20. April 2024

US-Oligarchen und Menschenrechte

Immer waren die westlichen Staaten stolz darauf, dass ihre Außenpolitik nicht nur etwas mit Einfluss und wirtschaftlicher Macht zu tun hatte, sondern auch mit den grundlegenden Werten unserer Gesellschaften. Das sind: Freiheit und Demokratie, Menschenwürde, Gleichberechtigung und Toleranz sowie – und nicht zuletzt – die Beachtung des Völkerrechts mit dem Ziel eines zivilisierten Zusammenlebens in der Welt. Wer von diesem Wege abwich – etwa Margaret Thatcher mit ihrem Diktum: „Foreign Policy is about national interests“ – der musste sich für solche Blickverengung viel Kritik gefallen lassen.

Bequem ist eine solche wertgebundene Außenpolitik ja nicht. Wenn deutsche Außenpolitiker aus den Gesprächen mit ihren Kollegen in China oder Russland kamen, war stets die erste Frage der Journalisten: „Haben Sie auch die Menschenrechte angesprochen?“. Die Antwort war stets eher nüchtern, ja, angesprochen habe man das, aber viel bewirken könne man nicht. Also geht man rasch zu den Themen der gegenseitigen politischen oder wirtschaftlichen Interessen über. Das ist prinzipiell auch in Ordnung, denn die Möglichkeiten, sich erfolgreich zum moralischen Präzeptor der Welt aufzuspielen, sind selbst für das in solchen Fragen übereifrige Deutschland beschränkt – sogar die Grünen haben das seit der Außenministerzeit von Joschka Fischer mittlerweile eingesehen.

Gleichwohl tut die ständige mediale Präsenz des Themas und das diplomatische Nachbohren bei Fragen der Menschenrechtsverletzungen und der Freiheitseinschränkungen ihre Wirkung, kein Staat ist da mehr unbeobachtet, die sozialen Netzwerke liefern Informationen und Vergleichsmaßstäbe. Deshalb bessern sich die Lagen tendenziell in vielen Ländern, selbst in China haben die letzten Jahrzehnte erhebliche neue Freiheitsspielräume für die Menschen gebracht.

Unter den Staaten, die ihre freiheits- und menschenrechtsbetonte Verfassung stets vor sich hertragen und deren Werte auch andernorts empfehlen, sind die Vereinigten Staaten ganz vorne. Das mag sich jetzt ändern. Denn es kommt offenbar wie erwartet: Der wirtschaftsinteressierte, außenpolitisch gänzlich unerfahrene, durch ethisches Format bisher nicht (dafür aber mit Vulgär-Rhetorik) aufgefallene Donald Trump scheint sich um Fragen der Menschenrechte und solche einer ethikgebundenen internationalen Zusammenarbeit wenig zu scheren. Was zählt, ist Business. Sonst nichts.

Trump hat sein Kabinett mit einer US-Oligarchentruppe von Milliardären besetzt, der letzte in der Vorschlagsreihe ist der Ölmanager Tillerson, den Trump zum Außenminister machen will. Der trägt russische Orden, hat dort persönliche Geschäftsinteressen und wird seine Politik deshalb wohl kaum einem menschen- und völkerrechtsbemühten Kalkül unterwerfen.

Nimmt man die Wahlkampfrhetorik Trumps mit seinen bisherigen Personalvorstellungen zusammen, wird deutlich: Es droht ein massiver Zusammenbruchs der Wertebasis des westlichen Blocks. Die Europäische Union und Deutschland werden bald schon nach ihrer Positionierung gefragt werden. Da stehen grundsätzliche Debatten ins Haus, in Deutschland und im westlichen Bündnis – und für Deutschland wohl gefährliche Zeiten.

Für Europa: Wo bleibt die Kampfeslust?

Kritik an den gemeinsamen politischen Institutionen Europas hat Konjunktur. Nationalistische Parteien schlagen im Westen wie im Osten Profit aus der Behauptung, den Menschen im Heimatland werde durch die europäische Zusammenarbeit etwas weggenommen, sie müssten für andere Länder ungebührlich viel zahlen, deren Bürger fauler und undisziplinierter seien als man selbst.

