6. Oktober 2025

Die Kritik an Angela Merkel

Manche Entscheidungen kann man nicht revidieren. Jene der CDU/ SPD – Regierung, im Herbst des Jahres 2015 und auch noch 2016 Hunderttausende Migranten nach Deutschland hereinzulassen, zählt dazu. Sie wurde aus guten humanitären Gründen getroffen, behaftet aber mit vielen Versäumnissen im konkreten Vollzug, vor allem dem der gänzlich unkontrollierten Grenze. Seither wissen wir nicht mehr, wer eigentlich nach Deutschland gekommen ist. Und jene, deren Asylantrag abgelehnt wurde, leben zumeist dennoch hier, weil keiner eine Idee hat, wie und wohin man sie ausweisen könnte. Und wer bleiben darf, soll sich integrieren und von uns integriert werden: auch hier sind die Erfolgsgeschichten dünn.

In bürgerlichen Wählerschichten hat das große Verunsicherung erzeugt, von rechts bis links. Manche haben protestgewählt, die AfD. Andere sind bei den Volksparteien geblieben. Aber vor allem in der CDU/CSU rumort es nicht nur unter Konservativen gewaltig, und das Protestpotential wächst, seit die CDU im Handstreich die Ehe auch für Homosexuelle eingeführt hat und aus ihren Reihen der Vorschlag eines islamischen Feiertags kam.

Vor ein paar Monaten noch traute sich kaum einer, den Rücktritt Angela Merkels als Parteivorsitzende zu fordern, weil man seine eigenen Karrierechancen in Aufstellungen und Listenplätzen nicht gefährden wollte. Da war Mut noch teuer. Nun aber, nach den Wahlen, ist Mut kostenfrei, und es wird der Ruf nach personeller Erneuerung direkt und namentlich vorgebracht. Und in den Medien, die immer nach auswertbaren Konflikten suchen, gewinnt die neu formierte „Werte-Union“ an Resonanz, innerparteilich zwar unbedeutend, aber sichtbar profiliert als Sammelbecken des Widerstandes und also derer, die den „Ruck nach rechts“ in der CDU fordern.

Die CDU freilich ist nicht linker geworden als sie je war. Dafür sorgte schon immer der gewerkschaftsnahe Sozialflügel, verbunden etwa mit den Namen Norbert Blüms, stets mit großer Macht. Die Partei hat nur ihren rechten Flügel verloren. Leute wie Alfred Dregger oder auch Franz Josef Strauß verstanden es, die Menschen im ganz konservativen Spektrum bei ihren Sorgen anzusprechen und sie von Unions-Lösungen zu überzeugen. Ihr Instrument war die politische Tat, die Arbeit an der Basis, die Argumentation, auch die Teilnahme an innerparteilichen programmatischen Debatten.

Das ist heute anders, da die Protagonisten der innerparteilichen Opposition – mehr oder weniger offen angeführt von Jens Spahn – Macht anstreben und sich im Straßenkampf in den AfD-Hochburgen in Recklinghausen oder in Sachsen nicht die Finger schmutzig machen wollen. Wenn es aber um Machterhalt geht, ist Angela Merkel den Spahns unserer Zeit noch weit voraus. Und es gibt gute Gründe, sie jetzt nicht zu demontieren: Erstens ist sie ein außenpolitischer Gigant, der momentan wichtigste Stabilitätsanker Europas. Zweitens hat ihre Kanzlerschaft Deutschland zum größten Wohlstand seiner Geschichte geführt. Drittens sind gerade Koalitionsverhandlungen – wie dumm (oder selbstverliebt) muss man sein, gerade dann die Parteichefin und Bundeskanzlerin zu schwächen? Und viertens wird Angela Merkel selbst den Zeitpunkt wissen, wann ein solcher Wechsel ansteht.

Chinas Supraplanung

China macht ernst, immer. Noch jedes Projekt, das die chinesische Staats- und Parteiführung in den letzten drei Jahrzehnten anpackte, hat sie zum Erfolg gebracht. Zuerst wurden ein bürgerliches Gesetzbuch nach deutschem Vorbild geschaffen, Eigentum ermöglicht, Grundbücher eingeführt, Vertragsfreiheit garantiert, ein für Wirtschaftsunternehmen akzeptables Justizwesen installiert. Die Wirtschaft wurde angekurbelt, Partnerschaften gesucht, kopiert und geforscht. Seither ist China ein reiches Land, der Außenhandel floriert. Und künftig soll es noch besser werden, goldene Zeiten verspricht Xi Jinping, Chinas gegenwärtiger Parteichef, bis 2035 soll die sozialistische Modernisierung vollendet und bis 2050 soll es China zur ultimativen sozialistischen Großmacht gebracht haben. Und dann möchte China überall führend sein: In der Weltpolitik, im Einfluss in allen Kontinenten, in der Wirtschaft, in der Umweltpolitik, das Große China als Ziel der „Supraplanung“. Das alles, versteht sich, unter der unangefochtenen Führung der Partei.

Dieser Kurs verheißt alle wirtschaftlichen Freiheiten – man kann reich werden in China, Milliardäre gibt es zuhauf, eine sehr spezieller Sino-Marxismus, den sich Karl Marx in seinen Sozialismusträumen nicht vorgestellt haben dürfte. Dass Opposition und manche Bürgerrechte hier unter die Räder geraten, versteht sich von selbst, aber diesen Preis zahlt Chinas Staatsführung gerne: Ohne zentrale Führung und langfristige Planung, mit Demokratie und ständigen Regierungs- und damit auch Ideologiewechseln, würde China diese Ziele sicher verfehlen.

