29. März 2024

Seidenstraße und EU-Versagen

Das von China angestoßene Seidenstraßen-Projekt wird noch Jahrzehnte die politische Agenda bestimmen. Das hat der eben in Peking abgeschlossene Kongress zu diesem Thema gezeigt. 5000 Teilnehmer aus 150 Ländern waren anwesend – ein wirklich machtvolles Zeichen dafür, dass es sich um ein außerordentliches Projekt handelt. Dabei haben die Chinesen nur die längst bekannte entwicklungs-, handels- und umweltpolitische Notwendigkeit aufgenommen, Asien, Europa und Teile Afrikas infrastrukturell und damit wirtschaftlich stärker zu verbinden.

Das ist eine Aufgabe, der sich die Europäische Union längst hätte widmen sollen. Sie hat es aber nicht zustande bekommen, hat sich mit punktuellen Projekten begnügt und dabei den Blick für den großen Zusammenhang aus den Augen verloren. Es hat der Chinesen bedurft, um das große Bild zu malen, eine Vision zu entwickeln für diesen Zusammenschluss von Regionen, die – unterlegt man sie mit einem entsprechenden Freihandelsabkommen – unübertroffen sein werden in ihren Entwicklungspotentialen und ihrer Wachstumsstärke.

Nun läuft die EU, wieder einmal, hinterher. Sie hat es auch nicht für nötig befunden, sich prominent an diesem Gipfel in Peking zu beteiligen. Die EU-Kommission schickte einen Vizepräsidenten, aus Deutschland kam nicht, wie in Peking erhofft, die Bundeskanzlerin, sondern der Wirtschaftsminister. 37 andere Länder aber waren mit ihren Staats- und Regierungschefs vertreten. Dafür kamen aus der EU wieder starke und kritische Worte: Wenn China wirklich westliche Partner wolle, müssten sie bei den Ausschreibungen auf Transparenz, gleiche Zugangschancen, ökologische und soziale Standards achten, und, natürlich, die Menschenrechte. Und überdies sei – so formulierte es US-Vizepräsident Pence – zu vermuten, dass China das Projekt nur als geostrategischen Masterplan zur Ausweitung seiner Macht nutze.

Das ist freilich selbstverständlich, auch die EU und vor allem die USA handeln bei ihren internationalen Aktivitäten so. „America first“ ist nichts anderes als eine Neubewertung aller politischen und wirtschaftlichen Verträge unter nationalegoistischem Aspekt. Wer also diese Expansion chinesischen Einflusses bei einem in sich vernünftigen Projekt begrenzen möchte, der muss mitmachen und nicht, wie wir, eher am Bühnenrand stehen. Die EU muss sich den Chinesen als Partner aufdrängen, institutionell und finanziell, und muss dieses Projekt aktiv mitgestalten. Sonst verlieren wir auch hier, wie leider schon so oft in den letzten zwei Jahrzehnten, den Anschluss. Wo also bleibt der wirtschafts- und außenpolitische Masterplan der EU und auch Deutschlands zur Festigung europäischen Einflusses?

Ostergedanken: Von Kirche und Staat

Die beiden großen christlichen Kirchen finanzieren sich nicht nur aus Kirchensteuern und Spenden – sie bekommen vom Staat auch Geld aus dem Steuertopf. 550 Millionen fließen da jährlich, weil man die Kirchen 1803 von Staats wegen enteignet hat. Die Kirchen waren damals im Besitz immenser Ländereien, für deren Verlust sie seither durch jährliche Zahlungen entschädigt werden, der Staat erweist sich da als vertragstreu. Aber verständlich ist dennoch, dass nach mehr als 200 Jahren die (zwischenzeitlich schon häufiger geführte) Debatte wiederauflebt, diese Jahreszahlungen durch eine einmalige Schlusszahlung zu beenden.

Für einen solchen Schlussstrich gibt es viele gute Argumente. Das schlechteste freilich hat eben der FDP-Bundestagsabgeordnete Stefan Ruppert, der zugleich kirchenpolitischer Sprecher seiner Fraktion ist, in die Debatte eingebracht. Der Steuerzahler ohne religiöse Bindung, sagte er, verstehe auch angesichts zahlreicher Skandale ohnehin nicht mehr, wieso er die Kirchen mitfinanzieren solle. Das aber liegt nicht daran, dass es diese Argumente nicht gibt, im Gegenteil, sondern an mangelnder Erklärung derselben – offenbar auch durch Herrn Ruppert.

Pauschal ließe sich das Diktum des ehemaligen Verfassungsrichters Ernst-Wolfgang Böckenförde zitieren, der 1976 schrieb: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Denn er könne nur überleben, „wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert.“

Wer aber bildet die moralische Substanz? Das sind in der Welt zu allererst die Religionen, ein Blick in die neueste Weltgeschichte kann als Beweis dienen. Sie prägen die Menschenbilder, und so haben wir dem Christentum nicht nur Errungenschaften wie die Wissenschaften, die Zeitmessung, den Wechsel von Arbeit und Muße zu danken, sondern auch drei wesentliche Prinzipien unseres aufrechten Bürgerdaseins: nämlich Personalität, Solidarität und Subsidiarität.

