setzen. Denn in den Grundschulen wird die Basis der deutschen Bildung gelegt.

Lesen bildet. Zur Buchmesse.

Die Buchmesse in Frankfurt ist zunächst ein wirtschaftliches Ereignis, wie andere Messen auch: Angebot trifft Nachfrage, die Neuheiten der Branche werden illustrativ präsentiert. Das Buch freilich ist keine Werkzeugmaschine, sondern ein Kulturgut, es hat etwas mit den schönen Künsten, dem Intellekt im Leben zu tun, mit jener Ästhetik, von der die groben Zeitgenossen sagen: Ist überflüssig, kann weg.

Doch die Zahl derer, für ein Leben ohne die schönen Künste, ohne Musikhören und Lesen, nicht wirklich lebenswert scheint, ist groß geblieben in Deutschland. Lesen bildet nicht nur den Geist, sondern auch das Herz, und derlei gilt im (ehemaligen?) „Land der Dichter und Denker“ noch etwas.

Wieder werden also in Frankfurt die mehr als 70 000 Neuerscheinungen dieses Jahres hergezeigt, werden Autoren aus aller Welt und dieses Jahr vor allem aus Frankreich gefeiert, werden Verträge abgeschlossen und Vertriebswege entschieden. Da geht es längst nicht mehr nur um das gedruckte Buch und den stationären Buchhandel, sondern um das digitale Manuskript, herunterladbar im Internet und gelesen auf einem E-Reader, dem „Kindle“ oder dem „Tolino“. Und die gedruckten Bücher finden zu immer größeren Anteilen den Weg zum Leser nicht mehr über die Buchhandlung um die Ecke, sondern über den online-Versandhandel, allen voran über Amazon.

Das ist für die 4700 Buchhandlungen in Deutschland eine Gefahr. Die großen Ketten unter ihnen – 10 Prozent der Buchhandlungen erwirtschaften zwei Drittel des Gesamtumsatzes – kommen mit der Versand-Konkurrenz noch einigermaßen klar. Die 3500 kleineren selbständigen Buchhandlungen dagegen tun sich zunehmend schwer, den nötigen Umsatz zu erwirtschaften, der die Gehalts – und Mietzahlungen der Buchhandlungen sichert, und sie liegen (erfreulicherweise) in guten Innenstadtlagen – die aber sind teuer, das ist der unerfreuliche wirtschaftliche Aspekt. Er wird ein wenig gemildert durch die Buchpreisbindung, mit der der Gesetzgeber sowohl die Verlage als auch den stationären Handel und somit das Kulturgut Buch vor der Schwerstbeschädigung durch Handelsmonopole einigermaßen schützt.

Gravierender fast ist aber die Wirkung, die das zunehmende Lesen im digitalen Medium beim Leser hinterlässt. Psychologen, deren Spezialgebiet die Leseforschung ist, sind sich einig: Nur die Lektüre gedruckter Bücher erlaubt vertiefte Lernprozesse. Digitales Lesen ist anfälliger für Ablenkungen, deshalb oberflächlicher. Solche Lektüre wird schneller vergessen als jene im gedruckten Buch, in dem man hin- und herblättern, wichtige Stellen kennzeichnen und sie zur Vertiefung mehrfach lesen kann. Hier hilft nur intensive Lese-Erziehung, in der Familie und in der Schule. Schon das Schulbuch sollte kein digitales sein, sondern eines aus Papier: die erfolgreicheren Lernprozesse werden es danken.

Follow

Get every new post delivered to your Inbox

Join other followers: