25. April 2024

Die Außenpolitik als Schicksal. Letzter Brief an die Kanzlerin.

Verehrte Frau Bundeskanzlerin,

wenn ich meine „Briefe an die Kanzlerin“ in der ZEIT der vergangenen drei Jahre so durchsehe, fällt mir auf, dass die Kritik an Ihrem Regierungshandeln nie grundsätzlicher Art war. Sie galt vielmehr meist der mangelnden Sichtbarkeit Ihres Regierungsstils. Nur selten hat man Sie mit großen programmatischen Reden vernommen, Sie haben nicht vernehmlich auf den Kabinettstisch geschlagen. Vielmehr verstanden Sie es, die Dinge still dorthin zu lenken, wo Sie sie haben wollten.  Das wird, nach all dem Regierungs- und Weltenlärm der letzten Jahre, als Wohltat empfunden.

Demonstratives Durchgreifen scheint ja auch unnötig. Die Wirtschaft läuft erfreulich. Die Regierung ist stabil. Der Koalitionsvertrag verheißt keine Revolutionen. Kurz: Innenpolitisch ist alles so, dass die Deutschen Sie gerne als „Schutzherrin des status quo“ wiedergewählt haben. Der Deutsche an sich liebt ja Kontinuität, Verlässlichkeit, Ruhe, Disziplin und damit eine weltbeobachtende, bewahrende und selbstbewusste Provinzialität. All das strahlen Sie aus.

Außenpolitisch aber können wir an einem Status quo gar nicht interessiert sein. Erstens ist die politische Struktur Europas höchst instabil: Verfassungsgerichte, nationale Parlamente und Volksentscheide stellen sich zunehmender Integration in den Weg. Findet Europa aber nicht zu innerer Einheit, gemeinsamen wirtschafts- und finanzpolitischen Konzepten und auch zu außenpolitischer Gemeinsamkeit, wird es im Konzert der Weltmächte binnen weniger Jahre vergleichsweise bedeutungslos werden.  Zweitens ist unsere Lage in der Welt nicht gerade beruhigend: Das Verhältnis zu den USA ist gestört und wird zunehmend beschädigt von antiamerikanischen Affekten, die sich hierzulande – wenn auch außerhalb der Regierung – wieder Raum bahnen. Der östliche EU-Nachbar Russland fühlt sich von Deutschland und der EU politisch vernachlässigt und auch vom Russlandbeauftragten Ihrer Regierung moralisch bevormundet. Auch innerhalb Europas wird Deutschland als Werte und Ordnungspolitik predigender Präzeptor wahrgenommen, als ökonomischer Musterschüler zudem, dem man mit Neid und Abneigung zugleich begegnet.

Die Außenpolitik bestimmt unser Schicksal. Ich erinnere mich eines Zusammentreffens auf Schloss Meseberg, bei dem Sie die politische Landschaft und ihre kleinen Aufgeregtheiten resümierten und anmerkten: „Wir stellen die falschen Fragen.“ Das ist wahr, schon wieder füllen Kleinigkeiten die Schlagzeilen, der Streit um die Maut etwa oder den staatlich verordneten Mindestlohn. Das betrifft uns, man kann sich (wie ich) darüber ärgern – aber wirklich wichtig ist das nicht. Wichtig ist die Außenpolitik. Danach muss man drängend fragen. Jeder Fehler dort wird uns historisch begleiten.

Deshalb bleibt der Wunsch bestehen: Reden Sie mehr und eindringlicher über Europa. Weichen Sie nicht und vor niemandem zurück, wenn es um die weitere Integration des Kontinents geht. Suchen Sie die offensive Debatte. Nur ein einiges Europa wird in den Geschichtsbüchern folgender Generationen positiv notiert sein. 100 Jahre nach Ausbruch des ersten Weltkrieges sollten wir das  wissen.

Manchmal habe ich mich gefragt, was Sie wohl dachten, wenn Sie (wenn überhaupt) diese „Briefe an die Kanzlerin“ meiner Kollegen Möller, Brender und von mir lasen. „Die haben leicht schreiben“, oder: „Wenn die Herren nur um alle Details wüssten…“? Aber so ist publizistische Kritik: Sie bezieht sich auf das Sichtbare des Vordergrundes – und ahnt doch, dass es häufig Hintergründe politischer Entscheidungen gibt, die für die Öffentlichkeit nicht taugen.

Eines aber haben Sie hier immer gespürt: den Respekt vor dem politischen Amt, zumal dem des Bundeskanzlers. Diese Verantwortung wird an Stammtischen oft  geschmäht, sie wird gemessen an der Verantwortung schlecht bezahlt. Aber sie ist gewaltig. Fehler hat man nicht selbst, die hat ein ganzes Volk auszubaden, und das oft auf lange Sicht.

Insofern: Ich wünsche Ihnen für 2014 Gesundheit und Standfestigkeit. Und ich wiederhole einen Satz, den ich schon Anfang 2012 schrieb: „Ich sehe niemanden, der gegenwärtig der bessere Kanzler wäre.“

(die „Briefe an die Kanzlerin“ erschienen seit April 2011).

 

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