19. März 2024

Juncker muss es werden

Der Kampf, der gegenwärtig um den Posten des EU-Kommissionspräsidenten geführt wird, ist an Würdelosigkeit kaum zu überbieten. Jean Claude Juncker, der der wohl erfahrenste Europapolitiker und ein zutiefst überzeugter Europäer ist, muss sich Zweifel an seiner Qualifikation anhören und neuerdings – im übelsten Blatt des europäischen Journalismus, der britischen „Sun“ – sogar den versteckten Vorwurf naziverstrickter Ahnen. Hinzu kommt ein (Juncker in herzlicher Abneigung zugetaner) EU-Ratspräsident Herman van Rompuy, der sich auf der Suche nach einer Lösung nicht scheut, den freiwilligen Rückzug Juncker zu insinuieren, woran Juncker selbstverständlich nicht denkt.

Das hat auch gute Gründe. Der erste liegt in der Kompetenz Junckers, der ein mit allen Wassern gewaschener und hochintelligenter Fachmann in außenpolitischen, wirtschafts- und währungspolitischen  Fragen ist, mit genau jener Erfahrung und natürlichen Autorität, die ein EU-Kommissionspräsident braucht.

Zweitens: Juncker bringt eine tiefe Überzeugung für die europäische Idee mit, die nicht nur auf wirtschafts- oder währungspolitischen Vorteilen dieses politischen Zusammenschlusses gründet, sondern auf der historischen Friedensdividende, den die Europäische Union für die beteiligten Nationen erwirtschaftet hat. Juncker weiß genau, wie schnell ein Rückfall in Nationalismus und Separatismus zu Konflikten und Kriegsgefahr führen kann. Diese Überzeugung wird in der gegenwärtigen Debatte gerne als „altes Denken“ diskreditiert. Das zeigt, wie gefährlich unerfahren und welch geschichtslosen Geistes viele der führender gegenwärtigen Europapolitiker sind.

Drittens: Juncker ist aus den Europawahlen, für die erstmals Spitzenkandidaten benannt wurden, mit dem stärksten Ergebnis hervorgegangen. Das begründet – wenn man den demokratischen Ansatz dieser Wahl überhaupt ernst nehmen und nicht direkte Wählertäuschung betreiben will – den Anspruch auf den Posten des Kommissionspräsidenten. Die deutsche Kanzlerin, die Juncker nicht völlig traut, hat diese Demokratiekurve gerade noch bekommen, nachdem sie monatelang mit dem Gedanken spielte, ihm auch im Erfolgsfalle den Posten des Kommissionspräsidenten vorzuenthalten.

Worum geht es also wirklich? Wir erleben einen Kampf um die zukünftige Gestalt Europas. Wenn Juncker Kommissionspräsident wird und das EU-Parlament mit breiter Mehrheit hinter sich scharen kann, dann  wird es starke Schritte hin zu einer weiteren Demokratisierung und intensiverer Zusammenarbeit in Europa geben. EU-Parlament und Kommission werden dabei eine gewichtigere Rolle spielen als bisher.

Daran sind die Regierungschefs nicht interessiert. Sie hatten es sich in ihrer zwiespältigen Haltung gut eingerichtet, die zwar freundliche Lippenbekenntnisse zur europäischen Einigung ermöglichte, von einer weiteren Stärkung der Macht von EU-Parlament und Kommission aber absehen wollte. Die Regierungschefs müssten Macht abgeben, und das tut weh, weshalb sie auch für die Zukunft einen schwachen Kommissionspräsidenten (wie Barroso es war) und einen ebenso schwachen EU-Ratspräsidenten wie van Rompuy etablieren wollten.

Wem allerdings an einer Zukunft Europas im Gefüge der Weltmächte liegt, der muss darauf setzen, dass Jean Claude Juncker sich durchsetzt. Das gäbe Hoffnung, dass dem gegenwärtigen Institutionen-Durcheinander in Europa endlich Strukturen folgen, die der Größe der anstehenden Probleme angemessen sind, die dem europäischen Gedanken entsprechen und ihm einen neuen Schwung verleihen.

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