Erstaunlich ist, wie gering die Gegenwehr jener ist, die es viel besser wissen. Als fürchte man, mit der Verteidigung Europas eine politische Unkorrektheit zu begehen, haben sich die Apologeten der europäischen Idee in einen Schmollwinkel zurückgezogen und die Lautsprecher den anderen überlassen. Die allgemeine Debattenlage erweckt den Eindruck, dass die Europa-Rede von Frieden, Freiheit, Sicherheit und Wohlstand gähnende Langeweile hervorruft, niemand kann sich offenbar vorstellen, wie schnell das alles verspielt werden kann. Dabei hätten beinahe alle Bevölkerungsgruppen Grund, für Europa auf die Straße zu gehen.

Der Existenz der Europäischen Union ist die historisch lange Phase des Friedens zu danken, mehr als 70 Jahre einer friedlichen Koexistenz. Muss man, damit das irgendjemandem in Europa ungewöhnlich erscheint, erst an die 50 Millionen Toten des 2. Weltkrieges erinnern oder an die 20 Millionen Opfer des 1. Weltkrieges, beide im letzten Jahrhundert?

Europa ist es auch, das in 19 EU-Staaten eine stabile Währung mit niedriger Inflation sichert. Der Euro ist, entgegen mancher Ansicht, ein immenses Erfolgsprogramm, das der Wirtschaft Transaktionskosten, allen Bürgern die Wechselkursrisiken und die Umtauschgebühren der Vergangenheit erspart.

Und natürlich ist die EU ein riesiger und erfolgreicher Binnenmarkt: Mehr als 500 Millionen Verbraucher und 21 Millionen Unternehmen profitieren davon – das ist weltweit der größte gemeinsame Markt mit freiem Waren- , Dienstleistungs-, Kapital und Personenverkehr. Auch unsere holprige Energiewende können wir uns nur leisten, weil es einen europäischen Energiemarkt gibt, der versorgungssichernd Schwankungen ausgleicht und der es uns erlaubt, unsere Strom- und Gasversorger europaweit frei zu wählen.

Die Vorteile gehen weiter: Mehr als 12 Millionen landwirtschaftliche Betriebe in der EU profitieren von einer gemeinsamen Agrarpolitik, um die 500 Millionen Menschen zuverlässig mit sicheren und preiswerten Lebensmitteln zu versorgen. Und auch die sonstige Verbraucherschutzpolitik bietet europaweit Sicherheit.

Die Studenten Europas könnten sich über eine Bildungspolitik freuen, die ihnen internationale Erfahrung schenkt: 550 000 Stipendien und Zuschüsse für Studenten, Auszubildende und Jugendliche allein aus Deutschland bietet das EU-Bildungsprogramm „Erasmus“, eine Riesenchance für die persönliche und berufliche Entwicklung.

Umweltpolitik – ohne die Europäische Union wären ihre bisherigen Erfolge gar nicht denkbar. So liegen heute 90 Prozent weniger Blei in der Luft als noch vor 20 Jahren, 26 000 Naturschutzgebiete bedecken 18 Prozent der EU-Fläche, 85 Prozent der Badegewässer der EU haben ausgezeichnete Wasserqualität, die Treibhausgase wurden seit 1990 um 20 Prozent reduziert bei gleichzeitigem 45-prozentigem Wirtschaftswachstum.

Bleibt die Innere Sicherheit: Organisierte Kriminalität, Terrorismus, illegale Migration und die Schlepperbanden kann man nur grenzüberschreitend und gemeinsam bekämpfen, dafür braucht es eine europäische Grenz- und Küstenwache. Und die Sicherheit des Kontinents wird auch künftig nur durch gemeinsame militärische Anstrengungen garantiert werden können, weit über das bisherige Maß hinaus.