Personalität sagt uns: Der Mensch ist eine eigenverantwortliche Person, ein Freiheitswesen, das niemand ungebührlich einschränken darf, vor allem nicht der Staat mit seinen Gesetzen. Sozialpolitische Bevormundung verbietet sich deshalb ebenso wie die Konfiskation von Privateigentum. Die Solidarität zeigt in beide Richtungen und ruft nach einem Ausgleich zwischen Individual- und Gemeinwohl, keiner darf den anderen übervorteilen. Die Subsidiarität sagt: Frei ist nur der, dessen Entscheidungsspielraum nicht unnötig begrenzt wird. Alles muss auf der untersten Ebene erledigt werden, die Sachgerechtigkeit ermöglicht.

Also: Das Christentum – handlungsfähig durch seine organisatorische Form als Kirche – hat diese Freiheit geformt, ein vorpolitischer, moralischer Raum. Und es greift mit seiner aus der Bergpredigt abgeleiteten Aufgabe tief und positiv in unser sozialpolitisches System ein, der größte Anbieter sozialer Leistungen entlang des ganzen Lebensweges unter Einsatz von Kirchensteuern in Milliardenhöhe – von der Geburt in kirchlichen Krankenhäusern über kirchliche Kindergärten und Schulen bis hin zu Altersheimen. Und „Kirche“ meint da mehr als nur ein paar hauptamtliche Geistliche, auf die Herr Ruppert sie reduziert. Die Kirche – das ist vielmehr die Gemeinschaft aller Christen, die sich um die Verwirklichung der ethischen und moralischen Maximen des Christentums bemühen. Gerade der FDP sollten Freiheit und Caritas viel wert sein, also auch dem Abgeordneten Ruppert. Vielleicht bietet Ostern Zeit, darüber nachzudenken.

Nötig: Eine außenpolitische Wende

Man kann jeden verstehen, der das ganze Brexit-Theater leid ist und nun lieber ein Ende mit Schrecken als einen Schrecken ohne Ende hätte: Ein harter Abgang der Briten, und dann sehen wir weiter. Was emotional gerechtfertigt scheint, wäre jedoch politisch und strategisch falsch, und dies aus mehreren Gründen.

Zum ersten liegt in der Verlängerung die Chance, dass sich die Briten den Austritt doch noch einmal überlegen. Es könnte ja auch dort die Einsicht mehrheitsfähig werden, dass der Schaden für alle Beteiligten jeden möglichen Nutzen bei weitem übersteigt und es infolgedessen ein Gebot der Vernunft wäre, solchen Schaden abzuwenden. Es könnte den Briten auch aufgehen, dass sie sich auf eine üble Fährte haben locken lassen, nachdem selbst die härtesten Brexit-Verfechter wie der Tory-Rechtsaußen Jacob Rees-Mogg ihre geschäftlichen Aktivitäten schon ins EU-Land Irland verlegen. Und sie könnten miterleben, wie sich die Europäische Union nun womöglich doch in einer Weise reformiert, die ihnen das Bleiben durch eine neue Volksabstimmung ermöglicht.

Der zweite Grund ist geostrategischer Natur. Das Ende Theresa Mays als Premierministerin ist absehbar. Als Nachfolger stehen entweder Boris Johnson bereit, ein ultrakonservativer Nationalist, oder Jeremy Corbyn, ein Linkssozialist. Bekämen sie ein Großbritannien außerhalb der EU in die Hand, würden sie sich und ihr Land in ihrem Hass auf die EU mit jenen verbinden, die mit ihnen diese Abneigung teilen. Das sind zunächst die USA, die eine starke Europäische Union als Konkurrent im Trump’schen Streben nach amerikanischer Welt-Dominanz betrachten. Russland wiederum hat noch unter den Phantomschmerzen der Auflösung des Sowjetreichs nach 1989 zu leiden, die die europäische Politik in den letzten drei Jahrzehnten nicht ausreichend zu lindern versucht hat. Im Gegenteil: die heutige Konfrontation ist gewiss nicht nur, aber auch Folge einer politisch-moralischen Überheblichkeit, an der speziell die deutsche Außenpolitik mitgewirkt hat. Beide, USA und Russland, gesellen sich deshalb nur zu gerne an die Seite Großbritanniens, wenn es gegen die EU geht – und auch der türkische Präsident Erdogan wird sich nicht lange bitten lassen.

Im Ergebnis hätten wir wieder eine Allianz von Randmächten Europas gegen den Kern Europas und gegen Deutschland, was bittere historische Assoziationen wecken muss. Die große Herausforderung künftiger EU- und Außenpolitik – speziell der deutschen – wird es sein, diese Risse wieder zu heilen durch eine kompromissfähige, nicht arrogante Politik allen europäischen Nachbarn gegenüber, auch gegenüber den USA und Russland. Es steht zu viel auf dem Spiel. Eine nachsichtige Haltung gegenüber dem in sich zerrissenen Großbritannien ist erst der Anfang dazu.

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