6. Oktober 2025

Dauerempörte Politiker

Empörung, das spüren wir jeden Tag, ist die Währung, in der sich politische Haltung am schnellsten auszahlt. Empörung ist wütend, sie ist schrill – und findet so am schnellsten den Weg in die für Lautstärke aufnahmebereiten Medien. Sie ist leichter zitierbar als jede differenzierte Auseinandersetzung mit Geschehnissen. Und so haben auch jetzt die Empörten die Nachrichten dominiert, als Siemens aus nachvollziehbareen Gründen die Schließung von drei deutschen Werken im Bereich der Turbinen- und der Dynamofertigung ankündigte, weil sich die Sache nicht mehr lohnt. 3000 Arbeitnehmer verlieren dort ihre Jobs.

Wie tragisch das wirklich ist, muss sich erst erweisen. Denn es ist geradezu unternehmerische Pflicht, sich von Produkten zu trennen, die sich im internationalen Wettbewerb nicht mehr rechnen. Die Ursachen dafür liegen in unterschiedlichen Fertigungskosten, oft aber auch in politischen Entscheidungen, an denen nicht selten genau jene Politiker beteiligt waren, denen die Empörung im Gesicht geschrieben steht, wenn andere die Konsequenzen aus diesen Entscheidungen ziehen.

Wenn also der Ausstieg aus der Kernenergie verfügt wird, darf man sich nicht wundern, wenn die Produktion dieser Technologien beendet wird und die Fachkräfte arbeitslos werden. Wer den Kohleausstieg ankündigt, darf sich nicht über die Stilllegung von Kraftwerksfabriken beklagen. Wenn man die Löhne nach oben treibt – etwa den Mindestlohn – werden manche Fertigungen hierzulande einfach unprofitabel. Kurz: Solche Entscheidungen haben einen Preis, zu dem man als Politiker dann ebenso öffentlich stehen muss wie zu den Folgen des von allen gewollten internationalen Wettbewerbs.

Die andere Seite ist ja: Der Strukturwandel kreiert ständig neue Arbeitsplätze, auch für Entlassenen aus Görlitz, Erfurt und Berlin. Neue Technologien bieten große Zukunftschancen. Sie zu befördern ist vornehmste Aufgabe der Politik, vor allem durch eine exzellente und leistungsorientierte Schulpolitik (an der es in Teilen Deutschlands fehlt), hervorragend ausgestattete Universitäten (die Deutschlands leider nicht in ganzer Breite aufweisen kann) und eine innovative und finanziell kraftvolle Forschungspolitik (die auch verbesserungsbedürftig ist).

Der Ort eines Politikers ist also dort, wo er einen schnellen und chancenwahrenden Strukturwandel unterstützen kann – und nicht in den ersten Reihen der Protestmärsche gegen solche Unternehmen, die die notwendigen Folgen aus dem Strukturwandel ziehen.

Dass die meisten Journalisten wirtschaftssystem-kritisch sind, ist schlimm genug. Dass auch Politiker Eigentümer- und Auftragsunternehmer, Unternehmen und Konzerne für eher menschenfeindlich halten und sie diskreditieren, ist unverzeihlich. Denn nur die raschen Anpassungs-Entscheidungen unserer Wirtschaft sichern deren Wohlergehen und damit die Steuereinnahmen, mit denen unsere Politiker so gerne und ausgabenfreudig spielen.

E-Autos – nur mit asiatischen Batterien?

Die Energiewende – von allen Parteien politisch gewollt – ist aus nachvollziehbaren Gründen gut gemeint. Eine stromreiche Welt ohne Atom und Kohle und ohne fossile Brennstoffe – wer wollte das nicht? Zugleich aber ist dieser Energie-U-Turn schlecht gemacht. Es fehlen alternative Erzeugungskapazitäten und Überlandleitungen, und für eine Welt voller Elektroautos sind weder Infrastruktur noch ein interessanter Massenmarkt vorhanden. Vor allem aber sind wir von einer ausgereiften Technologie der Speichermedien, die ihre Produktion und einen Massenmarkt erst möglich machen, noch weit entfernt.

Die Schuld daran tragen wir selbst. Seit Jahrzehnten wissen wir um die Bedeutung von leistungsfähigen Energiespeichern. Wir haben daran geforscht, eher zaghaft – gebaut haben sie andere. Ob für Mobiltelefone oder Computer – die Lithium-Ionen-Speicher entstehen in Asien. In der Forschung übernahmen erst die Japaner, dann die Koreaner die Führung, sie bauten auch große Fertigungskapazitäten auf, bevor diese Technologie nun nach China weiterwanderte. Dort werden gegenwärtig viele Milliarden US-Dollar in Forschungs- und Fertigungskapazitäten investiert , um die aufkommende Elektromobilität zu ermöglichen. Das ist ein gewaltiges Geschäft, denn 40 Prozent der Kosten eines Elektrofahrzeuges entfallen auf die Batterie. Europa hat sich abhängen lassen.