Alles europäische Pluspunkte. Blickt man in die Zukunft, ist eine enge – ja: noch engere – Zusammenarbeit im Europäischen Staatenverbund unumgänglich, wenn Europa nicht zum Spielball eines neoimperialistischen Präsidenten in Russland, einem nicht sicher zurechnungsfähigen kommenden US-Präsidenten, einem anspruchsheischenden China und anderen aufkommenden Mächten werden will. Sie wollen Europa intrigant spalten, um darüber zu herrschen. Die kommenden Jahre werden für uns gefährlich.

Es ist hohe Zeit, dass die Europäische Kommission und die europageneigten Politiker in Deutschland die Öffentlichkeitsarbeit zum Thema eines gemeinsamen Europa nicht mehr seinen Gegnern überlassen, sondern sich mit den medialen Mitteln unserer Zeit und in verständlicher, anschaulicher, volksnaher Sprache massiv für die europäische Idee einsetzen – ohne Wenn und Aber.

Die CDU im Zug nach rechts

Der Parteitag in Essen wird in die Geschichte der CDU als das Momentum eines Rechtsrucks eingehen, einer Rückkehr in konservativere Gefilde. Zu deutlich hatte sich gezeigt, dass der starke rechte Rand der Wählerschaft, der früher noch von der Union eingehegt werden konnte, neue politische Heimat anderswo gefunden hat und das der CDU ihre Stärke nimmt. Am linken Rand konnte sie, trotz aller sozialpolitischen Ausgabefreude, diesen Verlust nicht wettmachen.

Die Kehrtwende zeigt sich vor allem in den Beschlüssen zur Migrationspolitik. Die CDU will nun die Zahl weiterer Migranten drastisch reduzieren und an ein Bleiberecht schärfere Anforderungen stellen als bisher, konsequenter auf Abschiebungen setzen und den Druck zur Integration verstärken – durch die Betonung einer „Leitkultur“, aber auch durch die Ablehnung einer doppelten Staatsbürgerschaft, die sie eben noch mit der SPD vereinbart hatte. Zudem wird die Familie wieder stärker in den Focus gerückt, jene Angebote und Finanzinstrumente sollen ausgebaut werden, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern. Schließlich verspricht die CDU, in der kommenden Legislaturperiode nicht an der Steuerschraube zu drehen.

Damit ist klar, wie der Wahlkampf der CDU und der ganzen Union thematisch ausgerichtet sein wird. Es wird heißen: Wir sind die Partei des wirtschaftlichen und sozialen Erfolges Deutschlands, wir sind die Partei für eine freiheitliche, demokratische Leitkultur, wir sind die Partei für ein restriktives Migrationsmanagement, das christliche Solidarität mit klaren Integrationspflichten für Migranten verbindet. Und: Wir sind eine Partei der europäischen Idee, aber „Deutschland zuerst“ steht auch bei uns künftig programmatisch ganz vorn.

Klar wurde in Essen allerdings auch, dass die CDU mit ihrer Vorsitzenden zunehmend fremdelt. Sie wird gefeiert, weil sie große Verdienste hat und eben momentan alternativlos scheint. Sie wird mit ordentlichem Ergebnis wiedergewählt, weil sie innenpolitisch erfolgreich ist, weil sie gegenwärtig der Fels in der europäischen Brandung ist und auch zwischen den USA und Russland als Mittlerin unentbehrlich scheint. Der Widerspruch gegen ihre Politik freilich wird freier und pointierter vorgetragen als früher und er stößt – wie man am Beschluss zur doppelten Staatsbürgerschaft sehen kann – auf eine konservative Unterströmung in der CDU, die sich bisher vernachlässigt vorkommt.

Die nächsten Jahre werden deshalb auch von personalpolitischen Spekulationen und Positionierungen geprägt sein. Nachfolgeaspiranten für die Post-Merkel-Zeit müssen sich langsam in Stellung bringen, müssen sich ein inhaltliches Profil aufbauen, das die kommende konservativere CDU anspricht. Denn es ist ja unübersehbar, dass die konservative Mehrheit des Wahlvolkes stärker wird, und die CDU wird und muss alles versuchen, dieses Wasser von den Mühlen der AfD und auch der FDP wieder in eigene Kanäle zu lenken.

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