Tatsächlich kann, wer sehr langfristige politische und wirtschaftliche Ziele verfolgt, so etwas wie Demokratie mit ihren Stimmungsschwankungen nicht brauchen. Und China denkt sehr langfristig: „Wer nicht für 10 000 Generationen plant, vermag nicht für eine Ära zu planen“, notierte der chinesische Gelehrte Chen Danran zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Für solches Denken haben viele die Chinesen verlacht, aber dann antworten sie mit einem zweieinhalbtausend Jahre alten Satz des Konfuzius: „Es kommt nicht darauf an, von allen geschätzt zu werden. Wenn man von Gescheiten geschätzt und von Unbedarften ausgelacht wird, dann ist das in Ordnung.“

Wenn sie also westliche Produkte importieren (auch, um sie zu kopieren), wenn sie technologisch führende Firmen in aller Welt aufkaufen, wenn sie sich in Afrika mit horrenden Geldsummen die Rohstoffe sichern oder an westliche Staaten Kredite vergeben – dann ist das alles genau bedacht, es handelt sich um Mosaiksteinchen eines großen Bildes.

Was aber hat der Westen? Das große Projekt des Westens sind Freiheit und Menschenrechte und die damit verbundene Hoffnung, diese Elemente würden in seiner Kraftentfaltung stärker sein als verordnete Zentralplanung. Das könnte täuschen. Es ist daher klug, Chinas Politik nicht nur für geschickte Kaufmannschaft zur Lösung von Gegenwartsproblemen zu halten, sondern die langfristige Supraplanung Pekings zu begreifen und darauf zu reagieren. Im besten Falle gelänge uns eines: Die Idee zu kopieren. Was also ist das langfristige Ziel Europas, was ist unsere „Supraplanung“?

Vor 40 Jahren: Wer ermordete Schleyer?

Noch immer vergeht kein Jahrestag des schrecklichen Wirkens der „Rote Armee Fraktion“, der in den deutschen Medien und auf den Podien der gesellschaftspolitischen Debatte nicht ausführlich gewürdigt würde. So auch jetzt zum 40. Jahrestag der Ermordung Hanns Martin Schleyers, mit der die RAF die – wie sie schrieb – „klägliche und korrupte Existenz“ des damaligen Arbeitgeberpräsidenten beendete.

Die Tiefenerforschung der Gesellschaft zum Thema RAF führt in die Geschichte deutscher bürgerlicher Familien, deren Kinder offenbar aus der Nazizeit und dem Holocaust, ermöglicht von der Generation ihrer Eltern, politische Rachegelüste entwickelten, die sie an den Repräsentanten der Gegenwartsgesellschaft auszuleben trachteten. So kam zwischen 1984 und 1993 ein Mord zum anderen: der Diplomat Gerold von Braunmühl, MTU-Chef Ernst Zimmermann, der US-Soldat Edward Pimental, der Pilot der „Landshut“, Schumann, Siemens-Vorstand Karl Heinz Beckurts, Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen oder Treuhand-Chef Detlev Carsten Rohwedder. Bei den meisten dieser und anderer Fälle ist noch unklar, wer genau die Morde ausführte – das zu offenbaren gehört zu den bleibenden Verpflichtungen der noch lebenden RAF-Terroristen gegenüber unserer Gesellschaft und den Opfer-Angehörigen..

Unverständlich und inakzeptabel ist bis heute, aus welchen Ingredienzien der Mythos lebt, der die RAF noch immer umgibt. Immer wieder werden jenen kriminellen Vorgängen Filme gewidmet und Theaterstücke, sie sind Gegenstand wissenschaftlicher Dispute und Forschungsarbeiten. Deutschland, so viel ist klar, ist nicht damit fertig, dass es einer ziemlich kleinen Gruppe verirrter junger Menschen gelang, einen ganzen Staat über mehr als ein Jahrzehnt zu terrorisieren.

Die Lehren aus jener Zeit sind schon sichtbarer. So hat sich die Demokratie als wehrhaft erwiesen, als nicht erpressbar, inkorporiert durch einen Bundeskanzler Helmut Schmidt, der den Forderungen der Terroristen auch unter Hinnahme der Ermordung Hanns Martin Schleyers nicht nachgab. Diese Überzeugung, dass Freiheit und Demokratie nicht von selbst stabil sind, sondern immer neu begründet und beworben werden müssen, hat seither an Boden gewonnen. Nur auf diesem Fundament war das Engagement Deutschlands gegen Terror in der Welt und gegen völkerzerstörende Kriege in den letzten drei Jahrzehnten möglich – vom Balkan über Afghanistan bis hin zur Unterstützung des Kampfes gegen den IS.

Was aber auch heute in einer freiheitlichen Demokratie gelten muss – und angesichts der offensichtlichen Gefahr der Mystifizierung der RAF erst recht: Terror muss man Terror nennen, und Terroristen sind Kriminelle, die ohne Rücksicht auf ihre Motive verfolgt und verurteilt gehören. Der demokratische Verfassungstaat ist nicht der Gegner, sondern der Garant dieser Freiheit, seine Verfassung der Vertrag, der mehrheitlich geschlossen und der auch von Minderheiten zu achten ist. Diese Lehre aus der RAF-Zeit ist nicht die unwichtigste.

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