29. März 2024

Wulff, Steinbrück, Sie: Vom Gelde. Brief an die Kanzlerin 28

Liebe Frau Merkel,

es ist rührend, dass sich nun auch Siegmar Gabriel, der SPD-Vorsitzende, dafür einsetzt, dass Sie endlich mehr verdienen. Ihm ist ganz offenkundig eine gewisse Diskrepanz zwischen dem SPD-Kanzlerkandidaten und der amtierenden Kanzlerin ins Auge gefallen, die er für schwer erträglich hält und die er lieber zu ihren Gunsten als zum Nachteil des SPD-Kanzlerkandidaten ausgleichen möchte: Bei Ihnen kaum 350 000 Euro Jahresgehalt für den anstrengendsten Job Deutschlands und Null Nebeneinkünfte, bei Steinbrück das ja auch nicht prekäre Bundestags-Salär plus annähernd zwei Millionen allein durch Honorare in dieser Legislaturperiode.

Ich gönne Herrn Steinbrück jeden Euro. Viele wollten ihn reden hören und waren bereit, ihm dafür Geld zu bezahlen. Das hat er genommen. So geht Marktwirtschaft. An der sozialdemokratischen Basis wird das Verständnis so groß nicht sein, auch wenn mancher Genosse davon überzeugt sein wird, dass seine Stammtischreden mindestens so tiefschürfend sind wie die Steinbrücks, aber es will halt keiner dafür Honorare löhnen. Dort, an den Stammtischen, hält man Steinbrück für unsozialdemokratisch  raffgierig, das muss der SPD-Kanzlerkandidat nun mit seiner Partei ausmachen. Immerhin bleibt er (bisher) verschont von Annahmen, er habe sein Amtshandeln „kaufen“ lassen.

Bei Christian Wulff war das anders. Dem hat man wegen weit geringerer Summen alles Mögliche unterstellt, auch die Käuflichkeit im Amt, mit einer moralisch scheinheiligen Publizitätswelle wurde er aus dem Amt gejagt, damit der Medienliebling Gauck Präsident werden konnte. Fast 30 000 Seiten sind die Ermittlungsakten stark, über Jahre zurück hat man jede Kontobewegung, jedes Telefonat, jede Mail der Wulffs ausgeforscht. Man hat ihr Privatleben zerstört, die Vertraulichkeiten eines Lebens gebrochen und manches davon auch noch gesetzwidrig durchgestochen.  Die meisten Vorwürfe gegen Wulff waren haltlos, führten erst gar nicht zu Nachforschungen – oder die entsprechenden Ermittlungen sind mittlerweile eingestellt. Jetzt noch übrig ist allein die Frage, ob er 2250 Euro für ein paar Tage auf Sylt selbst bezahlt hat oder ob sie ein Freund beglich. Wahrscheinlich wird sich auch das erledigen. Der Preis für die haltlose Verdächtigungen war für die Wulffs menschlich und materiell maximal hoch – eine Katastrophe, in der sich unser Rechtsstaat, seine Akteure und auch die Medien viel haben zuschulden kommen lassen.

Steinbrück hier, Wulff da – immer wieder wird mit zweierlei Maß gemessen. Publizistische  Erregung und auch staatsanwaltliche Ermittlungen sind allzu oft zu einer Funktion von Sympathie und politischem Kalkül geworden. Ich bin gespannt, wer aus den deutschen legislativen, administrativen und judikativen Systemen und wer aus den Medien sich zu einer Entschuldigung bereitfinden wird, wenn Christian Wulff und seine Familie der Justiz entronnen sein werden. Und ob Sie, Frau Bundeskanzlerin,  zu einer solchen Entschuldigung auffordern werden.

Ihr

MR

(veröffentlicht in ZEIT/Christ und Welt 7.11.2012)

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