Das Ziel Chinas ist klar: Über Menge und Preis wollen sie alle Konkurrenz vernichten. Groß ist diese Konkurrenz in Europa ohnehin nicht. Ob SAFT in Frankreich, Leclanché in der Schweiz oder EAS Batterien in Deutschland – sie alle erfahren nur schwache öffentliche Förderung in einem Moment, in dem sie solche Unterstützung dringend bräuchten, da der Massenmarkt, der Investitionen rentabel machen könnte, noch nicht sichtbar und politisch ganz ungenügend gefördert wird. Auch hier legen die Chinesen vor: Sie betreiben massive Industriepolitik und subventionieren Produkte der E-Mobilität mit bis zu 50 Prozent.

Die Europäische Kommission und auch die Bundesregierung sind demgegenüber geizig, langsam und bürokratisch. Deshalb wird es auch auf dem Markt der Massenspeicher so kommen wie schon bei der Mikrotechnologie, der Chipherstellung, den Mobiltelefonen, der Computerproduktion oder der Photovoltaik: Wir haben die Ideen, die anderen machen erfolgreiche Produkte daraus, in Asien oder auch in den USA.

Was tun? Notwendig ist ein entschiedenes Bekenntnis zur Industriepolitik in drei entscheidenden Zukunftsbereichen: der Digitalisierung aller Lebensbereiche, der Lithium-Ionen-Speichertechnologie und der zukunftswichtigen Brennstoffzellen, also der Wasserstoff-Technologie. Es gilt, Vorsorge zu treffen für das eigene wirtschaftliche Überleben.

Dass Europa Industriepolitik kann, hat der Aufbau des Airbus-Konzerns bewiesen. Sie kostete anfangs Subventionen, stellt heute aber einen unerlässlichen europäischen Wirtschaftsfaktor dar. Hätten die deutsche, die französische, die britische und die spanische Regierung damals versagt, stünden europäische Fluglinien heute einem Monopolanbieter gegenüber. Genau das gilt es in der Speichertechnologie und beim Wasserstoff zu verhindern. Im Energiebereich ist Industriepolitik Zukunftssicherung.

Reformation – auch für die katholische Kirche

Als Martin Luther vor 500 Jahren gegen eine verkrustete katholische Kirche anging, wollte er zwar Reformen. Für die zog er bis nach Rom, ohne allerdings dort oder bei seinen späteren Disputen mit den Abgesandten des Papstes Gehör zu finden. Das war – wie schon die Verurteilung und Hinrichtung von Jan Hus im Konstanzer Konzil ein Jahrhundert zuvor – ein historischer Fehler, ein Hochmut des Papstes und seines Zirkels, dessen Folgen die Christenheit bis heute belastet: Aus der Reformabsicht wurde die Spaltung.

Sie entstand, weil es der katholische Klerus an Selbstkritik fehlen ließ: Roma locuta, causa finita – diese alte Regel hatte plötzlich keinen Bestand mehr, denn niemand wollte noch vernünftigerweise annehmen, dass sich Gott durch die Zahlung von Ablassgeldern korrumpieren lassen würde. Das begriff schließlich auch die Kurie und wandte sich von der Ablasspraxis ab. Luther, so sagte es denn auch 1970 der Chef des Kuriensekretariats für die Einheit der Christen, Kardinal Willebrands, sei rückblickend kein Ketzer, sondern „ein Vater des Glaubens und gemeinsamer Lehrer“ gewesen. Ein Reformator also – der katholischen Kirche.

So hat Luther die katholische Kirche moderner gemacht, hat sie aus den finsteren Praktiken des Mittelalters herausgeholt, hat Debatten angestoßen und eine Atmosphäre erzwungen, in der Diskussionen um die Lehren der Kirche nicht mehr als Häresie empfunden werden. Seither wissen wir: Auch Kirchendogmen sind nicht in Stein gemeißelt, die Heilige Schrift bedarf vielmehr der immer neuen Interpretation, des „Aggiornamento“, das eine der großen Überschriften des Zweiten Vatikanischen Konzils gewesen ist.

Noch heute haben das nicht alle begriffen. Wenn Papst Franziskus in „Amoris laetitia“ zu Recht die Modernisierung kirchlicher Lehrsätze zu Sexualmoral und zu den Prinzipien einer katholischen Ehe angeht, verdächtigen ihn seine innerkirchlichen Gegner der Irrlehre, verweisen hilfsweise auf ein „Naturrecht“, das ihnen einer Interpretation unzugänglich erscheint und folgern selbst für objektiv zerrüttete kirchlich geschlossene und dann weltlich geschiedene Ehen: „Es gibt keine Möglichkeit der Wiederverheiratung.“ So hat das dieser Tage der römische Kardinal Walter Brandmüller zu Protokoll gegeben.

Solche lebensfernen und menschenverstoßenden Haltungen werden sich nicht durchsetzen. Die Möglichkeit kirchlicher Wiederverheiratung Geschiedener wird in der katholischen Kirche ebenso zur Regel werden wie eine liberalere Haltung zu konfessionsverschiedenen Ehen, nachdem in Fragen der Empfängnisverhütung längst alte Fronten aufgelöst sind. Aber problematisch ist, dass Papst Franziskus seine Überzeugungen zwar in päpstliche Schreiben, nicht aber in konkretes Kirchenrecht umwandelt und somit alles in der Schwebe hält – gerade als Katholik würde man gerne sehen, dass er die reformatorische Entschiedenheit Martin Luthers auch für sich gewänne.

Follow

Get every new post delivered to your Inbox

Join other followers: